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Kritik

„Ausbrechen in die Freiheit des Schweigens“

Hamburg

Wolfgang Bächler — das war einer der wenigen Dichternamen, mit denen ich damals im Deutschunterricht konfrontiert wurde. Natürlich waren ausschließlich zeitkritische Gedichte überhaupt der Behandlung wert, deshalb war Bächler als Mitglied der ersten Tagung der Gruppe 47 und angeblicher Vertreter der sogenannten Kahlschlagliteratur ein treffliches Beispiel für die Dichtung jüngerer Vergangenheit, und ich erinnere mich deutlich, daß es sich bei dem besprochenen Text um „Die Erde bebt noch“ handelte. Als ich mich später — zweifellos: trotz der Segnungen des Deutschunterrichts — für Lyrik zu interessieren begann, schien mir, daß es um Wolfgang Bächler, der dann 2007 in München starb, bereits ziemlich still geworden war. Umso schöner, daß nun der S. Fischer Verlag außerhalb irgendwelcher Gedenkdaten einen mit beinahe vierhundert Seiten durchaus stattlichen Kleinoktavband mit Bächlers gesammelten Gedichten veröffentlicht hat, eine wunderbare Gelegenheit, frühere Etikettierungen zu überprüfen und den Autor in seiner lyrischen Spannweite neu kennenzulernen und zu würdigen.

Das Gedicht „Die Erde bebt noch“ findet sich in der ersten Sammlung des Fünfundzwanzigjährigen, „Die Zisterne“ (1950). In der Vielfalt seiner Tonlagen ist dieser Band auch heute noch beeindruckend. Allerdings ist von der Kahlschlagstimmung beispielsweise eines Günter Eich mit dessen tastender Neusondierung der Sprache nur wenig zu spüren. „Als ich Soldat war, schrieb ich kein Gedicht“, erklärt der Kriegheimkehrer Bächler knallhart und bannt den erlebten Schrecken in die Reime seiner am Expressionismus geschulten Strophen. Doch über allem schwebt eine frühlingshafte Aufbruchslust, ein Vertrauen in die Sprache und ihre Möglichkeiten, ihre Fülle, sie ist eine Geliebte, mit ihr zeugt man die Welt als Gedicht, sie ist der unauslöschliche Strom, der einen dahinträgt, „schräg durch das Nichts“. Wenn ein Günter Eich gewidmetes Gedicht gleichsam programmatisch mit den Zeilen „Auf Halmen und Blättern verschwistern / sich Blüten- und Straßenstaub“ endet, dann zeigt sich, wie dicht die profane und die dichterische Sphäre nebeneinander lagen. Die Erde mag zwar noch beben, aber „sie trägt auch mich, / diese Erde, / mich, den Gewittergebornen“.

Daß sich Wolfgang Bächler gehorsamen Einordnungen immer weiter entzieht, zeigen die weiteren Sammlungen aus den fünfziger und sechziger Jahren. In „Lichtwechsel“ (1955) dominiert ein klarer, unpathetischer Hymnenton, ein Heraustreten von Liebe und Landschaft aus den Schatten und Gewittern der bundesdeutschen Gegenwart. In dem titelgebenden Gedicht — in dem das Ich nach seiner Nachtschicht aus den Toren einer lärmenden Fabrik tritt — findet dieser Akt ein schlichtes Bild: „Aus den Kaminen / stieg die verbrannte / Kohle der Nacht / in den heiteren Morgen.“ Doch schleichen sich bald wieder Verdunkelungen, Zurücknahmen ein, etwa wenn dem daseinsfeiernden Gedicht „Variationen über Rot“ eine ziemlich blutige Antithese hinzugefügt wird. Schrill alarmierte zeitkritische Töne schlägt dann Bächlers nächste Sammlung an, „Türklingel“ (1962), hier ist die politische Unruhe der kommenden Jahre bereits spürbar, die Gedichte sind balladesk, verzerrt, pragmatisch, beinahe unlyrisch im Vergleich zu den früheren. Auch die unter dem zynischen Titel „Kein schöner Tod in diesem Land“ gesammelten Gedichte aus dem Jahre 1977 fallen durch diesen anderen Stil auf, und es scheint beinahe, als habe Bächler seine zeitkritischen Gedichte separieren wollen, auch wenn natürlich im übrigen Werk kritische Bemerkungen keinesfalls vermieden werden.

Bächlers melancholische Neigung zu verfallenen, verwaisten Orten und Landschaften, den Niemandsländern, zeigt sich besonders in „Türen aus Rauch“ (1963). Es gelingen ihm nach wie vor eindrückliche, stimmungsvolle Szenen solcher verlorenen Paradiese, Momentaufnahmen und Beschreibungen von hoher Präsenz, dennoch kommt immer öfter das Verschwinden der Sprache zum Ausdruck, der Stillstand, die Kälte. Das die Sammlung “Ausbrechen“ (1976) beschließende Gedicht verrät, woraus und wohin die Flucht führt — es ist der Wunsch nach einem „Ausbrechen / in die Freiheit des Schweigens“. Nach dem folgenden „Nachtleben“ (1982) nimmt die Gedichtproduktion in den achtziger und neunziger Jahren rapide ab, als müsse das ersehnte Schweigen allmählich eingeübt werden. Zuvor aber gelingen Bächler wunderbare Strophen einer träumerischen Resignation, und wohl eines der schönsten deutschen Liebesgedichte: „Bahnhof. Regen. / Der Zug hat Verspätung. / Ich warte auf dich. // Aber so lange / kann kein Zug / sich verspäten, / wie ich gewartet habe / auf dich, / bevor ich dich kannte.“ All das kann nicht über eine pessimistische, ja depressive Grundhaltung hinwegtäuschen: „Die Toten verstellen mir den Weg“, „Mit verdorrten Händen liege ich da“, „Ich bin unzufrieden“, „Ich habe die Richtung verloren“ usw. Die Wahrnehmung der Dinge bekommt einen surrealen, alptraumhaften Unterton, und die große unerfüllte Sehnsucht bricht sich in schroffen, jede Larmoyanz meidenden Strophen ihre Bahn. Bis die Befreiung durch die Zeit beginnt. Oder das Schweigen erreicht ist, wo es nichts mehr zu sagen gibt.

Wo Wolfgang Bächler zuletzt zu verorten ist, mag sich vielleicht erst noch zeigen, die einzelgängerischen Gedichte jedenfalls verweigern sich einer allzu schlichten Etikettierung. Immerhin ermöglicht der vorliegende Band die längst überfällige Wiederbegegnung mit einem modernen Klassiker, einem formbewußten, keine Wörter verschwendenden Dichter, einem skeptischen, aufmerksamen, kritischen, stets um das persönliche Glück schwer ringenden Zeitgenossen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in diesem „Stiefdeutschland, Stiefvaterland“. Daher ist es ein wenig betrüblich, daß man der schönen und wichtigen Ausgabe nicht zumindest eine haltbarere Fadenheftung gegönnt hat.

Wolfgang Bächler · Katja Bächle (Hg.) · Jürgen Hosemann (Hg.)
Wolfgang Bächler
S.Fischer
2012 · 400 Seiten · 17,00 Euro
ISBN:
978-3-100035097

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