6/25/2012

Ich schenke dir eine Privatkopie meiner Liebe. Wenn sie dir ans Herz wächst, gibst du sie hoffentlich weiter. Oder du schreibst darüber. Der Kuss, denn ich eben in deine Brust gebissen habe, fühlte sich ein bißchen an wie der Klick auf den illegalen Download. Ich will dich sofort und ohne Erlaubnis. Ich will dich ein bißchen heimlich, und schnell und entschlüsselt. 
Du bist sauber in dem Verzeichnis meiner Liebhaber abgelegt. Eine Datei ohne Ablaufdatum. Das Internet und ich vergessen nichts. Im Halbschlaf spüre ich deinen Atem in meinem Haar und weiß wie du schmeckst. 
Es ist so, dass dort, wo ich mich sortiere, zu viel Liebe ist. Der Rosengarten romantischer Liebe war sauber abgesteckt: in Form einer Diskette. Die Dornen hatten versprochen nicht darüber hinaus zu wachsen. Das Netz hingegen, mit dem ich aufwuchs, ist ein Dickicht, das an weite Felder grenzt. Wir haben die Pfade einander verraten und an den Kreuzungen gesehen, dass Gefühle ein Virus sind. Je mehr wir miteinander geteilt haben, desto mehr Küsse und Bisse fielen vor unsere Füße und haben sich in dem wohligen Chaos zwei/drei/vier neue Besitzer gesucht. Ich kann diese moderne Sharing-Kultur ernst zu nehmen und nicht Halt bei dem Ordner machen, in den ich Lieder lege. Die Liebe liegt in meiner Brusttasche. Sie ist immer zur Stelle, wenn ich sie auf euch hetzen will.

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6/03/2012


von Philipp Schiemann: Gedichte.


Ich war auf einem Kindergeburtstag
es liefen eine Menge toller Kinder herum
und auch einige gestörte

Die meisten Mütter schienen
ein dünnes Nervenkonstüm zu haben
man konnte ihnen ansehen
dass die Kinder ihnen mehr abforderten
als sie erwartet hatten
oder zu zuzugeben bereit waren

und in den Augen der meisten
blitzte neben zwangsläufiger Geduld
und einem Ausdruck von Erschöpfung
das starke Verlangen

jenseits von schrillem Geschrei
und weichen Kinderliedern

hemmungslosen Sex zu haben

anders als vorher
die Zeit zu nutzen
und all die Kompromisse
und anderen Träume
die für die Erfüllung des einen weichen mussten
mit einem saftigen innigen Fick

abzustreifen

An diesem Nachmittag
war ich der einzige Vater
allein unter Frauen
und ich muß sagen

Jesus Christus
ihr braucht euch nicht zu verstecken

Eure Liebe ist straight
scharf wie ein Messer


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Ein kurzer Einwurf meinerseits in die nicht enden wollende Debatte zum Stand des Urheberrechtes in der digitalen Gesellschaft. Bei der FAZ >>


wer-sind-die-kuenstler?de

Die Autorin und der Autor, die sich mit einem Glas samtigen Syrah zur Schrifterstellung niederlassen, berühren mit Gedanken in den Fingerspitzen die Tasten ihres Schreibgerätes, streichen Gefühle über das Touchpad zwischen die Zeilen, blasen Rauch auf den Monitor und lecken den Schweiß vom Bildschirmrand, wenn der letzte Satz des Abends sich schwarz von weißen Pixeln abhebt. In diesen Momenten, wenn die Worte von der Stirn in ein digitales Dokument fließen und vor den Augen in Zeichen aufflackern, denkt der Schreibende nur dann an das Urheberrecht, wenn er kurz zuvor wieder einmal eine Aufforderung für die Unterzeichnung eines offenen Briefes im E-Mail-Postfach hatte, oder eine Kollegin erzürnt in einer Wochenzeitung über die Rechte an ihren Ausführungen schrieb und klang, als hätte man dem literarischen Kind in ihr all seinen geistigen Beisitz grob aus der Hand geschlagen wie eine erdbeersüße Zuckerstange, die es nie wieder zwischen die Zähne bekommen soll. Der eine Autor gibt dieser E-Mail nach, sie flackert so schrill im Postfach. Der andere löscht sie.

