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Kritik

Kuba ohne Mojito und Son

Thomas Podhostniks "Der falsche Deutsche" ist ein Kubaroman, der alles andere darstellt als einen unbeschwerten Inselspaziergang.
Hamburg

Auf dem Umschlag des Romans von Thomas Podhostnik Der falsche Deutsche ist immerhin teilweise ein blauer Oldtimer zu sehen, der einen Hauch der nostalgischen Vorstellung transportiert, mit dem die Tourismusindustrie Besucher auf Kuba lockt. Den Hauptteil des Covers nimmt allerdings das völlig kaputte Innere eines Wagens ein, und wenn man dieses Bild mit dem der Handlung vorangestellten Zitat aus Shakespeares The Tempest zusammenbringt, ahnt man vielleicht, dass die Lektüre kein unbeschwerter Spaziergang über die Insel sein wird.

You taught me language; and my profit on’t is, I know how to curse.

Die Geschichte beginnt damit, dass der Kubaner Yanez mit dem namenlosen angeblichen Deutschen, genannt der Blonde, verabredet, sich gegenseitig die jeweilige Sprache zu lehren. Das ist der Einstieg in einen Roman, dessen Handlung schnell erzählt ist. Die beiden treffen sich, zu einem Zeitpunkt, als Fidel Castro noch Máximo Lider war, am Instituto Superior de Arte, wo der Blonde plant, seine Kenntnisse als Kameramann und Fotograf zu erweitern, während Yanez dort (vor allem deutsche) Philosophie unterrichtet. Yanez behauptet, den Blonden angesprochen zu haben, um mit ihm über Deutschland zu sprechen. Durch Yanez und Marta, bei der der Blonde anfänglich wohnt, lernt er eine Menge Leute kennen, mit denen er in unterschiedlicher Weise seine Zeit in Havanna verbringt, bis er am Ende fast fluchtartig abreist.

Über den Blonden erfährt man nicht viel. Auf der ersten Seite wird er mit blauen Augen und flachsblondem Haar beschrieben, er selbst weist auf seine hohen Wangenknochen hin. Yanez fragt, wie er heiße.

Jetzt musste der Blonde lügen, wenn er einmal ein Deutscher sein wollte.

Durch dieses Ungefähre und die Tatsache, dass der Protagonist keinen Namen hat, wird von Anfang an eine gewisse Distanz geschaffen, die sich im Verlauf des Romans nicht ganz abbaut. Auch die Träume des Blonden verraten nicht viel. Für Janez, dem er sich in Freundschaft verbunden fühlt, ist er nur der Prototyp eines Deutschen und am Schluss fühlt er sich von Yanez benutzt:

Er erinnerte sich, dass Irma ihm erzählt hatte, er sei nicht Yanez‘ erster Deutscher. Kurz schien es ihm, als wäre sein einziger Wert auf der Insel, mit Einheimischen bis zur Bewusstlosigkeit trinken zu können.
Der wievielte Deutsche sei er denn?
Zehn, zwanzig. Sie könne es nicht sagen. Einer sehe aus wie der andere. Sie habe sie nicht gezählt.

Wer Havanna nicht kennt, erhält durch den Roman keine genaue Vorstellung. Zwar werden der Bezirk Reparto Flores, einige Straßennamen, das Capitolino und der Malecón erwähnt, aber dann heißt es wenig konkret,

Der Blonde stand mit Yanez auf einer Anhöhe über der Stadt oder Sie stiegen einen Hügel hinauf.

Umso mehr Gewicht haben die Fotografien und Beobachtungen des Deutschen, dem Yanez einmal vorwirft, er sehe nur das Schlechte von Havanna, er suche

nur nach Fehlern.

Ein Bild für das heruntergekommen Havanna, sind für den Blonden kranke oder tote Hunde, zum Beispiel ein Hund,

der den Hinterleib nachzog

oder die Beschreibung eines Kadaver, der am Straßenrand lag,

rote Krabben stocherten mit den Zangen in der klaffenden Bauchhöhle eines Hundes.

Und mit den Krabben haben wir gleichzeitig die zweite Metapher, die sowohl in seinen Träumen als auch in der Realität auftaucht.

Eine Krabbe rannte über den Gehweg, sie verschwand zwischen den Steinplatten in einem Erdloch. Er träumte. Eine riesenhafte, hochbeinige Krabbe verstellt ihm den Weg.

Bei seinem Geschenk zu der nicht ganz ernst zu nehmenden Hochzeit von Yanez und der Fernsehansagerin Irma, gibt uns der Blonde einen möglichen Hinweis auf den Grund seiner Vorliebe für Hundefotografien.

