„In-Gang-Setzen”
Schwierige Fragen sind die einfachsten: Man kann unbeschwert darüber nachdenken, weil es vielleicht nur schlechte Antworten gibt – und jedenfalls nicht die eine, die richtig wäre. Zum Beispiel die eine Kausalität, die hernach alles andere zum Drumherumreden degradierte, weil sie wüßte, so Ann Cotten nicht unironisch: „Kausalität = Ficken”.
Im mit Understatement betitelten Band Einfache Frage: Was ist gute Literatur? wird also gefragt und nur manchmal ansatzweise beantwortet, was denn diese nun ausmache, und zwar dialogisch, in Korrespondenzen: Ann Cotten und Ferdinand Schmatz, Leopold Federmair und Reto Ziegler, Karin Fleischanderl und Markus Köhle, Lydia Mischkulnig und Vladimir Vertlib, Anna Mitgutsch und Christian Steinbacher, Samuel Moser und Andrea Winkler, S. J. Schmidt und Hermann Wallmann sowie – online gekürzt publiziert 1 – Thomas Stangl und Anne Weber.
Vieles, was dann kommt, ist Gemeinplatz und Lust am Widersprüchlichen, das aber eigentlich wenig erhellt; ob die Lust an Paradoxa etwa schon ausmache, was Geisteswissenschaften sei, wie es das Antithetische dann selbst als Epizentrum interpretierend einmal heißt..? Ist Literatur die „Lust am Schwierigen” und darum schon das arme Opfer des Mainstreams, der immer „reißender und träger” werde, was immer das bedeutet, und mit dem der – Pfui! – „ständig kommensurable […] Franzobel” einen Teufelspakt geschlossen haben müsse, vom Herrn Kehlmann ganz zu schweigen..?
Immerhin sind die Negativurteile, wo sie begründet sind, spannend: etwa zu Oskar Pastior, dessen Texte man je einmal verstanden haben müsse – danach sei der jeweilige Text aber erledigt, keine neue Lektüre mehr vonnöten, wie Schmatz andeutet. Doch auch da sind die Ratlosigkeiten noch klüger, ob es denn nun so sei, ob etwa so eine abduction nun eine Ableitung sei, eine Entführung – oder eine Ableitung als Entführung… Vielleicht geht es um ein bis zur Unerträglichkeit oder ins Häßliche gesteigertes Wahrnehmen?
Und doch auch wieder eben nicht, sondern dann auch Optionen, die „Intention des Demaskierens” etwa bei Jelinek, bei ihr indes „überwuchert vom barocken Sprachspiel”..? Ist überhaupt, so im Gespräch mit Lydia Mischkulnig der sehr lesenswerte Vertlib, die Frage ernsthaft zu stellen? Insuiniert die Antwort nicht, wo sie möglich ist, daß die Güte der Literatur das an ihr wäre, was fast schlecht ist, etwa bei Onkel Toms Hütte, einem Buch, das so wertvoll ist, daß es eben genau nicht mehr stimmt..?
Außerdem: Wer könnte lesen, und vielleicht sogar alles, so eine der letzten Fragen: die NSA...2 Und wie affiziert das das Schreiben? Ist es Ansporn, 1. zu schreiben, und 2. zum Beispiel gut, wenn immer einer das Tun des Autors beobachte..? Aber ist das ein Lesen? Darf der Leser zum Beispiel automatisch sein, kann er es andererseits nicht sein, wenn er (so Wolfgang Iser in seinem berühmten Buch von 1972) implizit ist, wie mit unter anderem mit Hans-Jost Frey bedacht wird?
Nicht nur hier werden Theoriemodelle ins Gespräch geholt, sondern auch sonst oft, mit manchmal spekulativen Resultaten wie jenem, daß Kafka Nabokovs Lolita besser geschrieben hätte, manchmal aber sehr spannenden Dia- und Polylogen um die Ecke – und alles ergibt nebenbei ein spannendes semantisches Netzwerk, das dem Band beigelegt ist: wer sich auf wen positiv oder negativ bezogen habe … wobei Anspielungen fehlen, etwa sich eine Kleist-Paraphrase im Text, und zwar vermutlich, weil sein Name nicht fällt, in der Graphik nicht niederschlägt. Gut, sie ist auch so…
Das Resultat: eigentlich keines. Aber der Weg dahin: lesenswert, wie auch manche Erinnerung wertvoll ist, etwa die an Walter Serner, über dessen Rang hier kein Zweifel aufkommt, wie allerdings auch leider über seine Präsenz auf dem Markt. Und vieles in diesem Band behandelt nicht nur gute Literatur, sondern ist es auch.
Fixpoetry 2016
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Fixpoetry.com und der Urheber
Dieser Artikel ist ausschließlich für den privaten Gebrauch bestimmt. Sie dürfen den Artikel jedoch gerne verlinken. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.
Neuen Kommentar schreiben