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Komm! Ins Offene haus für poesie
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Komm! Ins Offene haus für poesie
Kritik

Die Spinne im Sprachnetz

Hamburg

„Man müsste, wenn man könnte, mit einem Gedicht antworten. Stattdessen Notizen“, schrieb Reinhard Kaiser-Mühleck in der Neuen Rundschau 2009 über seine Begegnung mit den Gedichten Raymond Carvers und ich muss das hier zitieren, weil die einzig angemessene Besprechung von Uljana Wolfs dritten Gedichtband „Meine schönste Lengevitch“ eben diese Antwort in einem Gedicht wäre.

Da mir das nicht möglich ist, beginne ich mit dem Titel: Meine schönste Lengevitch, treffender könnte der Titel für Uljana Wolfs dritten Gedichtband nicht sein.

Der Titel ist dem Deutsch-Amerikaner Kurt M. Stein entlehnt, der 1925 the most beautiful language und die schönste Sprache zur „schönsten Lengevitch“ vermischte.

Immer schon ging es Wolf (wie jedem ernstzunehmenden Dichter) um die Sprache, aber eben nicht nur um eine Sprache, sondern um die Verschiebungen der Worte beim Übergang in eine andere Sprache, um das Spiel mit den Grenzen.

Uljana Wolf ist eine schweigsame Dichterin, eine, deren Gedichte niemals ausladend und geschwätzig sind, sondern immer Ergebnis eines hartnäckigen Ringens im Raum zwischen der Sprache und dem Unaussprechlichen. Und sie verfolgt dabei einen Weg, der sich aus ihren Gedichtbänden herauskristallisieren lässt. Spätestens jetzt, im dritten Band, wird ein Muster erkennbar, ein Webmuster der Netze, die sie auswirft. Schon in ihrem ersten Gedichtband „Kochanie ich habe Brot gekauft“ thematisierte Wolf nicht nur die Sprachlosigkeit zwischen den Generationen und Nationen, vielmehr trugen schon diese Gedichte dazu bei, dass  „die fremde gespräche aus“ [bildete].

„Alphabet der Irrtümer“ hat Michaela Schmitz ihre Besprechung zum zweiten Gedichtband Uljana Wolfs „Falsche Freunde“ genannt. Hier wird das vorbereitete Gespräch mit der Ferne auf Fallgruben untersucht.

Wolf macht aus vermeintlichen Fehlerquellen einen Ursprung für Neues, für „Neuschöpfungen aufgrund ehrlicher Verwechslungen“.

In den Gedichten spürt man Neugierde der Dichterin, ihre Freude am Spiel mit der Sprache und darüber hinaus taucht Wolf ganz tief in die Sprache ein, um Neues, so bislang noch nie Gesehenes (Gehörtes) zu Tage zu fördern.

Mit ihrem dritten Gedichtband schenkt Uljana Wolf ihren Lesern zum dritten Mal ein Licht, um in die dunklen Ecken der Sprache vordringen zu können

         „Sist zappenduster im gedicht,
         welche sprache es wohl
         spricht?“

Bei Uljana Wolf spricht das Gedicht eine webende Sprache, Themen ziehen sich als Gedankenfäden durch das fein gesponnene Textgewebe zwischen Sinn und Verstand, Handarbeit und Hysterie, Grimm und Wolf. Vom Verlust (Aphasie) zum Gewinn der Sprache, vom Anfang („Zahnweh als Zeitweh) zum Ende einer Lengevitch.

Briklebritt, mit dem alles beginnt, dieser „weiße esel, leiser als schnee“, auch er ist Sprache. Märchensprache.

Schon wird die Sprache zur lengevitch, alles verdoppelt sich. Frau Stein gesellt sich zu Herrn Stein, verknüpft durch Uljana Wolf zu einem „doppelgeherrede“ oder eine „rede mit aufgepicktem wort“ (Sternmullrede), darin die Frage:

"an den rändern liegt so manches,
nur wo lieg ich?“

Jenseits der Sprache, oder eingewoben in ihre Muster? Eine Frage, denen Wolfs Gedichte Stück für Stück, Masche für Masche, mögliche Antworten abtrotzen.

Und selbstredend hat auch in diesem Band das Politische seinen Raum in den Gedichten,  das Einfühlen und Mitfühlen mit denen im Asyl, und mit denen, die „anstelle von heimat [¡K] die verwandlungen der welt“ halten, wie Nelly Sachs zitiert wird.

Auch die Geschichte Bertha Pappenheims, die als Anna O. in den Studien Freuds und Breuers über die Hysterie auftaucht, hat Wolf inspiriert, denn auch bei ihr spielte die Sprachverwirrung eine gewisse Rolle, und die Tatsache, dass sie später als Frauenrechtlerin und Sozialarbeiterin von ihren Reisen seltene Spitzenarbeiten mitbrachte, die heute im Museum für Kunst in Wien aufbewahrt werden, fügt sich wunderbar in die Knüpfarbeit der Gedichte.

Der Band schließt mit dem Kapitel „Babeltrack“. In Notizen zu einer Lengevitch, schreibt Wolf zu dieser Verwebung von Sprache und Spitzen.

        „[...] ein kind im kopf, das sprache hat,
         die nicht geschrieben, keine niederkunft für dieses sprachen-
         kind, wabenartige tage, tragetage, verwebtes weiß und weiß
         mit mäusezähnen am rand, gehäkeltes material, schlingen
         und blasen im speichel gebildet, gebubbelt, gebabelt, [¡K]

Dort, in der der Sprachblase der Kinder noch alle Sprachen möglich sind, vereint in einem einzigen noch unentwirrten Knäuel, oder in den naturgemäß sehr viel schöneren Worten Uljana Wolfs:

„mit dem ersten blusteren lallen,
sind sie in der lage, alle denklichen laute aller sprachen zu
erzeugen, blase steigt auf, welche sie dann vergessen, blase
schwebt bedeutungsschwanger überm mittag, wenn sie ihre
muttersprache lernen, platzt“

Die Sprache also, die aus den Märchen kommt, jedenfalls aber mindestens Wunder wirkt, verfolgen über mehrere Grenzen, ihr schließlich zusehen, wie sie zubereitet wird, um dann aus einem Monolog, einen Dialog zu machen (oder auch anders herum), immer angereichert mit Spitzen und Sprachverwirrung.

Nicht nur indem Wolf Gesetzestexte und Vorschriften in ihre Gedichte webt, verknüpft sie das Alltägliche und das Poltische mit der Poesie. Ich glaube, es liegt eher daran, dass sie so präzise ist, dass sie neben der Fantasie, neben der Fähigkeit Verknüpfungen herzustellen, über eine Genauigkeit verfügt, die ihre Gedichte so besonders, und so besonders wertvoll machen. Uljana Wolf weiß, wovon sie redet. Und dann lässt sie die Details explodieren, in einem Gedicht. Aber vorher hat sie ein Netz aus Poesie gesponnen, aus dem sich der Leser weder befreien kann noch will. Und dieses Netz ist gemacht aus dem, was ist. Pure Gegenwart in einer verwirrenden Klarheit.

Uljana Wolf
Meine schönste Lengevitch
Gestaltung: Andreas Töpfer
kookbooks
2013 · 88 Seiten · 19,90 Euro
ISBN:
9783937445571

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