Es ist mitnichten die lukrative Verheißung des Urheberrechtes, die Textschaffende an ihre Schreibmaschinenen fesselt. Zum Künstler wird ein Kreativer nicht durch ein juristisches Regelwerk, sondern durch die Kunst selbst. Es steht außer Frage, dass Urheberschaft und der kommerzielle Umgang mit Werken rechtlich abgesichert sein müssen. Doch es überrascht, wie sehr in der aktuellen Debatte so viele Diskursteilnehmende die Bezeichnung im Klammergriff haben, als könne mit ihr ihnen zugleich ihr Talent, ihre Ideen und ihr Selbstverständnis entgleiten. Als stünde eine Modernisierung des Urheberrechtes am Abgrund der freien Kunst und warte darauf sie zu zerfleischen und bloß einen abgenagten Knochen zurückzulassen. Dabei beißt die Diskussion um das Urheberrecht die Künstler nicht, sie gibt ihnen genau das, was sie am Leben erhält: eine Herausforderung. Unsicherheit. Fragezeichen.

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Dieser Artikel erschien in einer gekürzten Version zunächst bei "der Freitag".



Er sieht ihr in die Augen. Dann gibt er ihr seine Hand und hält ihren Blick. Er zittert leicht. Dominique Strauss-Kahn versteht dies als Entschuldigung. Die Situation berührt ihn. Selten in seinem Leben hat er die Möglichkeit, Reue zu zeigen, angenommen. Er widersteht der Notwendigkeit um Verzeihung zu bitten nicht. Dieser Akt wird nicht der letzte sein. 

Der ehemalige Chef des Internationalen Währungsfonds könnte seinen Lebensabend damit verbringen, sich für sein respektloses Verhalten gegenüber Frauen zu entschuldigen. Persönlich. Er könnte bei jenen anfangen, die er als "Material" bezeichnete, oder den Nackten, die für ihn ohne Kleidung nicht eindeutig als Prostituierte oder unentgeltlich an einer Sexparty teilnehmende Frauen zu erkennen waren. Oder bei seiner Frau. Bei seinen vier Kindern. Bei den Französinnen und allen anderen Frauen, denen durch das Verhalten von Menschen wie ihm ihre Würde genommen wird. Bei den Frauen, die in einer Welt der Dekadenz, in der Prostitution dazu gehört wie edler Champagner, nicht mehr als eigenständige Personen auftauchen, sondern nur noch als williges oder gekauftes oder vergewaltigtes Fleisch zwischen Männern jongliert werden. 

In dieser Erzählung haben Frauen kein Gesicht mehr, ihre Persönlichkeit weicht ihrem Körper und weibliche Sexualität besteht nur noch aus Verfügbarkeit. Dominique Strauss-Kahn und seine Geschäftsfreunde, die einander Escortgirls zu Hintergrundgesprächen mitbringen wie einen Wein als Gastgeschenk, könnten sich entschuldigen bei den Männern, die sie mit sich gleich setzen, wenn sie ohne Wimpernzucken und Zweifel signalisieren, dass der von ihnen gewählte Umgang mit Frauen die Norm sei. 

Weniger als nach einem Jahr nach Beginn der "Strauss-Kahn-Affäre" in New York ermitteln auch die französischen Behören gegen Strauss-Kahn. Er soll an "organisierter Zuhälterei in Bandenform" beteiligt gewesen sein, in deren Rahmen Sexarbeiterinnen für Partys in Frankreich und den USA vermittelt wurden. Im Zuge dieser Ermittlungen hat eine junge Belgierin ausgesagt, von Strauss-Kahn und einem weiteren Partyteilnehmer vergewaltigt worden zu sein. Trotz Aussage bei Behörden in Lille und bei der Polizei in Belgien hat die Frau bislang keine Anzeige erstattet. Die französischen Behörden ermitteln daher derzeit nur wegen des Verdachts auf Zuhälterei, Unterschlagung von Gesellschaftsvermögen, Betrug und Geldwäsche. Dominique Strauss-Kahn gibt an, nicht gewusst zu haben, dass die an den Zusammenkünften teilnehmenden Frauen dafür bezahlt wurden, mit ihm und seinen Geschäftsfreunden Sex zu haben. Sein Anwalt fügte hinzu: "Das ist eine Herausforderung – wie wollen sie eine nackte Prostituierte von einer nackten Dame unterscheiden?" 

