Lyrikdebut mit fatalistischem Charme
Die junge Dichterin Sara Ehsan, geboren in Sharoud (Iran), seit 1986 in Deutschland, vergleicht das Leben mit einem „sich / Kratzen an einer / Hauswand.“ Genau das tut sie auch in ihrem Lyrikdebüt „Deutschland Mon Amour“, das soeben im Bremer Sujet Verlag erschienen ist, illustriert von dem in Griechenland aufgewachsenen Künstler Hannes Haus: Sie kratzt und reibt am Leben und nimmt den zum geflügelten Wort gewordenen Culture Clash mit bissigem Augenzwinkern aufs Korn. Es sind Gedichte, deren fatalistischem Charme man sich nur schwer entziehen kann.
Ein Buch mit dem Titel „Deutschland Mon Amour“, geschrieben von einer Iranerin – das klingt wie ein versöhnlicher Beitrag zur unsäglichen Integrationsdebatte, das klingt auf den ersten Blick wie eine jener Aussagen, die in der Welt von Thilo Sarrazin nicht existieren, frei nach dem Motto: Es kann nicht sein was nicht sein darf. Aber mit solchen Oberflächlichkeiten gibt sich Sara Ehsan nicht ab. Der Titel ist die Pointe, der Schlussvers eines angriffslustigen Gedichts namens „Geschändete Klone der Idole“, in dem Verse vorkommen wie: „und das / besoffene Mädchen / alleine auf / der Tanzfläche / die Beine / spreizend“.
Das sind Verse, die keine Angst haben vor Radikalität und Direktheit, die entblößen kann - die Sprache der Politik ebenso wie die Eigenschaft der Menschen, sich lächelnd ins Gesicht zu lügen. Die Autorin zeichnet eine schizophrene Welt, die aus der Form geraten ist und zwanghaft versucht, den schönen Schein zu wahren: „der Strukturalismus / strukturlos“. So sehr, wie man sich im Leben an Hauswänden kratzt, so sehr ist „das Leben / Suchen / nach Öffnungen“, vorgetragen in einem Stakkato, in dem der Zeilenbruch den atemlosen Rhythmus vorgibt, ein Getriebensein und Verfolgtsein, das seinen Notausgang nicht in der geschmähten Realität findet, sondern in Traumgebilden des Unbewussten, die oft archetypisches Aussehen, aber dennoch nichts von ihrer persönlichen Wahrheit verloren haben - Bilder, die zeitlos sind und mit denen die Illustrationen von Hannes Haus anregend korrespondieren. „In mir ist eine Ruine / doch es blühen Blumen / darauf“ begleitet Haus mit dem Bild einer nackten, schutzsuchend zusammengekauerten Person, aus deren Rücken ein Baum wächst, der ein Baumhaus beherbergt, in dessen Fenstern man winzige Punkte ausmacht, die vielleicht Augen sind.
Sara Ehsans Stärke ist es, Assoziationsketten zu zünden, indem sie Dinge zueinander fügt, die scheinbar so gar nichts miteinander zu tun haben, und die sich zu einem dieser wilden und wirren Gedankenstürme zusammenfügen, die man durchleidet, wenn man sich im Bett schlaflos von einer Seite zur anderen wälzt. Was haben Guantanamo Bay, Vasen und das Internet gemeinsam? Wie passen „die Synergieeffekte / zwischen einem Hund / dem Schäfer / und / dem künstlichen Beobachter“ zur „Gastfreundschaft / unserer Zeit“? Auf die obligatorische Abrechnung mit dem (realen oder imaginierten?) Vater folgt der Schmerz, der „Das Leben“ spürbar macht in aller Gefühllosigkeit und es mit einem „kettenlosen Fahrrad“ vergleicht, in dessen Pedale man treten kann wie man will, man kommt einfach nicht vom Fleck.
Und dann wird doch wieder das Innere ins Außen gekehrt, der im Buchtitel beerdigte Sarrazin läuft einem noch mal über den Weg, in der „christlich- / europäisch- / deutschen / Leidkultur“, und erst ganz am Schluss, beim Blick ins Inhaltsverzeichnis merkt man: Die Sarrazins dieser Welt sind diesen Gedichten scheißegal. Sie entstanden bereits zwischen 2003 und 2007. Aber ganz egal, ob man „Deutschland Mon Amour“ nun als lyrischen Integrationsdebattenbeitrag einer Autorin versteht, die freiberuflich Integrationskurse leitet und vom Thema zweifellos mehr versteht als die Sprechblasen produzierenden Talkshow-Dauergäste, oder ob man lediglich am lebhaften Spiel mit Sprache, Klang, Metaphern interessiert ist: dieses Debüt ist lesenswert.
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