Sigi Maron ist, das sei den Jüngeren unter euch gesagt, die den guten Mann rein zeitlich gesehen gar nicht mehr kennen können, die Speerspitze einer stark politisierten heimischen Liedermacher-Bewegung, die ab der 2. Hälfte der 70er bis in die gesamten 80er hinein, stilprägende Musik fabrizierten.
Maron war für durchaus handgreifliche Aktionen und auch Lieder verantwortlich. Seine "Ballade von ana hoatn Wochn" mit dem schönen "Leckts mich am Oasch"-Refrain wurde beim Protestsong-Contest als Themen-Lied gesungen, mit "Geh no ned fuat!" oder "Andrea" hatte er auch ein paar echte Chart-Hits, in Helmut Zenkers Narren-Revue Tohuwabohu tauchte der wortgewaltige Stänkerer im Rollstuhl gut und gerne auf, mit "Wir sind klein und du bist Gross" war er der erste Künstler, der die Spiegelgrund-affäre thematierte, seine Reputation reichte bis England, wo er mit der 80er-Ikone Kevin Coyne arbeitete.
Meine weiteren Lieblings-Stücke von Maron sind "Ali Ewadi Zakria" sein Lied über einen totgefahrenen Krone/Kurier-Verkäufer, "Da Hausmasta" ("I bin da Hausmasta und es Saugfrasta schleichts euch von meina Wiesn!" - traurig aktuell bis heute) oder das groteske Stück "Mei Hund is a Epileptika".
Maron war und ist ein grandioses Schandmaul, jemand, der mit seiner Sprachgewalt quasi die Zunge auf die Wunden zu legen vermag. Maron war bei allen relevanten Ereignissen der Zeit an vorderster Front dabei, egal ob Arena-Besetzung, Zwentendorf oder Hainburg.
Maron nützte dabei auch seine Position als Behinderter, den man nur schwer öffentlich beseiteschaffen konnte - er bot also alles auf, was er hatte: Geist und Körper.
Maron ist ein mutiger Mann.
In den letzten Jahren ließ es seine Gesundheit nicht mehr zu, dass er weiter Musik macht. Ich hab ihn zuletzt als Juror beim Protestsong-Contest erlebt, mit etwas milder gewordener aber trotzdem beißender Schärfe, sarkastisch und selbst-ironisch wie eh und je.
Maron war bei der Plattenfirma, die alle seine Alben herausgebracht hatte, in den letzten Jahren als Bildschirmarbeiter beschäftigt. Zu Marons Mail, das er "Nur zu eurer Info" an FM4 geschickt hatte, sollte man noch wissen, dass diese Plattenfirma im letzten Jahr einen ordentlichen Merger zu bewältigen hatte.
Marons "Abschied aus der Musikindustrie" ist wie immer ein Text mit hoher poetischer Qualität, aber auch eine Art Sittenbild über den aktuellen Stand der Arbeitswelt (im Feld Medien/Kultur) anno 2005.
Ich möchte ihn ins heutige Journal copypasten, nicht um irgendwen anzuprangern oder irgendwas anzuzetteln, es ist wie beim alten Arik Brauer-Lied, es ist ein beinharter Protestsong, er richtet sich gegen alle, also auch genauso gegen uns selbst.
Mein Abschied von der Musikindustrie, nur zu Eurer Info.
Sehr geehrter Herr K.,
Mein Kaffeehäferl mit dem Bildnis von Che Guevara ist verschwunden. Ich vermisse es. Lange hat es mir treu gedient, jetzt ist es weg. Zur Zeit trinke ich meinen Kaffee aus einem Leninhäferl. Schmeckt lange nicht so gut wie aus dem Che Guevara Häferl. Das Leninhäferl habe ich früher nur zum Wodkatrinken benutzt. Besser als Granderwasser, glauben Sie mir. Ich vermisse auch noch Anderes. Die Gespräche mit den MitarbeiterInnen, die Kaffeepausen mit Guglhupf, Marmorkuchen oder anderen leckeren Dingen der Mehlspeiskunst. Das Geräusch des Kopierers am Gang, das Läuten und Klingeln der Telefone, das Rauschen des Wassers am Scheisshaus, aber vor allem vermisse ich das Lachen in den Zimmern, auf den Gängen. Nun das Lachen ist den meisten KollegInnnen schon längst vergangen. Verständlich. Darum sind auch die Türen der Büros, die früher meines Wissens nur bei ganz wichtigen Angelegenheiten geschlossen wurden, alle zu. Schotten dicht. Einigeln. Innere Emigration. Friedhofsruhe. Wegschauen? Wohin schauen. Nach gegenüber, wo Khaled seinen nackten, behaarten Oberkörper aus dem Fenster hängt und runter auf die Strasse schreit: 'Apfel, Apfel.' Fatima hat beim Hofer das Klopapier vergessen, muss also nochmals hin, Khaled will auch noch frische Äpfel haben. Obst ist gesund. Und Klopapier erforderlich nach der Einnahme von vielem Obst.
