Lesart
Thomas Lux* 1946

Zu Tode gehackt von Schwänen

Für Stephen Dobyns

Deine tränenzerrissene Familie am Bett: ältliche Enkel,
Groß-Großenkel kommen an,
direkt vom Medizinstudium; noch ein Schmerzlaut, ruhig,
klar, letzte Worte blitzsauber geschrieben?

Nein. Zu Tode gehackt von Schwänen.

Nach der Rettung von zwölf verkrüppelten Kindern
(aus einem brennenden Zirkuszelt), ruft der Präsident
in deinem Krankenzimmer an, und du sagst:  Sag ihm
ich rufe zurück; alle Rauschdrogen, die du willst?

Nein. Zu Tode gehackt von Schwänen.

Große Ehren kamen: Geh nicht-Telegramm vom Papst
auf dem Nebentisch, schon ernsthafte Bemühungen
wegen einer Erinnerungs-Briefmarke; ein langes,
langes Leben gekrönt von einem langsam-friedlichen
                                                         Einschlafen?

Nein, sagte ich: Zu Tode gehackt von Schwänen.

Durch eine Kugel, bestimmt für einen Liebhaber oder
                                                         besten Freund,
durch ein Auto, einen anderen zu töten bestimmt, den
                                                         du schubstest,
weil du es konntest, aus dem Weg; das Klagegeheul
Millionen Trauernder, das zu deinem Fenster emporsteigt?

Nein. Zu Tode gehackt von Schwänen.

Übersetzung Klaus Martens

Wie es sich stirbt

Ein typisch-prägnanter Titel vom großen Außenseiter der amerikanischen Lyrikerszene, Thomas Lux – ambivalent, ironisch, aggressiv, überraschend und in harter Fügung spielt er virtuos mit den Befürchtungen, Ängsten und Vorurteilen (nicht nur) seiner Landsleute.  „Taranteln auf dem Rettungsring“, ist ein anderer dieser unverwechselbaren Gedichttitel von Thomas Lux.  Die Titel, die Gedichte sind schwer zu übersetzen. Scheinbar einfach und umgangsprachlich stecken sie tief im Alltagsmilieu und im verwandelten Idiom der gesellschaftskritischen Sechziger und Siebziger Jahre: und doch ist sich Lux jederzeit des gelehrten Über- und Unterbaus der langen Tradition bewusst, ohne viel davon her zu machen.  Im Gegensatz zu lyrische Phrasen dreschenden, sich wissenschaftlich-philosophisch artikulierenden Zeitgenossen, trägt Lux seine verbalen und wirklichen Haare noch fröhlich lang und lockig. Er beherrscht alle Tricks des lyrischen Métiers bis zur Vollendung, zugleich korrekt und lässig, wie auch sein immer hörenswerter Vortrag eigener Gedichte, der selten seine Wirkung verfehlt.

Das wird an dem – bei längerem Hinsehen: argen Schwanengedicht –, glaube ich, deutlich.  Die imaginierte Sterbeszene steht im Mittelpunkt – klassisch, sentimental, öffentlich und privat. Die berühmten letzten Worte (angeblich spontan gesprochen), das Einvernehmen mit rettender Religion und ihrem (natürlich höchsten) Vertreter, die Heldenfigur, die den Präsidenten warten lassen kann, der vielumstandene Patriarch auf seinem Sterbebett.  Alles nicht ungeläufige Fiktionen, kindliche Fantasien, Träume Älterer. Doch was interessieren den Dichter Staat, Religion, Familie, zweifelhaftes Alltagsheldentum?  Er kommt durch Schwäne um, die ihn hacken (oder auch stubsen). Der Schwan, das Sinnbild des Dichters – der Schwanengesang des sterbenden Schönen, der Abschied des Sängers, des Dichters als Sänger: Lux, nicht der „Schwan vom Avon“. Aber warum soll hier einer umgebracht werden?  Ist er als (hässliches) Entlein von den Schwänen noch nicht als ihresgleichen (an-)erkannt worden (H.C. Andersen)? Doch steht er ja nicht am Anfang seiner Entwicklung, er singt nicht mehr quasi „aus dem Ei“, nein, er ist längst flügge, es geht um das Ende des Lebens, des Dichterlebens. Er möchte keinen bürgerlichen Tod, keinen Heldentod, weder im Schoß der Kirche noch der Öffentlichkeit.  Er will, der Sprecher des Gedichtes will, im Kreise von seinesgleichen und durch sie untergehen. Er ist einer von Ihnen. Der Schwan gehört einer eigenen Spezies an, der Schar der Dichter.

Thomas Lux wurde 1946 in Northampton, Massachusetts in einfachen Verhältnissen auf dem Lande geboren. Sein Vater war Milchmann. Lux besuchte das Emerson College in Boston. Er nahm zahlreiche Gastdozenturen an amerikanischen Universitäten und Colleges wahr. Heute unterrichtet er wechselweise Creative Writing am angesehenen Sarah Lawrence College im Staat New York und als Professor of Poetry am berühmten Georgia Technical Institute (Georgia Tech), Atlanta, Georgia. Lux‘ Texte haben zahlreiche wichtige Preise gewonnen und sind in bedeutenden amerikanischen Zeitschriften erschienen. Sein Werk umfasst bis heute c. zwanzig Bände, ein weiterer wird 2012 erscheinen. Die Gedichte handeln oft – aber nicht allein – von den Kleinlichkeiten und Grausamkeiten, aber auch den Apotheosen ländlichen Lebens. Durchweg aphoristisch und scharfäugig formuliert, treffen sie noch die feinsten Nägel mitten auf den Kopf.

Einer amerikanischen Ideologie entsprechend, findet das wahre, das echte Leben auf dem Lande statt. Home on the Range, Life on the Farm und in den Small Towns, diese topoi amerikanischen Ideal-Erlebens werden von Thomas Lux in ihrer stillen Brutalität kenntlich gemacht, raffiniert demontiert und durch Ironie, Humor und scharfzahnige Bissigkeit – entsorgt?  Nein, totgehackt von diesem Schwan.***

*** Der gedankliche Anlass für dieses Gedicht war das „aggressive Verhalten von Schwänen bei einem Erdbeben in Chile, die sich gegenseitig – und wen sie sonst noch erwischen konnten – zu Tode hackten“, schreibt mir Thomas Lux.

Leseempfehlung: Thomas Lux, New and Selected Poems. Poems 1975-1995. Boston-New York: Houghton Mifflin, 1997. Thomas Lux, Ausgewählte Gedichte, englisch-deutsch. Cahiers, Zweisprachige Hefte für Dichtung, Bd. 1. Heidelberg: Mattes Verlag. Hg. Joachim Utz, Klaus Martens. Übers. Klaus Martens, 2010 [zur Buchmesse].

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