Lost Voices
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Adolf Petrenz (1872-1915)

Autor / Redaktion: 

Am 07.12.1872 in Gallingen bei Bartenstein in Ostpreußen geboren, am 09.02.1915 in Frankreich bei Essey in den Vogesen gefallen. Sohn eines Pfarrers, Studium der deutschen Literatur und der Rechte in Königsberg, Mitarbeiter der Ostpreußischen Zeitung in Königsberg, Redakteur der Täglichen Rundschau in Berlin.

Petrenz war einer der ersten Förderer von  Gottfried Benn, er schickte dessen Manuskripte herum und versäumte keine Gelegenheit Benn in den Vordergund zu spielen. Benn widmete ihm schließlich das Gedicht Morgue II. Alfred Richard Meyer, der Benn als „lyrisches Flugblatt“ verlegte, erinnert sich: „Noch bis zum März 1912 wußte niemand von ihm. Bis auf wenige seiner Freunde. So auch Adolf Petrenz, der Redakteur, der mir ein wirres Manuskript zugehen ließ, dessen Lektüre mich mißmutig machte und schon zu hastigerem Weiterblättern und Zuklappen veranlassen wollte, bis ich dann zu einem angehängten Zyklus, der mit den bisherigen Versen schier unvereinbar schien, gelangte - und aufschrie…“

Pfemfert in der Aktion über Petrenz: „Da habe ich zum Beispiel einen erzkonservativen Menschen gekannt: Adolf Petrenz, Redakteur der „Täglichen Rundschau“. Wir waren die erbittertsten politischen  Feinde“, dem er seine Achtung trotzdem nicht versagen kann.
Petrenz selbst sah sich der „Tagesschriftstellerei“ verpflichtet. „Wenn er Betrachtungen anstellte über eine überfahrene Fledermaus in der Königsgrätzer Straße, so war irgendwie ein Hauch von Tragik zu spüren.“ schrieb Friedrich Hussong.

 

Berlin
(zwischen Neujahr und Karneval 1908)

I.
Halb Pfirsichrot, halb Alemannenmütze
liegt eine Abendwolke auf Berlin,
um Kranzlers Ecke klirrt ein Gardeschütze,
die ganze Gegend niest fast vor Benzin.
Die Autos lenkt wie Zeus der Schutzmann Knolle,
er starrt enttäuscht in dieses neue Jahr
und stöhnt: „Na, und? det is ja wie det olle!
Det is jenau so, wie det vor'chte war!“

II.
Aus irgend einem kühlen Grunde
warf ich mich nächtlings auf den Gaul,
ritt nach Berlin, dem Höllenschlunde,
mit seinem großen Schwefelmaul.
Dort quirlen, wirbeln sich die Massen,
von Fleisch und Sünde eine Burg,
jetzt rast, vom Satan losgelassen,
blutrot ein Auto mitten durch.
Ein Knirschen, Prasseln, Zischen, Röcheln,
Blut-, Moschus- und Benzingestank,
durch lackgeschiente Seidenknöcheln
knirscht sich der Satan seinen Gang.
Töff! Töff! Gellt's heulend, Korke knallen,
und prasselnd stürzt die Häusergruft
und nackte Weiberarme krallen
sich todesreckend in die Luft.
Und Beine schwirren, Köpfe kegeln,
Gedärme klatschen an die Wand,
und mit gebauschten Flammensegeln
stiebt Satanas durch Mord und Brand.
Ca ira brüllt es in der Runde
und glotzt ins klappernde Gebein,
der Henker mit Freund Hein im Bunde,
hui Hackebrett und Huckebein!
Das kreischt und wirbelt durch die Gossen
und wimmert unter Glast und Glut,
ein Pavian spuckt von hohen Sprossen
dem Bürgermeister auf den Hut.
Mit stolzgeschürzter Siegerlippe
saust Urian durch Schreck und Schrei'n
schlägt en passant mit brand'ger Schippe
zwölf Kavaliers den Schädel ein,
schmilzt Schminke von den Dirnenwangen,
den Puder fegt er ihnen weg,
zehn längliche Monoclestangen
fährt er hellachend in den Dreck.

Doch links, die brave Diebskaschemme,
die ehrliche, läßt er in Ruh'.
Dort schleckt man friedlich seine Bemme
und prostet ihm mit Kümmel zu.
„Was ehrlich ist, das währt am längsten.
Maust fort, bis wir uns wiederseh'n,
heut fahr ich nur zu tausend Ängsten
in das verlogne Spreeathen!“

III.
Die Nacht entdunkelt frisch der Morgen,
springt auf und schlüpft ins Taghemd ein,
auf Schnee und Reif und Alltagssorgen
spielt erster, lieber Sonnenschein,
ein Radlerjunge fegt vorüber,
pfeift sich was von Oskar Strauß,
dort zieht ein Zug mit Gewehr über
zum Brandenburger Tor hinaus.
Vom frisch lackierten Bollewagen
lustig ein blaues Mädel lacht
und kuckt dem Leutnant an den Kragen.
Du Stadt der Arbeit bist erwacht!

 

Aus: Kamerad Petrenz. Ausgewählte Blätter. Hrg. Von Friedrich Hussong. Verlag der Täglichen Rundschau, Berlin 1918.

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