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Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
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Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
Kritik

Ein Klischee als Arbeitsgrundlage

Cowboylyrik aus Leipzig

Natürlich ist das eine lustige Idee und noch dazu geht es ums Klischee. Man sitzt im Café und verlustiert sich über das jährliche National Cowboy Poetry Gathering, wo sich eine romantisierende, nostalgische US-Subkultur reimend um eines der wenigen traditionellen Erben kümmert, welche die USA überhaupt haben: das Leben der Cowboys. „...dass es die Krönung meiner lyrischen Laufbahn bedeutete, wenn ich einmal beim großen Festival der Cowboy-Lyrik in Elko/Nevada auftreten dürfe, mit Jeansjacke, Schnauzbart und Kotletten“ verkündet Ulf Stolterfoht am Tisch und die beisitzenden Studierenden des Leipziger Lyrikseminars springen auf die Satire an und beschließen: sie schreiben fortan bleihaltige Gedichte, daß die Saloon-Wände wackeln.

Nun sind diese Gedichte bei Urs Engeler als roughbook 3 erschienen, ein kleinformatiges, schmales Paperback mit 64 Seiten präsentiert teils sehr erstaunliche Ergebnisse. Neben bekannten Namen, die man schon länger aus Leipzig aufblitzen sieht, gibt es viele Neuentdeckungen mit erstklassigen Texten: Katharina Stooß eröffnet den Reigen auf denkbar beste Art mit einer knappen Ballade, Claudia Gülzow nutzt Text als Pinselstriche, bei Gerald Ridder fressen Fakten am Klischee, kurz und bündig stellt er Moderhinke und Flotzmaul in die Welt, Julia Dathe ist lebendig und echt, Eva Roman schickt humorvoll eine sprachspielende Nachricht an den lebenslänglichen Winnetou Pierre Brice, Choleda Jasdany gleicht die Realitäten ab, die waggonweise mit uns an uns vorbeifahren. Uns bekannte, längst liebgewonnene Dichter glänzen: Christian Kreis läuft elegisch zu großer Form auf (was bei ihm heißt Humor und satirisch vermischte Körpersäfte), Mirko Wenig findet immer eine sonderbare Spur im Alltäglichen, die aus der Tragik herrührt, Betram Reinecke fasziniert, indem er uralte Schilderungen in unsere Zeit eintaktet, Sascha Kokot überzeugt mit großer Sensitivität und blockgesetzten Ausschnitten, Fensterbilder in die wirkliche Zeit.

Es sind sehr viele verschiedene Verfahren in den Texten aufgehoben, das Meiste aus den letzten 40 Jahren Lyrik findet sich auf irgendeine Art und Weise, wenn auch verändert, wieder. Und natürlich auch das Bestreben darüber hinaus zu kommen. Konstantin Ames beispielsweise versucht es, konstruiert und macht und tut und hat dann doch nur Bastellyrik vorzulegen.

Insgesamt eine gelungene Anthologie, die viele gute Texte zu einem Thema präsentiert, das klischeebesetzter nicht sein könnte. Vielleicht gehört es zum Kunstverständnis von Ulf Solterfoht, Klischees dadurch zu zerbröseln, daß man sich ihnen satirisch nähert und Sinn und Unsinn miteinander kollidieren läßt. Auffällig ist, daß sich der große Teil der Texte nämlich auch der Klischees als Arbeitsgrundlage bedient und nur wenige Texte versuchen sich den aus heutiger Sicht doch ziemlich unglaublichen Lebensverhältnissen, denen die real existierenden Cowboys ausgesetzt waren, anzunähern. Ein Drittel der Cowboys waren Schwarze oder Indianer, und gerade die Indianer waren jene, die allen anderen vorturnten, was ein Cowboy zu leisten hat, weil sie es von den Spaniern in Mexiko gelernt hatten, bei denen sie als Kriegsgefangene die Herden hüten mußten. Man sollte sich authentische Quellen besorgen, wie so ein Leben in realiter aussah. Wer z.B. beim Schlafen während der Nachtwache erwischt wurde, durfte sofort seine Sachen packen – daher rieben sich einige Cowboys Tabak in die Augen, weil das einen ungeheuren Schmerz verursachte, sobald die Augenlider zufielen und zublieben. Nur ein kleines Beispiel dafür, was diese Menschen auf sich nahmen, um sommersüber in Lohn und Brot zu sein (wintersüber verkroch man sich in verlassene Siedlerhäuser oder vagabundierte unterschlupfsuchend überland – viele erfroren dabei).

GERALD RIDDER

Lonesome Cowboy II

Nach dem Viehtrieb übern Chrisholm Trail
Kam es in den Saloons von Dodge City
Nicht selten zu Schußwechseln wegen
Noch zu begleichender Rechnungen
Oder einem Mädchen.

Weniger bekannt ist, dass
Der Cowboy die Klauenpflege der Tiere übernahm,
Um Moderhinke vorzubeugen.

Ulf Stolterfoht
Cowboylyrik
Lyrikkurs des Literaturinstituts Leipzig
Urs Engeler
2009 · 64 Seiten · 8,00 Euro
ISBN:
978-3-938767733

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