Nach jeweils 50 Minuten ununterbrochener Bildschirmarbeit muss eine Pause oder ein Tätigkeitswechsel im Ausmaß von jeweils mindestens 10 Minuten erfolgen. Pause oder Tätigkeitswechsel können jeweils in die anschließende zweite Stunde verlegt werden, sofern der Arbeitsablauf dies erfordert.
So steht's zumindest im Gesetz. Diese Pausen haben wir meist gesetzwidrig als Tätigkeitswechsel zusammengelegt und so unsere Zusammenkünfte auf zwanzig, manchmal zweiundzwanzig Minuten ausgedehnt. Arbeit ist keine liegengeblieben. Aber das wissen Sie ja selbst am besten. Es wurde gerackert, geruachelt, barabert, gehackelt (alles österreichische Dialektausdrücke für schwer arbeiten) zehn, zwölf Stunden, manchmal noch länger. Jeden Tag. Jede/r Einzelne hätte den Stachanow-Orden verdient. Alles nur um die Fusion durchzuziehen, immer mit der Aussicht dass die eigenen Tage gezählt waren und man selbst für zu leicht befunden worden war. Zu leicht befunden wurden die meisten BMG-MitarbeiterInnen. Welches Wissen, welche Erfahrung, welche hervorragenden Qualifikationen wurden da fast von einem Tag auf den anderen aus dem zweiten Stock geworfen. Runter zum Hofer. Zu den Aldibrüdern. Förderer der extremen, deutschen Rechten. Finanziert durch türkische, ex-jugoslawische, polnische, slowakische Mitbürger. Favoriten ein Schmelztiegel. Gute Ausländer, böse Ausländer. Hier EU, da Rest der Welt. Aber die meisten Menschen wissen nicht, was sie fanzieren mit einem Hofer-Einkauf. Andere wissen es und kaufen trotzdem, sparen, sparen, sparen.
Favoriten i faloss die, i geh noch Meidling ins Exil (Favoriten ich verlasse dich, ich gehe nach Meidling ins Exil) sang Fritz Nussböck vor vielen Jahren und das Lied fällt mir gerade jetzt ein. Ich verlasse Favoriten, die Erlachgasse, den zweiten Stock und das Büro, zusammengeräumt, staubgewischt, kurz geordnet.
Anlässlich des Gesprächs über die Auflösung meines Werkvertrages vor rund einem Monat, teilten Sie mir mit, dass Sie die grossen Brocken der Fusion endlich erledigt hätten und nun mit der Erbsenzählerei beginnen müssten. Ich fiel nicht aus allen Schoten, da mir von Anfang an klar war, dass ich stets nur ein Erbslein war. Die schmerzvollen Massnahmen die Herr St. und Herr U. versprochen hatten, würden natürlich nicht an den Erbsen vorbeigehen. Ich nehme Ihnen nicht übel, dass Sie meinen Vertrag nicht schriftlich gekündigt haben. Sie haben ja nicht einmal den Großteil der Mails ehemaliger BMG-Mitarbeiter und meine Mails schon gar nicht, beantwortet. Daraus schließe ich, dass Sie zum Schreiben ein gestörtes Verhältnis haben. Vermutlich auch zum Reden, denn eher bekommt man beim Papst einen Termin als bei Ihnen. Klar Zeitdruck, Überlastung, Überarbeitung, so viel Verständnis haben wir alle schon aufgebracht. Aber ehrlich, so großen Zeitdruck, dass Ihnen keine Zeit zum Grüssen blieb? Ein Teil Ihrer Mannschaft, die sie aus dem ersten Stock mitgenommen haben, ist da übrigens Ihrem schlechten Beispiel gefolgt. Gut, japanische Höflichkeit lernt man nicht von heute auf morgen, aber ein "Guten Morgen" oder wenigstens ein kleines "Hallo" hätte es auch getan.