Aus dieser Logik lässt sich ein krudes Selbstbewusstsein und selbstvergessenes Verständnis der Geschlechterverhältnisse folgern: egal ob nackt, leicht bekleidet, bezahlt oder naturgeil - jede Frau musste fraglos zu Sex mit den anwesenden Männern bereit sein. Allein betrachtet klingen die Sexpartys mit all den nackten Schönen und Mächtigen befreit und bohème. In Anbetracht der mehrfachen Vergewaltigungsvorwürfe gegenüber Strauss-Kahn und einem realistischen Blick auf die Arbeitsbedingungen von Sexarbeiterinnen tun sie das weniger. Studien zufolge werden zwei Drittel der Prostituierten von ihren Freiern tätlich angegriffen, bei der überwiegenden Mehrheit der Frauen liegt Alkoholmissbrauch und die Abgängigkeit von harten Drogen vor. Die standartisierte Sterblichkeitsrate unter Sexarbeiterinnen in Großbritannien ist sechsmal so hoch wie in der Allgemeinbevölkerung. Gegenüber der Presse gab DSK an, Prostitution "schrecklich" zu finden. In SMS gegenüber Geschäftspartnern bat er darum, ihm "Material" mitzubringen. 

DSK gilt als "hommes à femmes", ein Mann, der Frauen liebt. Die Legitimation dieser schmeichelhaften Umschreibung scheint für ihn darin zu bestehen, über möglichst viel „Material“ zu verfügen. Als sei die Technik des Hochschlafens für mehr Macht und Machterhalt dort, wo heterosexuelle Männer unter sich bleiben, darauf beschränkt, Männlichkeit vor den Augen anderer durch das Besitzen von Frauen zu bestätigen. Er betört sich mit der Illusion der Macht um nicht zuzulassen, was größer ist: Den Verlust von Kontrolle im Angesicht einer Gleichen. Er umgibt sich ständig mit Frauen, doch bleibt ihnen immer fern. Dass ausgerechnet gekaufter Sex mit Schwächeren seinen Status affirmieren soll, überrascht dabei am meisten – gelingt doch Zugewinn an Wissen und Lebenserfahrung nur durch die Annahme von Herausforderungen. 

Wenn ein „homme à femmes“ ein Verehrer der Frauen ist, dann ist er Feminist. Wer Frauen liebt, will ihre Freiheit, will Gerechtigkeit für sie und Glück. Ein solcher Mann würde demnach immer für sie Partei ergreifen, für ihre Rechte sprechen und seinen Ruf in Wort und Tat bekunden. Dominique Strauss-Kahn ist kein „hommes à femmes“. 

„Entschuldigen Sie mich, während ich vor Überraschung in ein Nickerchen falle“ kommentiert die Autorin des us-amerikanischen Frauenportals „Jezebel“ Erin Gloria Ryan den Vorwurf der gemeinschaftlichen Vergewaltigung gegenüber Strauss-Kahn, der als bislang jüngste Anschuldigung in einer Reihe von Vorwürfen von sadistischer Gewalt steht. Dominique Strauss-Kahn ist bislang nicht verurteilt worden. Doch ganz gleich, was tatsächlich zwischen den anklagenden Frauen und ihm passiert ist, es wäre für Personen mit Einfluss, Ansehen und der Liebe zum weiblichen Geschlecht nur angemessen, über Gewalt gegen Frauen zu sprechen. Denn Medienberichterstattung verkehrt das Verhältnis von Frauen, die vergewaltigt, genötigt oder belästigt werden, und den Männern, die dies tun oder zu Unrecht einer Straftat beschuldigt werden. Vergewaltigung ist eines der Verbrechen mit der höchsten Dunkelziffer. Laut UNIFEM wird eine von fünf Frauen im Laufe ihres Lebens Opfer einer Vergewaltigung oder versuchten Vergewaltigung. In der aktuellen, repräsentativen Untersuchung des Familienministeriums „Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland“ gaben 40 Prozent der befragten Frauen an, körperliche oder sexuelle Gewalt oder beides seit dem 16. Lebensjahr erlebt zu haben. Unterschiedliche Formen von sexueller Belästigung hatten 58 Prozent erlebt. 8.000 Fälle von Vergewaltigung und sexueller Nötigung erwachsener Personen wurden laut Bundeskriminalamt 2010 angezeigt. Man geht davon aus, dass nur eine von zwanzig Vergewaltigungen der Polizei gemeldet wird. Multipliziert mit der Dunkelziffer spielen sich allein in Deutschland täglich über 400 schwere sexuelle Gewalttaten ab. 

