Lost Voices
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Georg Trakl (1887-1914)

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„Am 2. November 1914, abends, verkündete der Militärmedikamentenakzessist Georg Trakl, gebürtig aus Salzburg, seinem Burschen Mathias Roth, dass man in zwei Tagen das Krakauer Garnisonsspital verlassen und zwecks Erholungsurlaub nach Innsbruck gehen könne. Er möge ihn am nächsten Morgen um halb acht Uhr wecken und sich nun schlafen legen.
Was dann geschah, ist heute an entscheidenden Stellen unklar – fünfundfünfzig Jahre später wäre aus solchen Ereignissen ein popkultureller Mythos geworden. Trakl hat „wohl zu viel Kokain genommen, das er versteckt bei sich getragen haben muss. Den ganzen nächsten Tag (3. November) lag er bewusstlos in seiner Zelle. Roth durfte nicht drinnen bleiben, es wurde ihm sogar verwehrt, sie noch einmal zu betreten.“ Erst am Morgen des 4. November sieht der Bursche den zugedeckten Leichnam Trakls – in der Nacht zuvor ist er gestorben, offiziell an einer „Herzlähmung“, laut Obduktion jedoch an einer „Intoxicatio cocainum“, einer Kokainvergiftung.

Es ist nicht ganz klar, ob diese Vergiftung ein Selbstmord war oder nicht, oder ob Trakl den Tod als Option in Kauf nahm. Hans Weichselbaum, der Leiter der Trakl-Forschungsstätte in Salzburg, verzichtet in seiner nun neu erschienenen, überarbeiteten Biografie des Dichters auf fruchtlose Spekulationen. Was man weiß, ist traurig genug, und der daraus zu ziehende Schluss liegt letztlich im Auge des Betrachters: „Als alle, die er um einen Besuch gebeten hatte, ausblieben und er seine Hoffnungen, wieder ,ins Feld‘ und an die Front zu kommen, aufgegeben hatte, dürfte er sich absichtlich in die gefährliche Zone zwischen Leben und Tod begeben haben.“
Johannes Schmidt in seiner Rezension auf literaturkritik.de zu Hans Weichselbaum: Georg Trakl. Eine Biographie. Otto Müller Verlag, Salzburg 2014.

Jens von Fintel zeichnet in der Rheinischen Kulturraumverdichtung die letzten Tage Trakls nach: „Das Sterberegister der Stadt Krakau verzeichnet für Dienstag, den 3. November 1914, den Abgang des 27-jährigen Medikamentenakzessisten Georg Trakl (fälschlich als Frankl eingetragen). Um neun Uhr abends sei er im Garnisonsspital 15 einer Herzschwäche erlegen. Trakls Krankenakte ist in Sachen Todesursache weniger feinfühlig: „Suicid durch Cocainintoxication“, heißt es da. Die Beisetzung ist zunächst für den 5. November vorgesehen, erfolgt aber erst einen Tag später auf dem Rakowitzer Friedhof in Krakau, mit sechs anderen, „ohne jede Zeremonie, ohne geistliche oder militärische Assistenz“. Sein Bursche ist der einzige Trauernde vor Ort.

Else Lasker-Schüler notiert später:
Georg Trakl erlag im Krieg von eigener Hand gefällt.
So einsam war es in der Welt. Ich hatt ihn lieb.

 

Grodek

Am Abend tönen die herbstlichen Wälder
Von tödlichen Waffen, die goldnen Ebenen
Und blauen Seen, darüber die Sonne
Düstrer hinrollt; umfängt die Nacht
Sterbende Krieger, die wilde Klage
Ihrer zerbrochenen Münder.
Doch stille sammelt im Weidengrund
Rotes Gewölk, darin ein zürnender Gott wohnt,
Das vergossne Blut sich, mondne Kühle;
Alle Straßen münden in schwarze Verwesung.
Unter goldnem Gezweig der Nacht und Sternen
Es schwankt der Schwester Schatten durch den schweigenden Hain,
Zu grüßen die Geister der Helden, die blutenden Häupter;
Und leise tönen im Rohr die dunkeln Flöten des Herbstes.
O stolzere Trauer! ihr ehernen Altäre
Die heiße Flamme des Geistes nährt heute ein gewaltiger Schmerz,
Die ungebornen Enkel.

(September 1914)

Aus: Brenner Jahrbuch 1915, Innsbruck.

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