Im Schweigen stecken die Worte
Mit „Nachtschwimmer“ legt der 1963 in Iran geborene Literaturwissenschaftler Salem Khalfani seinen ersten Gedichtband in deutscher Sprache vor, nachdem zuvor bereits seine Novelle „Das valencianische Wasser“ erschienen war. Seine sanften Poeme sind Ausflüge ins Reich der Gegensätze.
Elementar geht es zu in Khalfanis Versen. Licht und Dunkel; Wort und Schweigen; Wachsein und Traum - das sind die Eckkoordinaten zwischen denen er die leisen Schwingungen der Wahrnehmung auslotet. Es wird viel geschwiegen in diesen Gedichten, und im Schweigen erst wird das Wort entdeckt, erst im Schatten definiert sich das Licht und erst im Traum das wache Wahrnehmen, das Gewahrwerden.
„Laut für Laut / fließt das Schweigen durch unsere Zungen hinaus / Wort für Wort wird das Schweigen laut“, heißt es da, und: „Mit jedem Wort rettet sich das Schweigen hinüber in die Welt“. Es geht um die grundsätzliche Frage, ob alles, was gesagt wird, überhaupt Bedeutung hat, oder ob Bedeutung nicht bloß der sprachwissenschaftlich definierte Leerraum des Gedachten im Laut ist. Ob nicht das gehaltvolle Schweigen ebenso sehr Bedeutung ist wie das gesprochene oder geschriebene Wort. Die blanke weiße Seite enthält immer das Gedicht, das man ihr in Gedanken zuschreibt. Ebenso wie der Traum nichts anderes ist als eine Realität, die sich aus individueller Wahrnehmung speist.
Die Frage ist für den Iraner Khalfani, der in Deutschland lebt, von besonderer Relevanz: „Der Dichter fängt an Gedichte zu schreiben / wenn er schweigen muss“. In Deutschland, dem Land der Dichter und Denker, in dem die Dichter zwar schreiben dürfen aber nicht gelesen werden, herrscht lyrische Grabesstille. In Iran, wo die Dichter geknebelt und mit Berufsverboten belegt aber gelesen und gehört werden, ist das Schweigen unendlich laut: „Der laute Dichter / versteckt sich dann / hinter seinem Schweigen“.
Wie verortet man sich selbst unter diesen Vorzeichen? „Wir sind nicht in unseren Zeiten / nicht in unserem Licht / und nicht in unserem Dunkel“, schreibt Khalfani, aber es ist kein Nihilismus, den er hier präsentiert, sondern die rationale Positionsbestimmung, auf die das Öffnen der Augen folgt und die Erkenntnis, dass etwas „anders“ ist. Ein vorsichtiges Tasten in die Welt hinein und hinter die Vorhänge von Wort und Bedeutung als transzendentales Element des Lebens im Hier und Jetzt.
Immer wieder taucht das Bild tastender Hände auf, die das Wort, die Zeit und das Ich befühlen und zu verstehen suchen – das Leben als immer neuer Weg einer Orientierung, bei dem wir die Zeit an die Hand nehmen: „Sie taumelt wenn sie geht / Wir halten ihre Hand / Doch sie fällt“, und wir „kämmen ihr weißes Haar“, während sie jung bleibt.
Khalfanis Verse kommen trotz ihrer Schwermut sehr leichtfüßig daher – wie der Vogel, der sie symbolisch durchfliegt und der bisweilen an jenes wundervolle Gedicht von Forough Farrochsad erinnert, das den Blick aus den Gitterstäben des Gefängnisses beschreibt. Bei Khalfani ist das Gefängnis die Konformität der Wahrnehmung, die er aufzubrechen versucht mit einer enorm starken Symbolik in einer ruhigen und nachdenklichen Sprache.
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