Schon jede versuchte Vergewaltigung ist ein gewalttätiger Übergriff zu viel. Für keine von ihnen gibt es eine Rechtfertigung, keine geschah im Überschwang, keine im gegenseitigen Einverständnis. Ernüchternder, als die hohe Zahl der Gewalttaten, die niemals zur Anzeige kommen, ist dabei nur, wie selten diese Taten öffentlich verurteilt werden ­– insbesondere von prominenter männlicher Seite. Denn eine Entschuldigung im Namen anderer muss kein Eingeständnis von Schuld bedeuten. Sie könnte aber der Anfang einer Verhaltensänderung sein und den Realitätsblick schärfen. 

Wer entschuldigt sich? Wer bittet die tausenden von Frauen, die heute vergewaltigt werden, die in diesem Moment gegen ihren Willen angefasst werden, die Angst haben, sich machtlos fühlen, die nichts mehr fühlen, die verkauft werden, die ihre Traumata immer wieder durchleben, die sich nicht trauen, mit jemandem zu sprechen, die vor Scham keine Therapie in Anspruch zu nehmen, die sich nicht mehr anfassen lassen können, ohne dass es ihnen die Kehle zuschnürt, die sich mit einer Rasierklinge sechs Mal in den Arm schneiden, bevor der seelische Schmerz ein wenig nachlässt, um Vergebung? Wer verspricht ihnen, dass es nie wieder passieren wird? Wer sagt den Tätern, dass sie so etwas nie wieder tun werden? Wer steht auf, wer sagt und beweist, dass dies Monster ausmacht, aber keinesfalls den Mann? 

Der Mann, der im Frühjahr des letzten Jahres noch als vielversprechender Präsidentschaftsanwärter der französischen Sozialisten galt, könnte an dieser Stelle übernehmen. Er könnte nachdenklich zurückblicken, oder kritisch nach vorn. Nichts. Er schweigt. „Charmant, selbstbewusst, lebenslustig“ gebe er derzeit Interviews, so der Journalist Michel Taubman, der schon eine Biografie Strauss-Kahns verfasste und als häufiger Gesprächspartner des Franzosen gilt. Taubman beschreibt in seiner Aufarbeitung der Geschehnisse "Die Affäre DSK, die Gegen-Nachforschung" den Vergewaltigungsvorwurf an Nafissatou Diallo wie folgt: 
"Sie sieht ihm in die Augen. Dann betrachtet sie ostentativ sein Geschlechtsteil. Das Fleisch ist schwach. Dominique Strauss-Kahn versteht dies als Angebot. Die Situation amüsiert ihn. Selten in seinem Leben hat er die Möglichkeit eines Vergnügens ausgeschlagen. Er widersteht der Versuchung einer Fellatio nicht. Der Akt ist sehr schnell." 
Die Mitarbeiterin des Sofitel New York zeigte Dominique Strauss-Kahn am 14. Mai 2011 an und beschuldigte ihn, sie zum Oralverkehr gezwungen zu haben. Der Journalist Edward Jay Epstein zeichnete die Geschehnisse im Hotel in seiner Investigativreportage „Three Days in May“ anhand von Überwachungsdaten nach und wies nach, dass der Zeitraum, in dem aus Sicht von Nafissatou Diallo eine Vergewaltigung geschah und es laut DSK zu einer einvernehmlichen sexuellen Handlung kam, nicht mehr als sieben Minuten gedauert haben kann. Die forensischen Ermittlungen belegten Spermaspuren von DSK und Speichelflüssigkeit der Hotelangestellten in der Suite. Sofern die Geschehnisse im Hotel einer sexuellen Handlung zuzurechnen sind, ist klar, welcher der Beteiligten daraus Befriedigung zog. Die Art des Sexes bei der Frauen während der Fellatio an einem Mann zum Orgasmus kommen, ist nicht einmal eine eigene Pornogattung

