Hochroth Nr. 5 + Nr. 6

Zeitschrift für Literatur

Autor:
Hrsg: G. H. H.
Besprechung:
Astrid Nischkauer
 

Zeitschrift für Literatur

Gegen den Mainstream und hohe Auflagen, Hochroths Zeitschriften.

hochroth Nr.5 & Nr.6

 

01.08.2013 | Hamburg

hochroth lautet der Name, hellblau sind die Nummer und die Autorennamen am Cover. hochroth erscheint im Verlag hochroth, ein Verlag der in manchen Hinsichten gegen den Strom zu schwimmen scheint: er setzt nicht auf Mainstream und große Auflagen, sondern nimmt sich Zeit für das Besondere. Dies geht auch aus der Eigenbeschreibung im  Verlagsprogramm hervor: „Mit seinem innovativen Konzept aus handgemachter Fertigung, Kleinstauflagen und bibliophilem Design bietet hochroth außergewöhnlicher Literatur ein Forum.“ Besonders, das sind sie ganz unumstritten, hochroth Nummer 5 und 6. Allein optisch und haptisch sind sie schon absolut überzeugend. Dass es so liebevoll gemachte „Büchlein“ (die Verkleinerungsform bezieht sich ausschließlich auf die Seitenzahl, und keineswegs auf den Inhalt) noch gibt, ist wundervoll. Jedes Exemplar von hochroth ist nummeriert, bei Bedarf wird nachgedruckt. Man könnte noch sehr lange weiterschwärmen über bemerkenswerte „Äußerlichkeiten“ von hochroth. Doch überzeugt man sich davon am allerbesten selbst, indem man eine der mittlerweile sechs Nummern von hochroth in die Hand nimmt.

 

Bei Harry Potter gibt es Koffer, welche von außen klein aussehen, aber innen dann riesig bis grenzenlos sind. Auch bei Terry Pratchett taucht ein ganz besonderer Koffer mit grenzenlosem Stauraum (und zusätzlich noch mit ganz vielen Beinen – aber das tut hier nichts zur Sache) auf. Ganz ähnlich ist es mit hochroth. Es enthält eine größere Bandbreite und Vielfalt an Texten, als sich eigentlich vom Umfang her ausgehen sollte. In hochroth Nummer 5 und 6 findet man Prosa, Lyrik, lyrikhafte Prosa, ein Essay und Übersetzungen. Und es ist auch noch Platz für Heiteres und Verrücktes. Auch sind die Texte in hochroth offen für fremde Kulturen (z.B. bei Adrian Koye und Verena Stauffer die japanische), andere Sprachen (z.B. Italienisch bei Elisabetta Abbondanza und Luca Viglialore oder Englisch bei Jessica Davies) und beschränken sich nicht allein auf Literatur, sondern befassen sich auch mit ganz anderen Gebieten (im Fall von Adrian Koye und Valerie Fritsch mit Musik, oder Philosophie bei Volker Sielaff).

 

Die Herausforderung und der Reiz von hochroth liegen darin, dass vorwiegend junge Autoren mit jeweils nur einem einzigen Text vorgestellt werden. Man muss sich also auf jeden einzelnen Text neu einstellen. Die Texte verlangen richtiggehend nach einer intensiven Lektüre.

 

 

5

hochroth  Nummer 5 vereint sieben junge Autoren und Autorinnen mit ganz unterschiedlichen Texten: Adrian Koye, Jessica Davies, Valerie Fritsch, Volker Sielaff, Bernadette Schiefer, Reinhard Lechner und Sophie Reyer. Zusätzlich zu den Texten enthält es auch noch zwei Fotos und eine Illustration. Ein wiederkehrendes Motiv in vielen der Texte ist Musik. Ganz besonders bei den Texten von Adrian Koye und Valerie Fritsch. In dem sehr lesenswerten Nachsatz „Hinweise“ heißt es: „Lauter Texte, zuletzt ihrer [Sophie Reyer], in denen Musik oder das Fremde oder dessen Einbruch oder Klang eine Rolle spielen.“

 

 

Adrian Koye:  Zu Sawari

Versuch über eine Möglichkeit interkulturellen Komponierens

 

In seinem Text beschreibt Adrian Koye sehr eindrücklich ein musikalisches Schlüsselerlebnis. Mehr durch Zufall stößt er in Zürich auf eine CD mit einer japanischen biwa-Spielerin und ist sofort fasziniert von dem Klang:

Mir schien es, als hörte ich jemanden ein zerbrochenes In-

strument spielen.

Dann setzte der Gesang ein. Nur schwer konnte ich glauben, daß

es die Stimme der jungen Musikerin auf dem Cover sei; heiser

und in den Höhen ins Falsett brechend, hätte es eher der Gesang

einer alten Frau sein mögen.

 

Nach dem Text ist man unheimlich gespannt auf das Stück, gerade weil es ein unmögliches Stück ist und der Autor/Komponist den ganzen Text hindurch damit gerungen hat, es aus verschiedenen Bedenken heraus nicht schreiben zu wollen auch wenn Ideen und Inspiration ihm keine Ruhe lassen.

 

 

Jessica Davies: Brief aus Paris

 

Auf der Seite vor Jessica Davies Text befindet sich ein schwarz-weiß Foto eines kleinen Tierschädels. Er starrt augenlos auf den Text und zeigt ihm seine Zähne.

 

Auch wenn die Überschrift anderes erwarten lässt ist der Text von Jessica Davies durchgehend auf Englisch verfasst. Ihre Sprache ist sehr klar. Der Text dreht sich um zwei Städte – Perth, wo sie aufwuchs, und Paris, wo sie derzeit lebt. Dabei hat sich herausgestellt, dass Perth keine Stadt ist, die man so leicht hinter sich lässt:

[...] Perth manages

to be one of those places where you will always see someone you

know. When travelling, you are guaranteed to cross paths with

the woman who lives down the street or someone who knows

someone you know. In the last two years living in Paris, I have

managed to unintentionally have dinner with a woman who grew

up next door to my mother and meet countless other Perthians.