Ihren Hund haben Sie immer gut behandelt, also hab ich mir gedacht, dass Sie im Grunde Ihres Herzens kein schlechter Mensch sind, vielleicht ein von den Bossen und den Aktionären Getriebener, aber auch nur ein Opfer der Globalisierung. Mein Vertrag war Ihnen zu schwammig, es war nicht exakt definiert welchen Aufgabenbereich ich habe und so weiter.
Gerne hätte ich mit Ihnen oder Ihrem Geschäftsführer ein einziges Mal ein paar Minuten über mich geredet. Ihnen erzählt, über mich, die Firma, über Erfolge und Niederlagen. Vor rund dreißig Jahren hat mir Stephan Friedberg, damals Geschäftsführer der Ariola, so hieß das früher, einen Plattenvertrag gegeben. Zwölf Alben habe ich produzieren dürfen, ja dürfen, denn meine Lieder waren nicht das was die Musikindustrie als Bestandteil der kapitalistischen Weltordnung haben will. Aufsässig, widerborstig, schwer verdaulich, mit dem Vokabular der Strasse und viel zu direkt. Die Dinge beim Namen nennen, nicht blöd herumreden. Sicher keine Topseller, aber Longseller. Über die Jahre hinweg hat auch das der Firma satte Gewinne gebracht. Konzerte im ganzen deutschen Sprachraum. Totgeschwiegen im öffentlichen Rundfunk. Politisch angefeindet und ins Terroristeneck gestellt. Sie sollten sich ein paar meiner Lieder anhören. Vielleicht im Auto, da ist der Zeitdruck.... Nein nicht im Auto, da fehlt die Konzentration auf die Texte. Dialekt? Sie sind doch schon lange genug in Österreich um keine Schwierigkeiten mit meinen Dialekttexten zu haben. Oder? Gern erkläre ich das eine oder andere Wort bei Verständnisschwierigkeiten.
Margaret Thatcher feierte ihren 80. Geburtstag mit 670 Gästen. Die ehemalige konservative britische Premierministerin Margaret Thatcher ist zu ihrem 80. Geburtstag von politischen Freunden und Gegnern als historische Persönlichkeit gewürdigt worden. Königin Elizabeth II. und der sozialdemokratische Premierminister Tony Blair standen an der Spitze der Gästeliste der offiziellen Feierstunde in London.
05 vor 12, nannte ich eines meiner Alben. Aufgenommen in London, in den Alvic-Sound Studios mit der Band von Kevin Coyne. Bob Ward war Produzent. Danny Brown der Bassist, Später war er mit der Band "The Fixx" unterwegs. Heute arbeitet er in einer Fischfabrik an der Ostküste. Bauch auf, Gedärme raus. Der Keyboarder Paul Wickens aber klopft noch immer bei Paul McCartney in die Tasten. Sie suchen den Zusammenhang mit Thatcher. Na die Mutter des Neoliberalismus, das was Sie und Herr Unterholzner hier in Österreich und Ihre Kollegen weltweit in die Praxis umsetzen. Dieses Stück Dreck hat in den Achtzigerjahren diese Art von Politik begonnen, die Gewerkschaften zerschlagen, die Kommunen ausgehungert, die Bahnen privatisiert. Jeden Tag wenn wir ins Studio fuhren, mussten wir an der Northend Road warten, weil Bergarbeiter demonstrierten. Wir warteten gerne, hoben die Faust und schrien: "Hoch die internationale Solidarität". Abends im Pub beim dritten Bier haben wir die Thatcher und ihre Scheißpolitik verflucht. Um ein Haar hätte es die IRA geschafft, um ein Haar. Diese sind dann der Thatcher schnell ausgegangen, aber das hat man bei ihrer Geburtstagsfeier nicht gesehen.
