Lesart
Manfred Streubel* 1932† 1992

Geschichte einer Freundschaft

Sie hatten geredet vor jeglichem Ohr.
Zwei unzertrennlich Getreue.
Da knöpfte die Leitung sie einzeln sich vor.
Und forderte reichlich Reue.

Und als sie sich trafen, gestanden sie sich
verlegen, nach kurzem Umfassen:
„ Ab heute, mein Freund, ist es besser für dich –
dich nicht mehr auf mich zu verlassen.“

So gingen sie sich konsequent aus dem Weg.
Und sahen sich bei Kongreß und Kolleg,
dann sprachen sie kühn übers Wetter.

Und lächelten müde. Und alterten rasch.
Und lebten sehr hektisch. Und lebten sehr lasch.
Zwei ziemlich verlorene Retter.

Eingeständnis einer Schmach

Das knappe Korsett des Sonetts genügt Manfred Streubel (1932-1992), um das Innenleben der Diktatur schlaglichtartig zu beleuchten. Wer glaubt, Freundschaft stelle einen universellen, unveränderlichen Wert an sich dar, der wird hier des Gegenteils belehrt. Jede Freundschaft hat ihre Geschichte, ihre besondere Atmosphäre, ihre sozial - und  lebensgeschichtlichen Hintergründe und innere Logik.  In ruhigen Zeiten kann eine Freundschaft lebenslang dauern, ohne je auf die Probe gestellt zu werden. In kritischen Momenten indes kann sie sich unversehens als verletzlicher erweisen als man geglaubt hätte. Freundschaft kann sich natürlicherweise erschöpfen, sie kann aber auch von außen zerstört werden.

Von der Zerstörung einer Freundschaft handelt dieses Gedicht, von der persönlichen Niederlage zweier Menschen, die dem Druck, der auf sie ausgeübt wird, entgegen ihren eigenen Erwartungen, nicht standhalten und die, bevor sie einander verraten können, gerade noch die Kraft aufbringen, sich gegenseitig zu warnen: „ Ab heute, mein Freund, ist es besser für dich -/ dich nicht mehr auf mich zu verlassen.“ In ihrer vermeintlich persönlichen Niederlage spiegelt sich das Versagen des gesamten gesellschaftlichen Systems.

Manfred Streubels Gedichtband Wachsende Ringe, dem dieses Sonett entnommen ist, erschien im Jahre 1980 im Mitteldeutschen Verlag Halle/Leipzig. Das Ende der DDR war zum damaligen Zeitpunkt noch nicht absehbar, der Lyriker Manfred Streubel aber war bereits  seit langem auf innere Distanz zu jenem  Staat gegangen, der einst als das bessere Deutschland auf den Plan getreten war und durch große Parolen die Hoffungen und den Enthusiasmus einer ganzen Generation befeuert hatte.

Auch Streubel hatte als junger Mann zu denjenigen gehört, die an  die DDR geglaubt hatten; die Entwicklungen im realen Sozialismus hatten ihn jedoch bald eines Besseren belehrt und ihn vom gefeierten  Nachwuchstalent auf den verlorenen Posten des nunmehr Geduldeten  befördert.  Spätestens seit Mitte der sechziger Jahre steht Streubel eindeutig auf Seiten derer, die man zu den Unzuverlässigen im Lande zählt. Zwar entgeht er mehrere Male der Verhaftung, doch er weiß, dass er unter permanenter Beobachtung steht.  Dieser Zustand wächst sich mit den Jahren zu einer unerträglichen psychischen Belastung aus; schwere Depressionen sind die Folge, Schaffenskrisen und ein weitgehend zerstörtes Privatleben. Den Zusammenbruch der DDR erlebt Streubel als seelisch und körperlich schwer angeschlagener Mann. Zwar  lässt er in den folgenden Jahren nichts unversucht, das Blatt noch einmal zu wenden, doch – Ironie des Schicksal –  die neu gewonnene Freiheit erweist sich als Falle; im politisch aufgeheizten Klima der Nachwendezeit ist definitiv kein Platz für die verhaltene Stimme dieses – im lautersten Sinne des Wortes -  Christen und Humanisten.  Krank, zermürbt und ohne jegliche Hoffung auf eine bessere Zukunft, setzt Streubel im Jahre 1992, 59jährig, unter niemals vollends geklärten Umständen seinem Leben ein Ende.

Was bleibt, so könnte man fragen, von diesem, an objektiven Maßstäben gemessen gescheiterten Leben? Keines von Streubels Büchern ist noch im Handel; sein Name dürfte heutzutage höchstens einer verschwindend kleinen Minderheit unverdrossener Leser im Osten Deutschland noch ein Begriff sein. Die Chancen, dass sich dies jemals ändern könnte, stehen denkbar schlecht.

Und doch hätte Streubel sich wohl gegen die Rolle des Opfers verwahrt. Zu Recht, denn ein Schriftsteller ist niemals nur ein Opfer. Was ihn überlebt, ist allemal sein Wort – und sei es nur, dass es an den Rändern immer wieder einmal auftaucht, um in neuen Zusammenhängen bedacht zu werden.

In seiner Geschichte einer Freundschaft hat Streubel in wenigen Strichen das perverse Psychogramm  der Diktatur ge- und verdichtet: die unheilvolle Verstrickung von staatlichem Terror, Verrat, persönlichem und gesellschaftlichem Versagen. Dem präzisen Augenblick, in dem ein Mensch unwiderruflich seine Würde verliert, werden wir hier auf nur vierzehn dürren  Zeilen inne.

Jene, die einst als Retter daher kamen, enden als Schatten ihrer selbst, als Verräter ihrer Menschlichkeit. Kürzer kann man kaum sagen, was Diktaturen – gleich welcher ideologischer Couleur – im 20. Jahrhundert  sowohl im Innern der Menschen  als auch in ihren  Beziehungen untereinander angerichtet haben.  Für Streubel war es eine Gewissenspflicht, diese traurige Wahrheit auszusprechen – und das zu einem Zeitpunkt, als die meisten, sowohl dies - als auch jenseits des Eisernen Vorhangs, sich beharrlich in Schweigen hüllten.
Dafür gebührt ihm unser ganzer Respekt.

 

Letzte Feuilleton-Beiträge