Ein „homme à femmes“ aber verwechselt Verführung nicht mit Verfügbarkeit. Man hat dem „Frauenversteher“ Dominique Strauss-Kahn bislang die falschen Fragen gestellt. „Sie vollbrachten es, durch die Erwiderung eines lüsternen Blicks, durch die schiere Präsenz ihres Penis in einem hastigen oralen Akt, die Frau, die sie nur wenige Minuten kannten, in einem einvernehmlichen Akt der Lust zu beglücken?“ Aber mehr noch: einem Mann, dessen Karriere auf die Präsidentschaft einer Nation zulief, deren Motto „liberté, égalité, fraternité“ ist, könnte man vor allem Politisches abverlangen. Wer eine ausschweifende sexuelle Freiheit für sich in Anspruch nimmt, die den Kauf von Sex mit einschließt, müsste doch seinen Partnerinnen und allen Frauen ebendiese Freiheit und Gleichheit bieten wollen. Zur Auflösung einer Doppelmoral und für die Anerkennung von Sexarbeit als Arbeit, müsste Prostitution entkriminalisiert werden und die Frauen und Männer, die hier ihren Lebensunterhalt verdienen, volle Arbeitnehmerrecht erhalte. Sex könnte theoretisch ohne Ausbeutung verkauft werden, Prostitution müsste nicht gleichbedeutend mit Gefahr für und Gewalt gegen Menschen sein. 

„Sexarbeit ist eine ökonomische Frage, keine moralische: In einer Welt, in der Scham und sexuelle Gewalt nach wie vor harte Währungen sind, ist die Tatsache, dass die Sexindustrie ein ganz normaler Wirtschaftszweig geworden ist, ein Symptom, und zwar nicht des sozialen Niedergangs, sondern der ökonomischen Ausbeutung der Frauen“, schreibt die Autorin Laurie Penny in „Fleischmarkt“. 

Sex ist wunderschön und menschlich. Gewalt ist es nicht. Menschen, die Mann genug und Frau genug sind um Präsident werden zu wollen, brechen die Norm und sprechen darüber. Sie engagieren sich für Gleichberechtigung, kulturellen Wandel und gegen Gewalt. Und sie ändern eine Gesetzgebung, die Sexarbeiterinnen kriminalisiert, ausgrenzt, verurteilt und ausbeutet. So lange Gewalt gegen Frauen minütlich verübt wird, lautet die schmerzhafte Aufgabe genau das zu benennen und dagegen zu arbeiten. In der Auseinandersetzung mit der Affäre DSK darf es nicht um die Frage nach der Glaubwürdigkeit einzelner gehen, sondern um Antworten auf hunderttausende Verbrechen im Jahr.

Eine Frau und ein Mann sehen sich in die Augen und betrachten einander. Sie verstehen es als Angebot an den jeweils anderen. Die Situation entspannt sie. Selten in seinem Leben haben sie einander nicht vertraut. Sie widerstehen der Versuchung des partnerschaftlichen Miteinanders nicht. Der Akt dauert an.

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Ein neuer FAZ-Text über Pro-Ana, "Thinspiration" und die Darstellung von Selbstverletzung in sozialen Netzwerken >>


Anleitung zum Unsichtbarsein

Nutzerinnen und Nutzer dokumentieren psychische Leiden auch öffentlich in in sozialen Netzwerken. Die Plattformen müssen nun Wege finden, mit Fotos, die Selbstverletzung zeigen oder zur Magersucht anspornen sollen, sensibel umzugehen. Denn das Netz durch ihr Löschen von den Bildern zu bereinigen, hilft Betroffenen wenig.