Andre Heller hat einst gesungen: "Ich hab mich in dir verloren". Ich verlier mich in Erinnerungen. Ich weiß der Zeitdruck... Erinnerungen kann uns niemand nehmen. Und ich erinnere mich gerne. An verlorene und gewonnene Kämpfe. Abfangjäger, Arena, Gassergasse, Zwentendorf, Hainburg, an Nächte voller Diskussionen, Alkohol, Rauch und Sex. Tatsächlich, ich hatte einmal Sex, genau genommen sogar öfters. Heute bin ich befreit von der Geißel der Potenz. Es bleiben zehn Finger und eine Zunge. Das reicht.
Irgendwann hat mich die EDV so interessiert, dass ich neben meiner künstlerischen Tätigkeit durch den damaligen Geschäftsführer Stephan Friedberg für die EDV engagiert wurde. Drei PCs standen in der Hofmoklgasse in den Büros und zwei Drucker. Ein paar Terminals gab es, die an einem Rechenzentrum in Kopenhagen hingen. Bits and Bytes waren für die meisten Menschen noch Wesen von einem anderen Stern. 1990 Umzug in die Erlachgasse. Das erste Netzwerk wurde installiert, die PCs wurden mehr, die MitarbeiterInnen auch. Die Programme wuchsen, die Anforderungen auch. Als die Kollegin aus der Lizenz stirbt, springe ich dort ein. Als man in der Buchhaltung mit dem erhöhten Arbeitsaufkommen nicht mehr nachkommt, springe ich dort ein. Kaum eine Abteilung habe ich ausgelassen, mitgelacht, mitgeweint. Höhen und Tiefen, wie überall. 1997 musste ich aus gesundheitlichen Gründen alle Live-Konzerte für immer absagen. Das hat weh getan. Meine Psychiaterin hatte alle Hände voll zu tun, meine Frau auch. Seither lebe ich allerdings viel ruhiger. Motto: "Gleiten statt Hetzen".
Der Gleiter kommt auch zum Ziel. Schade, dass wir den Hofrat der niederösterreichischen Landesregierung nicht mehr befragen können über die Vorteile des Gleitens. Dieser besuchte wöchentlich einmal, am Dienstag (das ist der Tag an dem hier in der Firma die Meetings abgehalten werden) ein Etablissement am Gürtel. Dort verlangte er immer die gleiche Liebesdienerin. Irina war ihr Name. Sie ging mit ihm aufs Zimmer. Er bat sie, sich auszuziehen und zog sich selbst aus. Er berührte sie nie. Er schaute sie nur an. Manchmal rauchte er dabei eine Zigarette, machte dazu einen Schluck aus einem mitgebrachten Flachmann. Aus seiner schwarzen Ledertasche entnahm er dann eine Eisenkurbel, wie sie vor langer Zeit zum Anwerfen von Autos verwendet wurde. Diese war fein geschliffen und schon eingeölt. Er legte sich auf den Bauch und Irina musste ihm die Kurbel in das Arschloch schieben. Während sie zu kurbeln begann, sang sie: "Ramona. Ramona, zum Abschied sag ich dir Good Bye". Sie sang: Ramona. Während sie sang, begann der Hofrat zu fluchen, verfluchte Ramona, verfluchte alle Weiber dieser Welt und verfluchte die niederösterreichische Landesregierung. Fünf Minuten und viele Umdrehungen später, schrie er verzweifelt, als er einen gewaltigen Orgasmus hatte. Die Kurbel wurde abgewischt, in der Aktentasche verstaut. Beim Anziehen pfiff er leise die Bundeshymne, zahlte und versprach sein Wiederkommen für den nächsten Dienstag. Also auch mit dem Gleiten kommt man zum Ziel, das wollte ich damit sagen. Ich persönlich hetze ja niemand, drum hab ich so lange auf Ihre Antwort gewartet.
