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Essays
Mit Wirklichkeiten lebt man ja nicht. Johannes Urzidil (1896–1970) Ein "hinternationaler" Schriftsteller zwischen Böhmen und New York
02.07.2013 | Hamburg
Urzidil, ein Mann von stupender Gelehrsamkeit, der in seiner Weltgewandtheit gerade den Sinn fürs Lokale schärfte, wie er aus dem Kleinen sich seine Globalisierung fand, ehe diese ein Gemeinplatz und denunziert ward, ist es wert, immer und immer wieder gelesen zu werden; und wie viele der wenigen, von denen dies wirklich zu sagen ist, droht er vergessen zu werden, dem Befund zum Trotz, eigentlich sei Urzidil „unverlierbar[e]”. Er, der, wie Klaus Johann mit Benjamin ganz zurecht formuliert, „rechtschaffen etwas erzählen” konnte, fiel Moden zum Opfer, die dieser Band kurzum nachdrücklich Lügen straft – indem die ganze Vielfalt und Qualität des Schriftstellers hier aufgezeigt wird, der zuweilen so unzeitgemäß schien.
Johannes Urzidil in New York, 1966
Das Foto stammt aus dem Privatarchiv des Urzidilforschers Dr. Gerhard Trapp, dem Urzidil es persönlich gewidmet hat.
Source: zeilenweit.de
Zunächst wird ein kommentiertes Schriftenverzeichnis geboten, ein sinnvoller Beginn bei einem, dessen Werk eine mitunter abenteuerliche Publikationsgeschichte hat und verstreut auch in unzähligen Zeitungen erschien, wie der profunden Darstellung des Editions-Dschungels durch Klaus Johann zu entnehmen ist, der einer der drei Herausgeber des Bandes und der womöglich beste Kenner Urzidils ist. Hernach wird der Autor in verschiedene Kontexte gestellt und aus ihnen beleuchtet, um ihn nicht zuletzt als „öffentlichen Intellektuellen” zu würdigen, der er bei seiner Neigung zur Distanzierung und seiner wenig ausgeprägte Neigung zur „ungeschützte(n)” Auseinandersetzung doch war. So folgen Korrekturen und Ergänzungen, die auch dem mit Urzidil Vertrauten Neues bieten, vor allem aber aufs Neue erschließen, wessen da – zurecht – gedacht wird.
Neben Grundsätzlichem zur Wiederentdeckung der Relevanz von Subjektivem nicht nur bei Urzidil beinhaltet der Band auch großartige Detailanalysen, neben einem Porträt des „Bohemismus” mit Rückgriffen auf Bolzano wie Goethe finden sich Überlegungen zur Moderne, ihrer Vielstimmigkeit wie auch der drohenden Beliebigkeit, die von der Postmoderne teils erkannt, teils aber auch forciert wurde. Kafka, Musil und Broch werden immer wieder als naheliegende wie fruchtbare Referenz angeführt. Der Begriff des Manierismus wird als „Komplementär-Erscheinung zur Klassik” nicht nur kritisiert, sondern auch nobilitiert, wo er als „Schreibweise” eben keine Marotte ist, sondern konzentriert am Klassischen aufdeckt, wo dieses womöglich scheitere. Sind Manierismen nicht eine Folge der Einsicht Urzidils, daß man mit „Wirklichkeiten [...] man ja nicht (lebt)”, vielmehr „völlige Illusionen” das letzte Wort haben könnten..? Eine besonders schöne Entdeckung sind Michaela N. Raß’ Ausführungen zu Bild und Text, die das Textuelle der Bilder und hier das Bildliche der Texte in ihrer Dialektik erhellen und die Ekphrasis Urzidils beschreiben, wobei sich en passant auch zeigt, welche sprachmächtige wie auch akkurat beobachtende Verfasserin da am Werke ist.
Alles in allem: Urzidil ein wichtiger Autor; und dieser Band ein wichtiger Beitrag zu ihm. Sein Gewicht, seine Facetten, man soll all das zuvörderst in seinem Werk, dann aber auch in diesen vorzüglichen Kommentaren und Deutungen entdecken: Man kann kurzum diese Untersuchungen und Essays nur von Herzen empfehlen..!
Exklusivbeitrag
Johannes Urzidil (1896–1970) Ein "hinternationaler" Schriftsteller zwischen Böhmen und New York. Herausgegeben von: Steffen Höhne, Klaus Johann und Mirek Nemec € 69.90 ISBN 978-3-412-20917-9 Böhlau Verlag Köln Weimar Wien 2013
Martin A. Hainz hat zuletzt über »ORTHODOXIE« von Gilbert Keith Chesterton auf Fixpoetry geschrieben.