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Mit Faszination, Enthusiasmus, Besorgnis, Angst und lustvoller Aufregung wird jungen Frauen "auf dem Sprung" zur Zeit in öffentlichen Debatten begegnet. Das can do girl, schreibt die Kulturwissenschaftlerin Angela McRobbie in ihrem Buch zum Aufstieg des neoliberalen Geschlechterregimes „Top Girls“, sei die attraktive Vorbotin der sozialen Transformation. Geschlechtergerechtigkeit ist ein wichtiger Gradmesser für die Fortschrittlichkeit einer Gesellschaft. Sofern sich diese nur schleppend entwickelt, erscheint es als notwendige Kompensation zumindest die Inszenierung zu wagen, Frauen hätten den Kampf um Gleichberechtigung mittlerweile gewonnen. Eine Überraschung ist es also nicht, dass insbesondere junge Frauen zu den neuen Ikonen politischer Bewegungen geworden sind. Damit die Erzählung über moderne Revolutionen gelingt, ist es nur logisch, die Rolle von Jugend, Schönheit und Weiblichkeit stark herauszustellen. Denn als Narrativ bricht diese Ästhetik den Alltag der Macht neu auf; über den bewussten Kontrast zum ergrauten Politikbetrieb provoziert sie Aufmerksamkeit und fügt sich ein in den Markt der sprachgewaltigen Bilder. Die Soziologin Eva Illouz glaubt sogar, „dass Schönheit und Sexualität traditionelle Statushierarchien unterhöhlen und neuen gesellschaftlichen Gruppen (den Jungen und Schönen) die Möglichkeit eröffnen, mit Gruppen zu konkurrieren, die über mehr soziales und ökonomisches Kapital verfügen“. Doch verfügt die Macht des Äußeren auch über politische Relevanz? Dass schöne Protagonistinnen sogar die Erzählung über Aktivismus erfolgreicher machen, offenbart zunächst eine doppelte Sehnsucht ihres Publikums.

Die Revolution will die Utopie. Die Ziele von Aktivistinnen und Aktivisten im arabischen Frühling, die chilenische Studentenbewegung oder die Piratenpartei nutzen den Mechanismus, dass Ideen, deren Realisierung eher ein neues System als ein neues Gesetz erfordern, MitstreiterInnen effektvoller mobilisieren können. BerufspolitikerInnen haben diese Form des Mutes zugunsten von Tänzen um die kleinsten gemeinsamen Nenner eingestellt; die Forderung nach einem Mindestlohn von 8,50 Euro tritt keine politische Bewegung los. Der SPIEGEL charakterisierte im Januar die junge Frauengeneration als „Optimierfrauen“, die „nicht mehr die großen Kämpfe mit einer maskulin dominierten Gesellschaft fechten“ wollten, sich in Wahrheit nach dem Macho sehnten und Erfüllung im Polieren des eigenen Lebenslaufes fänden. Doch die Optimierfrauen und Reparaturmänner finden sich in der politischen Klasse, die momentan die Parlamente okkupiert und dabei ignoriert, dass ein marodes System mit den zögerlichen Schritten von Regulierung und Optimierung immer löchriger wird, keinesfalls stabiler. Man mag dem entgegenhalten, dass radikale Ideen zunächst immer die Aufmerksamkeit eines Publikums wecken, dass vom bestehenden System frustriert oder gelangweilt ist. Doch das Konzept einer liquiden Demokratie, wie sie von der Piratenpartei skizziert wurde, ist nur vordergründig utopisch. Wenn Marina Weisband, politische Geschäftsführerin der Piraten, öffentlich die Funktionsweise der Software Liquid Democracy erklärt und diese in der Praxis schon verwandt wird, ist die Idee bereits über die virtuelle Realität hinausgewachsen.

