Ausführlich da wie ein Sommerregen und schon wieder weg
Er war einer jener unbequemen Avantgarde-Dichter der DDR vom Prenzlauer Berg und viele der kleinauflagigen, handgemachten Kladden und literarischen Ketzereien jener Zeit, in denen Stefan Döring seine kritischen Gedichte veröffentlichte, sind heute eine heißbegehrte Sammlerware. Noch zu Lebzeiten der DDR, 1989, erschien sein erster Gedichtband „Heutmorgestern“, vom Aufbauverlag seinerzeit in einer aufkeimenden Aufbruchsstimmung als junge Literatur „Außer der Reihe“ präsentiert, und keine zwei Jahre später erschien beim Druckhaus Galrev, dem von Sascha Anderson und Bert Papenfuß-Gorek gegründeten Autorenverlag auf dem Prenzlauer Berg, sein bislang letztes Werk: „Zehn“ – „ein Zyklus von fünf mal zehn zehnzeiligen Versblöcken, ohne Titel durchnumeriert, mit architektonischer Formstrenge gemeißelt und in ihrer reduktiven Sprachsetzung so schwer zu entschlüsseln wie ein Differentialsystem der Metamathematik. Kurzum: ein Buch mit (mindestens) sieben Siegeln.“ (Michael Kothes 1991 in der ZEIT).
Dann war es ruhig um Stefan Döring. Nach nunmehr fast zwanzig Jahren gibt es ein neues lyrisches Lebenszeichen. Nüchtern „drei etüden“ betitelt erschien eine schlichte, 40-seitige Broschür bei Distillery in Berlin, die vor allem eins in sich hat: den Versuch. Was nichts Negatives heißt. Jeder der schreibt weiß, manche Gedichte kann man nur versuchen, sie entziehen sich jeder Endgültigkeit, weil sie a) diese von sich auch gar nicht anstreben und b) von ihr verkühlt, ja vereist oder vernichtet werden würden. Fertig wird ein Gedicht ohnehin erst später und das immer wieder neu und verändert: im Geist des Lesers.
Der Etüden sind es, Versuche nicht um des Versuches willen, sondern Erweiterungen, Dimensionsforschung über Gültigkeit und Zustand. Was hier meint berührt zu sein, ist im nächsten Moment ein anderes Dort und wird nur an Fäden gehalten, die alles gemeinsam durchziehen und doch einzeln zuständig sind, also bezogen auf – den Umstand, den Zustand, das Gemeinte. Die Welt als Bezugsspiel.
Einmal ist es das Gesicht der Jahreszeiten, das aussieht und erscheint, in ständig wechselnden Gewändern. Wortquartette spielen einander die Unterschiede fühlbar zu, Unterschiede, die doch immer nur Formen und Arten sind ein und desselben Geschehens. Geschehen, das man nur versuchsweise voneinander abgrenzen kann. Darum geht es Döring: zu zeigen, daß Unterschiede in der Bezogenheit eine bildliche Qualität haben, eine Spannung, die verschiedene Saiten zum Klingen bringt. Alle Begriffe sind von zweifelhafter Dauer und Zurichtung und ihr elementares Wechselspiel etwas, wofür wir außerhalb der Poesie keine Worte haben.
Einmal ist es eine Leiter. Sie steht für ein Mittel zum Zweck das Leben zu verwirklichen, inklusive Traum und Musik, Haus und Himmel. Man muß also voransteigen, immer weiter hinauf oder hinunter, jedenfalls in Bewegung sein und dann wird’s auchwas mit dem Leben.
Und einmal sind es die Elemente, die durchkonjugiert werden als lebendige Ableitungen. Basics, die uns durch das Leben bringen und uns manchmal umfassen wie Badewasser. Bei Dörig sind es das Lachen, das Glauben, der Tanz und die Weite, das Licht, der Regen, der Rauch und die Nacht. „Könnten wir die Trunkenheit rauchen“ ! – könnten wir alles inhalieren, was an Essenzen in unser Leben gehört! Es mündete auch ins Vergessen, das, zumindest in Dörings letzter Etüde, das Beständige ist.
Das gesamte schmale Bändchen tanzt wie eine fragil austarierte Waage zwischen Werden und Vergehen, die Texte sind entsprechend spielerisch angelegt und pochen nicht auf den Tisch. Sie sind ausführlich da wie ein Sommerregen und schon wieder weg. An ihnen soll das Gültige das zu Übende und nicht das Geübte und auch nicht der Übende sein.
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