Sie kaufen nicht nur ein Gemälde
(auf den Verkauf von van Goghs "Schwertlilien" für 49 Mio. $)
sie kaufen den geschmack seines bluts
sie kaufen einen hauch vergifteten dampfs der
aus den rissen seines schädels entwich
sie kaufen sein fieber und antibiotika
sie kaufen einen traum seines leidens
sie wollen seine fürze schnüffeln
sie wollen sich suhlen in seinem rausch und
beim abendessen nichts mehr davon wissen
sie wollen durch seine zersplitterten
fensterscheiben sehen
ohne sich die augen zu zerschneiden
es ist so als wäre gott nicht tot aber
auch nie geboren
es ist so als wäre das feuer nur da
um zu töten
(Übersetzung: Thomas Rackwitz)
49 Millionen Dollar für Lyrikbände
Die heutige Lyrik im deutschsprachigen Raum ist für mich persönlich nahezu tot, abgesehen von ein paar Ausnahmen (u. a. HEL, Popp, Schinkel) klingt alles sehr ähnlich. Sicher – die meisten Gedichte haben ein beachtlich hohes Niveau, aber es fehlt dieses gewisse Etwas – ich bin auf der Suche nach Gedichten, die mich verfolgen, mich nicht mehr loslassen, mich womöglich in den Wahnsinn treiben. Ich will den Dichter, um seine Bilder beneiden können. Das fehlt mir heutzutage im deutschsprachigen Raum, weshalb ich mich mehr und mehr von der deutschen Lyrik verabschiede.
Es gibt sie aber – die bleibenden Gedichte … Man muss halt nur ein wenig suchen. Eines dieser für mich bleibenden Gedichte ist das Gedicht „They’re not Buying a Painting“ von David Lerner aus seinem 1988 erschienen Gedichtband „I Want a New Gun“. Schon allein das Buch von Zeitgeist Press war für mich besonders. Da war dieser verführerische Geruch des zugegebenermaßen optisch amateurhaft gestalteten Buches, der mich zugleich in Versuchung führte, ein paar Gedichte des Höllenpoeten Lerners ins Deutsche zu übertragen.
Die Gedichte an sich waren sehr leicht zu verstehen und hatten nahezu allesamt eindringliche Bilder vorzuweisen, z. B. „ich will einen neuen revolver / der dem bösen vorauseilt / der mächtiger ist als die nacht“. Lerner vermag es wie kaum ein anderer, die Dinge in andere Zusammenhänge zu bringen, zu verzerren und somit eine komplett andere Sicht auf die Dinge heraufzubeschwören. Gleichzeitig vermochte er es aber – und das ist der Unterschied zur gekünstelten deutschen Szene – authentisch zu sein. Ich habe ihm alle seine Bilder abgekauft, auch wenn sie manchmal holperten und nicht ausgefeilt waren. Er hat für seine Poesie noch wirkliche Opfer gebracht, hat seine publizistische Laufbahn in den (weißen) Wind geschossen und ist letztlich wohl an seinen eigenen Ansprüchen, die Welt mit Gedichten zu retten, zugrunde gegangen.
Das angesprochene Gedicht fiel mir schon aufgrund des Metatextes auf „(on the sale of van Gogh’s ‚Irises’ for $49 million)“. Ich fragte mich, wie viele Lyrikbände man mit 49 Millionen Dollar kaufen könnte. Allein dieser Metatext ist genug, um zu verstehen, worum sich die Gedichte von Lerner drehen. Seine Gedichte richteten sich v. a. gegen die Sinnlosigkeit des Kapitalismus und den Verlust von Werten. Auf der einen Seite beschwört Lerner in seinem Gedicht den Künstler, der sich aufopfert und der selbst nichts vom Ruhm hat; und diese Form des Ruhmes womöglich auch nicht begehrt. Auf der anderen Seite setzt er sich despektierlich mit der Käuferseite auseinander, die sich nur der Kunst widmet, um zu prahlen bzw. sich wichtig zu machen. Die letzte Strophe des Gedichts bildet die Synthese (strukturell haben wir es hier also mit einem Sonett zu tun). So verständlich wie die ersten zehn Verse sich darstellten, so hermetisch ist die Aussage am Ende des Gedichts. In dieser kapitalistischen Welt ist kein Platz für einen Gott, nicht einmal für einen toten. Auch das Feuer hat keinen anderen Sinn als zu töten, also zu zerstören. Dem Feuer wird hiermit die schöpferische Funktion abgesprochen. Ist Kunst ohne Feuer überhaupt möglich? Das Gedicht lässt die Frage offen …
Neuen Kommentar schreiben