Die Abwesenheit alternativer Gesellschaftsentwürfe ist der eine Mangel, deren Amplifikation jungen Menschen zunächst unabhängig ihres Geschlechts eine lautere Stimme verleiht. Den Gruppierungen, aus deren Reihen Frauen hervorgehen, die zum einen die mediale Inszenierung ihrer Person bewusst vorantreiben, zum anderen von Medien zum liebsten Gegenstand der Berichterstattung erwählt werden, erwächst zusätzlich aus der Faszination Weiblichkeit ein Vorteil. Denn das Patriarchat ist müde. Die fehlende Balance der Geschlechter in der politischen Sphäre hat sich gerächt. Dort, wo Männer überproportional in öffentlichen Positionen agieren, scheitern sie ebenso oft. Der geschiedene FDP-Generalsekretär Christian Lindner, der Raubkopierer Karl-Theodor zu Guttenberg, Silvio Berlusconi, selbst der Schwiegersohn der Nation, Christian Wulff, haben sowohl Bürgerinnen und Bürger, als auch ihr professionelles Umfeld verunsichert und peinlich berührt. Sie sind die Schmerzensmänner der Politik. Dem Boys Club fehlen zu diesem Zeitpunkt mehr denn je zeitgemäße Bilder von Männlichkeit, die sie mit Politikerinnen konkurrenzfähig machen. Die verzagten Bemühungen um eine gleichberechtigte Repräsentation von Frauen in kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Ämter, intensivieren die unterschwellige Sehnsucht nach Pluralität innerhalb der einflussreichen, öffentlichen Wortführenden. Denn die globale Gesellschaft, eine Vielfalt der Kulturen und Flexibilität von Geschlechterrollen sind nunmehr im Privaten alltäglich. Dass die politischen Abbildung mit den Lebensrealitäten ihrer Wählerinnen und Wähler nicht einmal mehr japsend Schritt halten kann, bewirkt neben feministischer Kritik daran ein breites, diffuses Unbehagen, das keinesfalls auf progressive Kreise beschränkt ist. Der Hunger auf Frauen – das Verlangen nach ihrem Geist, und nicht nach ihrem Körper – erklärt auch Angela Merkels ungebrochene Beliebtheit, warum das Scheitern von Margot Käßmann so schmerzte, und warum die Rolle von Michelle Obama im zweiten Wahlkampf ihres Mannes noch einmal an Bedeutsamkeit gewinnt.

Frauen werden zu Popstars politischer Bewegungen ausgerufen. Doch das Prinzip „Sex sells“ greift für keine von ihnen: Camila Vallejo, Sprecherin der chilenischen Studentenbewegung, Lina Ben Mhenni, Bloggerin und Aktivistin aus Tunesien, die Piratin Marina Weisband, Sahra Wagenknecht, die inhaftierte Ukrainerin Julija Timoschenko oder ihre Tochter Jewgenija. Wirkten diese Frauen nebeneinander aufgereiht im Scheinwerferlicht wie eine Girlband? Normale, durchschnittlich attraktive Frauen gelten mit dem Betreten der politischen Bühne plötzlich als glamourös, als so hinreißend, dass man ihren männlichen Kollegen unterstellt, kaum noch einen klaren Gedanken fassen zu können (und so erscheint es tatsächlich in der journalistischen Rezeption). Mediale Darstellungen legen trotz der Eloquenz und Scharfsinnigkeit dieser Frauen nahe, sie seien schöner als klug, ihr Privatleben von größerem Interesse als ihre politischen Ziele. Dieser Sexismus verdient harsche Kritik. „Steinmeier brauchte damals dringend hübsche Bilder, wenigstens das“, so beschreibt der Politikredakteur Christoph Hickmann im Spiegel die Ausgangsbedingungen für die Karriere der SPD-Politikerin Manuela Schwesig. Ihrem telegenen Gesicht habe die stellvertretende Parteivorsitzende ihren Erfolg maßgeblich zu verdanken. Hickmann prognostiziert weiter, in einer komplizierten Welt, würde die Bedeutung attraktiver PolitikerInnen weiter wachsen, denn „die Sehnsucht nach Schlichtheit wird zunehmen. Es gibt nichts Schlichteres als Schönheit.“ Naive Kommentare, die Attraktivität und Kompetenzen nicht vorurteilsfrei zusammen denken können, lesen sich wie der Selbstschutz einer verletzten Männlichkeit, dem der zunehmende politische Einfluss kluger Frauen Angst bereitet. Die Frau als eine Form des politischen Wesens unvoreingenommen zu beschreiben, scheint utopisch. Möglicherweise ist dies zu diesem Zeitpunkt zu anspruchsvoll für eine Medienlandschaft im digitalen Wandel, deren Selbstvalidierung durch möglichst viele Klicks und Likes erfolgt, und der in der Echtzeit die Ruhe für Analyse und Ernsthaftigkeit abhanden gekommen ist. Dass jedoch vor allem gefällige, lebhafte, kompetente und anständige junge Frauen mit biederem Charme gefeiert und gefürchtet werden, zeigt, wie konservativ das Verständnis von Weiblichkeit ist, deren Integration in das Politische denkbar ist.