Eigentlich wollten Sie sich bei mir melden, ob, wie und unter welchen Bedingungen eine Zusammenarbeit weiter möglich wäre. Also eine Bringschuld Ihrerseits, weil Sie mir ja Nachricht bringen sollten. Haben Sie aber nicht, vermutlich wegen Zeitdruck, Überlastung, Überarbeitung. Ich habe mich nicht verabschiedet, weil ich ja noch Ihre Antwort abwarten wollte, aber ich denke, dass ich da noch lange warten müsste. So will ich es halt auf diesem Wege machen. Abschied von Ihnen, dem Herrn Geschäftsführer und allen Mitarbeitern. Mit einer kleinen Abschiedsrede, die ich gerne im Sozialraum gehalten hätte, aber nun in Briefform in den Raum stelle. Oh mein Karl ist das eine schöne Formulierung. Eine Frage wird in den Raum gestellt, ja warum, was macht sie denn da, bleibt sie, geht sie weg, sieht sie fern, darf sie schon wählen, macht sie sich in die Hosen.
Also wie Sie und Ihr Chef, der Herr Geschäftsführer U. diese Fusion durchgezogen haben, hat mich schon etwas verwundert. Fusion ist in diesem Fall eigentlich das falsche Wort. Feindliche Übernahme. Okkupation mit anschließender Besatzung und Kriegsrecht kommt da schon eher hin. Ein Manager ist ja heute nicht einfach eine Führungspersönlichkeit, die mit Sachverstand, Einfühlungsvermögen und sozialer Verantwortung einen Betrieb führt, sondern General. Nicht ohne Grund heißen die Manager in der obersten Führungsebene Generalmanager. Sie und der Herr Geschäftsführer führen diesen Betrieb wie eine Armee-Einheit. Bedingungsloser Gehorsam der Untergebenen, früher Mitarbeiter, ist Grundvoraussetzung. Insubordination wird mit sofortiger Entlassung geahndet. Mitarbeiter-Motivation wird ersetzt durch Kadavergehorsam. Die Konkurrenz ist nicht länger Mitbewerber, sondern Feind, Feind, Feind. Die Front ist draußen bei den Händlern, den Supermärkten, den Ketten. Ein neues Produkt zu verkaufen, erfordert den totalen Krieg. Wer nicht mit uns ist, ist gegen uns. So oder so ähnlich waren die Worte von Herrn U. anlässlich einer Mitarbeiterversammlung im großen Konferenzraum.
Und genau das haben Sie und Herr U. bei der fusionierten SonyBMG in die Praxis umgesetzt. So hat sich das Betriebsklima in der Erlachgasse nach der Fusion von Sony und BMG blitzartig und radikal geändert. Vom familiären Betrieb zur Kaserne. Die Belegschaft wurde halbiert und alle MitarbeiterInnen über vierzig mit wenigen Ausnahmen gekündigt. Sonderbarerweise in erster Linie vormalige BMG-MitarbeiterInnen, ja auch zwei Sony-Betriebsräte, die ebenso wie die BMG-Betriebsräte ihre Funktionen zurücklegen mussten. Pardon freiwillig zurückgelegt haben dürften. Alle Kündigungen einvernehmlich selbstverständlich, macht einen besseren Eindruck in der Öffentlichkeit. Und die brauchen wir. Wir - die Musikindustrie, brauchen die Öffentlichkeit mehr als alles andere. Die Industrie meine Damen und Herren. Und nun rappen wir zeitgemäß das Horst-Wessel-Lied.
Inzwischen haben Sie eine Personalfluktuation, die ihresgleichen sucht. Wie viele Mitarbeiter haben Sie neu einstellen müssen, weil das Know How der Gekündigten fehlt? Nennen Sie doch Zahlen, oder haben Sie denen nur freie Werkverträge gegeben, damit sie im Headcount nicht aufscheinen. Gut, dass Sie im Sozialraum, den Sie bis jetzt nicht abgeschafft haben, einen Granderwasserautomaten aufgestellt haben. Da kommt ein Bluff zum anderen. Haben Sie sich je über das Granderwasser informiert, wissen Sie, dass sein einziger bewiesener Erfolg die vollen Kassen des Erzeugers sind? Alle anderen behaupteten Wirkungen sind Wunschträume. "Es handelt sich beim Grander-Wasser um aus dem Esoterik-Milieu stammenden pseudowissenschaftlichen Unfug, dessen kommerzielle Nutzung an gewerbsmäßigen Betrug grenzt", Zitat Dr. Eder, der das Wasser wissenschaftlich untersucht hat. Ein Liter Granderwasser kostet rund 12 Euro. Zum Vergleich: Um diesen Betrag kann man 36 Liter bestes Mineralwasser kaufen. Wunder oder Wucher? Was so teuer ist, kann nicht wirkungslos sein, oder? Was für ein geniales Marketing.
