Die Gegenwart macht immer bange
Friedrich Rückert wird im neuen, schönen Band Wolfgang Weyers als Vergessener vorgestellt: wiewohl er in Anthologien der Jahrhundertwende noch sozusagen unvermeidlich war, nicht durchwegs geliebt, doch kanonisch, in Storms Hausbuch aus deutschen Dichtern seit Claudius gar der am häufigsten vertretene Poet, mit mehr Gedichten darin präsent, als Goethe und Schiller zusammen. So ist das Buch eine Wiederentdeckung, geradezu – jedenfalls, wenn man Weyers hier folgt, nämlich seiner Einschätzung, daß Rückert vollends vergessen sei, woran ich zweifle. Auszugehen ist hingegen sicherlich mit Weyers davon, daß Rückert zu lesen sich lohne, wovon jedenfalls zum Teil auszugehen ist.
Die Frage, warum Rückert nicht mehr ganz die Popularität hat, die er einst genoß, beantwortet Weyers schlüssig; es sind Gründe, die, wie auffällt, ja auch für Klopstocks Sinken verantwortlich sind.1Der schwindende Stellenwert der Lyrik ist da zu nennen, worin Klopstock seine größten Momente gehabt haben mag und worauf Rückert sich großteils konzentrierte. Rückert fehlt auch das kanonische Hauptwerk, das mit dem Messias sich bei Klopstock hingegen einem Thema widmet, das obsolet erscheint. Der Geniekult, das Ausufernde, dann das Pathos, „zeitlose Gedanken” formulieren zu wollen, wie der Verfasser oder, manchmal, wo das Verfassen das Arrangieren von Texten ist: beinahe eher Herausgeber Weyers selbst – auch nicht ganz pathosresistent – schreibt. Rückert haderte auch mit der Orthographie, der er (und wieder möchte man hinzusetze: wie Klopstock) Kreatives abzutrotzen suchte.
Zugleich sind, und das hebt auch Weyer selbst hervor, Rückerts Qualitäten ebenso jene Klopstocks, jedenfalls unter mehrerlei Aspekten – von der rhythmusnotorischen Herangehensweise, beim „Metriker” Rückert sind es Distichen über die Nähe von Sprache und Denken, man lese Klopstocks Ode Die Sprache hierzu in extenso, die der Verfasser/Herausgeber erwähnt, bis zum Freiheitsgedanken, der beide umtreibt. Und jene Qualitäten machen eben, daß Rückert lesenswert bleibt – und, dank beigelegten CDs, hörenswert. Solchen Sätzen zum Trotz wie jenem Rückerts, daß die „Gegenwart [...] immer bange” macht, sind das Buch und sein Dichter durchaus heutig, jedenfalls aufs Heute beziehbar.
Weyers, der sich bei seinem Buch nicht recht entscheiden wollte, ob es nun Fachbuch ist, oder nicht, führt in dieses Werk manchmal enthusiasmiert, dann auch sehr nüchtern ein. Der Satz, daß Freiheitslyrik „der Karriere förderlich” sein könne, ist Beleg für die karge Klarheit, fürs Pathos die Wendung, ein Dichter strebe danach, seine Liebe „dem Ablauf der Zeit zu entziehen” – das Ergebnis ist nicht immer kohärent, auch, daß der Herausgeber nicht Germanist (sondern Dermatologe) ist, macht sich bemerkbar; doch ist zugleich das Buch, das durch Gedichte und Lieder Rückert Profil verleiht, dadurch lebendig, widersprüchlich also in einem guten Sinne; und es ist nuanciert.
Alles in allem kann man dieses Buch empfehlen, es schließt eine Lücke.
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F.G. Klopstock: Die Sprache
An Carl Friedrich Cramer
Des Gedankens Zwilling, das Wort scheint Hall nur,
Der in die Luft hinfließt: heiliges Band
Des Sterblichen ist es, erhebt
Die Vernunft ihm, und das Herz ihm!Und er weiß es; denn er erfand, durch Zeichen
Fest, wie den Fels, hinzuzaubern den Hall!
Da ruht er; doch kaum, daß der Blick
Sich ihm senket, so erwacht er.Es erreicht die Farbe dich nicht, des Marmors
Feilbare Last, Göttin Sprache, dich nicht!
Nur weniges bilden sie uns:
Und es zeigt sich uns auf einmal.Dem Erfinder, welcher durch dich des Hörers
Seele bewegt, tat die Schöpfung sich auf!
Wie Düften entschwebt, was er sagt,
Mit dem Reize der Erwartung,Mit der Menschenstimme Gewalt, mit ihrem
Höheren Reiz, höchsten, wenn sie Gesang
Hinströmet, und inniger so
In die Seele sich ergießet.Doch, Erfinder, täusche dich nicht! Für dich nur
Ist es gedacht, was zum Laute nicht wird,
Für dich nur; wie tief auch, wie hell,
Wie begeisternd du es dachtest.Die Gespielen sind ihr zu lieb der Sprache;
Trenne sie nicht! Enge Fessel, geringt
An lemnischer Esse, vereint
Ihr den Wohlklang, und den Verstanz.Harmonie zu sondern, die so einstimmet,
Meidet, wer weiß, welcher Zweck sie verband:
Die Trennungen zwingen zu viel
Des Gedachten zu verstummen.Von dem Ausland, Deutsche, das Tanz des Liedes
Klagend entbehrt, lernet ganz, was es ist,
Dem viele von euch, wie Athen
Ihm auch horchte, noch so taub sind.Und es schwebt doch kühn, und gewiß Teutona
Wendungen hin, die Hellenis sogar
Nicht alle, mit stolzem Gefühl
Des Gelingens sich erköre.Den Gespielen lasset, und ihr, der Göttin,
Blumen uns streun: Himmelschlüsseln dem Klang,
Dem Tanz Hyazinthen, und ihr
Von den Rosen, die bemoost sind.Sie entglühen lieblicher, als der Schwestern
Blühendster Busch, duften süßern Geruch;
Auch schmückt sie ihr moosig Gewand,
Und durchräuchert ihr Gedüfte.
Friedrich Gottlieb Klopstock: Ausgewählte Werke, hrsg.v. Karl August Schleiden München: Hanser 1962, S.131f.
- 1. cf. hierzu auch Martin A. Hainz: Kanon – wem der Rohrstock schlägt. Zu Friedrich G. Klopstocks Position/Negation im Kanon. In: Der Kanon. Perspektiven, Erweiterungen und Revisionen, hrsg.v. Jürgen Struger. Wien: Praesens Verlag 2008 (=Stimulus 2007), S.191-202, passim
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