Es werde Yanez nicht gefallen, aber er könne es als Kritik am Regime nehmen, sagte der Blonde. Die deutschen Zeitungsseiten rissen ein, Fetzen fielen zu Boden. Eine Holztafel mit Polaroidfotos erschien, eine Straßenszene im Stadtkern, zergliedert in Einzelaufnahmen aus verschiedenen Blickwinkeln, auf jedem Foto ein kranker, verschorfter, verendender, flohbedeckter Hund. Perros delle calle, sagte er.

Das Verhältnis zwischen Yanez mit seiner überhöhten Vorstellung von Deutschland und dem Blonden ist zwiespältig und oft durch scheinbar hochintellektuelle Gespräche verschleiert. Der Blonde hat mit Irma geschlafen, was Yanez weiß.

Schwamm drüber. Er gab dem Blonden das Foto zurück. Ich kenne eure Philosophie. Ich lerne dabei und habe es erwartet. Yanez legt ihm, die Hand auf die Schulter. Es kursiert das Gerücht, Martin Heidegger habe Paul Celan auf dem Gewissen. Vielleicht bist du mein Martin Heidegger, ich will es hoffen. Aber genauso hoffentlich bin ich nicht dein Paul Celan.
Ich bin kein Deutscher, sagte der Blonde.

Wie Yanez den Ehebruch übertrieben mit einem Exkurs auf Heidegger und Celan abtut, klingt unecht, passt aber zu dem Verhalten der übrigen Personen des Romans, die sich alle für Lügner halten und unfähig zu echten Beziehungen sind. Außer mit Yanez sind es vor allem Frauen, mit denen der Blonde seine Zeit verbringt und außer bei der Zimmerwirtin Marta und der lesbischen Carmen aus Kanada, bedeutet die Zeit mit ihnen zu verbringen, dass er mit ihnen schläft. Diese Sexszenen spielen in einer Atmosphäre, die wenig mit Erotik zu tun hat, sondern eher zu den anderen negativen Darstellungen passen. Da gibt es zum einen Carmen, die mit Irma sadomasochistische Spiele treibt, und zum anderen den Blonden, der nichts anbrennen lässt, aber selbst beim Liebespiel undurchsichtig bleibt.

Wie du es machst, sagte Irma, das ist eigenartig. Manche sind nicht mit dem Herzen dabei, manche nicht mit dem Geist, aber du bist nicht einmal mit dem Körper dabei. Du machst es nur mit den Augen. Irma nieste gegen ihren Handrücken. Als sie die Hand zur Seite nahm hing Auswurf daran. Er nahm ihn mit den Fingern und aß ihn.

Als er mit einer flüchtigen Bekannten schläft und dabei nach einem Kissen fasst, verursachte ihm der

Geruch von Katzenpisse

Atemnot. Das kolumbianische Drogenmädchen hat seine Tage, so dass sie

nackt auf den von Schweiß und Blut nassen Fliesen

lagen und am Ende des Romans kurz vor seiner Abreise lag Yanez‘ Mutter

mit geöffneten Armen vor ihm, kalt glühend wie ein Leuchtkäfer oder ein Stück vom Mond. Er drehte sie auf den Bauch, stieß sie in die schwarze Erde, die noch klamm vom Blut der geschlachteten Tiere war.

Es ist ein radikal subjektiver Blick, mit dem Thomas Podhostnik seinen Helden durch Kuba und vor allem Havanna reisen lässt. Abseits aller Touristenseligkeit beschreibt er die Stadt so zerfallen,

als hätte vor langer Zeit ein Krieg getobt,

die Häuser als dunkel und feucht wie Ruinen. Obwohl man nicht viel über den Blonden erfährt, scheint es dennoch deutlich zu sein, dass er die schönen Seiten der Stadt nicht wahrnimmt, nicht wahrnehmen kann, weil das Negative sein Inneres widerspiegelt.

Die Sprache des Romans ist dem Blickwinkel des Protagonisten angepasst. Parataktische Sätze, dialogische Andeutungen, sehr schön mit vielen spanischen Wörtern angereichert, überwiegen; kurze Abschnitte bestimmen den Verlauf. Der Verlag spricht von "schnellen Schnitten" und "radikaler Dramaturgie" und tatsächlich wirkt der Roman manchmal wie ein Drehbuch. Wenn man sich als Leser darauf einlässt, spürt man im Verlauf des Romans deutlich die Verlorenheit seiner Figuren.

 

 

 

Thomas Podhostnik
Der falsche Deutsche
Luftschacht Verlag
2015 · 152 Seiten · 17,40 Euro
ISBN:
978-3-902844-83-5

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