 

 

Valerie Fritsch: Die Geigen

 

Schauplatz der Erzählung von Valerie Fritsch ist ein Geigengeschäft, in dem Zeit unwichtig geworden ist:

Über die Jahre war ihre Welt immer leiser geworden und die

Zeit abgeklungen zu einem Umstand, der irgendwann verging.


Schon zu Beginn werden immer wieder unheimliche Elemente eingestreut:

Die Tanzmeistergeigen hingen mit langen Hälsen an den

Wänden und die Cellos lehnten aufgespießt und einbeinig in den

Ecken. Die Violinen lagen stumm in ihren Etuis, als seien sie Särge [...]

 

Im Verlauf des Textes wird die Stimmung zunehmend bedrohlicher. Die Besessenheit von Laura Aich, der Besitzerin des Geigengeschäftes, wird immer greifbarer. Nachdem sie die Ladentür dreimal abgesperrt hat sind die Geigen ihr unausweichlich ausgeliefert. Und sie den Geigen. Nacht für Nacht.

 

 

Volker Sielaff: Die Leere, Deleuze

 

Das Gedicht von Volker Sielaff strahlt eine gewisse Leichtigkeit aus, scheint beinahe „in Morgenluft verpackt“ zu sein. Es setzt sich zusammen aus drei Strophen zu je vier Zeilen. Es ist anzunehmen, dass mit „Deleuze“ der Philosoph Gilles Deleuze gemeint ist und dass das Gedicht selbst auch immer wieder auf seine Theorien Bezug nimmt. Hier die mittlere Strophe des Gedichts:

Der Raum aufgefaltet in seine Möglichkeiten (alle).

Indianer mit Sporttaschen, Regen, das Wort Brombeerrand.

Im Benennen einatmen, im Loslassen des Benennens aus.

Erlesener Sommer durchträumte (gesäumte) Nacht.



Bernadette Schiefer: Wolf weil er nicht trauert

(Lupus a non lupendo)

 

Im Text von Bernadette Schiefer geht es um eine bedrohte Beziehung zweier Menschen. Dabei bleibt unentschlossen, ob eine einfache Trennung droht:

Der Mann denkt nicht so. Er sieht sie als Eindringling. Ein Herz-

spion. Er mag sie, aber das ist vielleicht auch schon alles.


Oder nicht doch der Tod selbst:

Jemand sitzt vor der Tür und schleift Messer. Er geht auf die Stelle

zu, das Schleifen verschwindet. Er macht einen Schritt zur Seite,

das Schleifen beginnt. Siehst du, sagt er.


Mitten im Text ist eine Seite mit einem Foto eines kleinen Bootshafen, vielleicht Singapur, eingeschoben.

 

 

Reinhard Lechner: Übertragung des Sinns

 

Ausgangspunkt des Gedichts von Reinhard Lechner ist eine Stadt, ein Schrottplatz:

Milde Eklipsen löst die Stadt, spaziert man wie Pessoa.

Ich tauche auf

werde Philosoph des Schrottplatzes.

Bitte kommt:

Karosserien, eine Rückbank

Bremsen umkreisen mich, ihr Indianertanz [...]

 

Im Zentrum stehen die (Auto-)Teile welche zum Leben erwachen. Könnten im vorherigen Auszug mit „Bremsen“ auch die Fliegen, nicht nur die Autobremsen gemeint sein, so wird doch oft betont, dass es um Teile geht:

Die Teile schließen die Augen: [...]

 

Die Grenzen zwischen Menschen und Teilen werden permanent verwischt.Es tauchen auch einige Menschen in dem Gedicht auf, ein „ich“, ein „du“ und ein Händler, eine Lenkerin, ein Lenker und ein Politiker. Die Teile haben menschliche Eigenschaften, welche den Menschen wiederum abhanden gekommen sind. So scheint das „ich“ Probleme mit dem Sprechen zu haben:

Sprachschweigen, vergletschert.

 

Wenn der Sinn übertragen wird wie der Titel aussagt, dann stellt sich die Frage, worauf er übertragen wird. Dass diese Frage nicht sofort eindeutig zu beantworten ist, macht den Reiz dieses Gedichtes aus.

 

 

Sophie Reyer: Puppenloop

 

Vor dem Text von Sophe Reyer ist eine dreifärbige (schwarz, rot, blau) Illustration von Caroline Coppey abgedruckt.

 

Sophie Reyers Text ist eine Endlosschleife des Zer- und Aufbrechens von Puppen:

Es ist nämlich das Gesetz des Zerbrechens, dass das, was sich teilen

muss, nicht weniger wird sondern mehr.


Der leichte Ton betont die abgründige Thematik noch zusätzlich. Der Text führt gewissermaßen durch die ständige Wiederholung die Unausweichlichkeit von Schmerz und Tod in ihrer ständigen Wiederkehr vor. 

Aus der Puppe kommt was raus, das sich selbst ge-

biert. So ist es nämlich mit den Kindern, die gebrochene Mütter

haben: Sie müssen sich alleine zur Welt bringen, leider.

 

Mit der bis an die Spitze getriebenen Wiederholung positioniert sich der Text zwischen Prosa und Lyrik.

 

Jedenfalls

hat auch diese Puppe nicht viel Zeit, denn das Leben ist flutschig

und der Boden glatt. Also kullert sie. Die Puppe. Rollt mit dem

Köpfchen gegen die Wand (et cetera).

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