Glauben Sie ja nicht, dass ich enttäuscht oder verbittert bin. Es hat mich sowieso gewundert, dass Sie meinen Vertrag nicht sofort gelöst haben. Als sozialkritischer Liedermacher, Schriftsteller, Gewerkschafter, ja Kommunist gar, muss ich ja ein rotes Tuch für Sie gewesen sein. War das der Grund, warum Herr U. es nicht der Mühe Wert gefunden hat, auch nur ein Wort mit mir zu wechseln? Seine Kämpfe mit dem Betriebrat in der Firma Sony waren ja in ganz Favoriten legendär. Übrigens ich vermisse mein Che Guevara Kaffehäferl immer mehr.
Vor zwanzig Jahren hätte ich in so einer Situation die Ballade von ana hoatn Wochn gesungen, mit Genuss auf die Eingangstüre in der Erlachgasse 130-134 geschifft, anschließend das Haus fluchtartig verlassen. Selbst auf die Gefahr einer Einweisung in die Psychiatrie. So wie damals, als ich vor das Funkhaus brunzte (brunzen=pissen), aus Solidarität zu dem Liedermacher Charly Kriechbaum, der in der Argentinierstraße im Hungerstreik war, weil er wie viele andere kritische Österreicher von Ö3 nicht einmal ignoriert wurde. Ich wurde festgenommen und auf die Psychiatrie gebracht. Die Nacht in Gugging war nicht lustig, aber lehrreich, die künstlerische Ausbeute gewaltig. Lieder wie Leo und Ziaglroter Pavillon auf dem Album 05 vor 12 das Ergebnis. Und bis heute stehe ich seither in der Geisteskrankenkartei, obwohl der Verwaltungsgerichtshof in einem Urteil bestätigte, dass ich zu Unrecht eingewiesen wurde.
Nein so wollte ich meine Zusammenarbeit nicht beenden. Deswegen und meiner Freunde und Freundinnen wegen bin ich geblieben, erste Reihe sozusagen, fußfrei in der Loge gesessen und habe mir angeschaut wie das Theater abläuft. Wahrlich keine Komödie, sicher ein Drama, ein Drama für die geschassten Mitarbeiter. Genug Stoff für ein Drama für mich. Aber ich bin kein Dramatiker, also schreibe ich einen Roman. Früher habe ich über solche Themen Lieder geschrieben, doch in einem, ja sogar in mehreren Liedern lässt sich das nicht unterbringen. Gut schreib ich einen Roman. Schmelzwasser, die Geschichte einer Fusion, die Geschichte von dreißig Jahren Musikbusiness, die Geschichte von Ausgegrenzten, von aus politischen Gründen Totgeschwiegenen, die Geschichte von Gescheiten und Blöden, die Geschichte von Angepassten und Widerspenstigen, die Geschichte von Gutmenschen und Bösmenschen. Wird auch das Wort Gutmensch heute abfällig und abwertend verwendet, tausendmal lieber bin ich ein Gutmensch, als ein Bösmensch oder ein Blödmensch.
Und hier ein erster ganz kurzer Ausschnit aus Schmelzwasser:
'Das Allerwichtigste im Leben ist ein geregelter Stuhlgang. Menschen, die unter hohem Zeit- und Erwartungsdruck stehen, nehmen sich selten Zeit, den angesammelten Dreck aus ihrem Körper zu entfernen, weil sie meist nur an eines denken. Den Profit. Wie erhöhe ich diesen, auf wessen Kosten kann ich sparen, vor allem ohne mir selbst wehzutun? Vor lauter Konzentration auf die Gewinnmaximierung vergessen diese Menschen auf die Entleerung ihrer Gedärme. Aus Zeitnot wässern sie zwischen zwei Terminen den Gummibaum in ihrem Büro, das spart den Weg zum Klo und zurück. Bedauerlicherweise häuft sich dadurch die Scheiße in ihren Körpern so lang an, bis sie selbst zu einem einzigen Stück Scheiße geworden sind. Dieses Stück Scheiße nennt man dann moderne Manager. Jung, dynamisch, asozial und rücksichtslos, mit einem einzigen Ziel. Nach oben. