Die Ziege
Ich habe zu einer Ziege gesprochen.
Sie stand, angebunden, allein auf einer Wiese.
Satt vom Grass, nass
vom Regen meckerte sie vor sich hin.
Dieses immergleiche Meckern war der Bruder
meines Schmerzes. Und ich antwortete, erst
zum Scherz, dann weil der Schmerz ewig ist,
und mit einer Stimme spricht und sich niemals ändert.
Diese Stimme hörte er
in einer einsamen Ziege stöhnen.
In einer Ziege mit semitischen Zügen
hörte er alles Böse klagen,
und alles andere Leben.
Übersetzung von Stefanie Golisch
Gestalt aus einer anderen Welt
Eine Ziege auf der Wiese, angebunden, im Regen vor sich hin meckernd.
In seinem Gedicht Die Ziege erkennt Umberto Saba (1883-1957) in der Verlassenheit des Tieres seine eigene Verlassenheit und die Ausweglosigkeit menschlichen Glücksstrebens. Zunächst nur zum Scherz, fällt er in das Meckern der Ziege ein, dann, weil der Schmerz ewig ist, eine Stimme hat und sich nicht ändert.
Es ist die schlagartige Einsicht in die Brüderlichkeit des Schmerzes, die das Mensch und Tier Trennende überwindet und im Augenblick Einheit stiftet. Dabei kommt es zur Kommunikation nicht etwa dadurch, dass das Tier vermenschlicht wird, sondern indem der Mensch sich in dessen Dumpfheit wieder erkennt. In der überwundenen Spaltung liegt, auch wenn der kleinste Nenner ein gemeinschaftliches Erdulden ist ein wie immer auch schwacher Trost beschlossen: das Elend alles Lebendigen ist in der Gegenwart des Gedichtes aufgehoben.
Wenngleich Umberto Saba neben Eugenio Montale, Salvatore Quasimodo und Giuseppe Ungaretti zweifellos zu den wichtigsten italienischen Lyrikern des 20. Jahrhunderts zählt, tritt sein Name hinter jenen doch stets ein wenig zurück. Gern wird Saba als Dichter der kleinen Dinge beschrieben, der mit sparsamsten Mitteln, dem Unscheinbaren in die Sprache verhilft. So schrieb er bereits in den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts Fußballgedichte, leichte, spielerische Miniaturen in jenem unverwechselbaren Ton, in dem indes stets ein Hauch von Melancholie mitschwingt.
Verbunden ist sein Name auch mit seiner Stadt, Triest, deren kulturelle Vielfalt, ja Einzigartigkeit, ihn zeitlebens inspiriert hat
Zu einer Zeit geboren, als Triest noch als einzige Hafenstadt des Kaiserreichs zur Donaumonarchie gehörte, hat Saba als Jude die Geschichte des 20. Jahrhunderts am eigenen Leib durchlitten. 1938, nach Erlassung der Rassengesetze auch in Italien, war er gezwungen, sein kleines Antiquariat im Herzen der Altstadt aufzugeben. Zunächst emigrierte er nach Paris, kehrte aber schon bald wieder in seine Heimat zurück, wo er mit Hilfe von Freunden – u.a. Eugenio Montale und Giuseppe Ungaretti - , bis 1945 in unterschiedlichen Verstecken überlebte.
Auf youtube kann man ein ergreifendes Porträt des alten Dichters anschauen, wie er kurz vor seinem Tode in seiner bescheidenen Wohnküche, bekleidet mit einem altmodischen Morgenmantel, einige seiner Gedichte vorliest: eine Gestalt aus einer anderen, immer ferner rückenden Welt.
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