Der Celebrity-Status ist aber vor allem eine Zuschreibung von außen. Innerhalb der eigenen politischen Reihen erhalten die fähigen Frauen Respekt und Unterstützung. Für die Vergänglichkeit produzierte Popsternchen sind sie dort nicht. Warum auch? Die Beschreibung einer politischen Bewegung als popkulturelles Phänomen ist durchaus richtig, ihre Inhalte damit zu marginalisieren funktioniert jedoch nicht. Das Klischee einer konsumversessenen, politisch desinteressierten Jugend lässt sich mit Blick auf die blanken Zahlen derer, die an Demonstrationen teilnehmen, sich online organisieren und wählen, nicht aufrecht erhalten. Erst in der vergangenen Wochen protestierten über 100.000 vornehmlich junge Menschen europaweit gegen das internationale Handelsabkommen ACTA. Den Zulauf erhielten die Demonstrationen jedoch nicht aufgrund eines Personenkults. Für die digitale Gesellschaft wiegen Freiheitswerte weit schwerer. Eine bezaubernde Lichtgestalt in den Reihen der Regierungen wäre mitnichten in der Lage, diese wachsende Kluft visuell oder über ihr Image zu schließen.

Die 30-jährige Ägypterin Laila Solimann unterstrich die Bedeutung von einer solidarischen Bewegung mit gemeinsamen Zielen vor Personen in ihrer Rede, als sie im Oktober vergangenen Jahres in Berlin den Willy-Brandt-Preis für besonderen politischen Mut entgegennahm: „Was die ägyptische Revolution auszeichnet, ist, dass sie keine Führer oder Sprecher hatte, und somit behaupte ich jetzt keineswegs eine zu sein. Ich bin nur eine von 86 Millionen, eine Theatermacherin, und ich habe meine Zweifel im Rampenlicht zu stehen, aus Gründen, die nicht mit Kunst zu tun haben. Somit glaube ich eher, dass ich es dem Zufall verdanke hier vor Ihnen zu stehen. Dies und vielleicht der Tatsache, dass ich ihren Vorstellungen einer Revolutionärin entspreche; jung, unverschleiert, gebildet, nicht religiös, kurz jemand, mit dem Sie sich identifizieren können.“

Soliman erkennt die Mode, dass sie als Bewegung einer einzelnen Frau ausgezeichnet wurde, die eine zivile Bewegung einer Gemeinschaft nur unzureichend würdigt. Sie kritisiert jedoch noch einen weiteren Punkt: sie ist ein erfolgreiche, schöne und westlich sozialisierte Frau. Die Sichtbarkeit einer Handvoll junger Revolutionärinnen bedeutet – trotzt aller Schönheit dieses Phänomens – noch lange keinen emanzipatorischer Erfolg. Die Geschlechterforscherinnen Sabine Hark und Paula-Irene Villa weisen in ihrem Vorwort zu „Top Girls“ darauf hin, hinsichtlich der Luminosität junger Frauen kritisch zu fragen, „wer Alpha-Mädchen sein kann, sein darf, sein soll“ und wie diese Bedingungen zur Teilhabe soziale Spaltungen verursachen könnten.

Ein Erfolg der jungen Revolutionärinnen wäre es daher, wenn auch die Bewegungen für Geschlechtergerechtigkeit wieder sichtbarer werden und der Erfolg einzelner jungen Frauen nicht darüber hinwegtäuscht, dass ein transnationaler Feminismus vor großen Aufgaben steht. Eine Interpretation von Schönheit, die sich in diesem Kontext lohnt aufzugreifen, liest man bei Eva Illouz: „Als kulturelle Kategorie unterscheidet sich „Sexyness“ von Schönheit. Im 19. Jahrhundert galten Frauen aus der Mittelklasse als attraktiv aufgrund ihrer Schönheit und nicht aufgrund ihres Sex-Appeals. Schönheit verstand man als körperliche und geistige Eigenschaft.“ Wenn heute allein der Fakt eine attraktive Frau zu sein, schon erotisches Kapital genug bergen soll, um mit dieser Macht der Gleichberechtigung gefährlich nahe zu kommen, was geschähe dann erst, wenn eine Masse von Frauen begänne, ihr gesamtes weibliches Kapital, als Mensch, Intellektuelle, Aktivistin und Frau, auf die politischen Bühnen zu bringen?

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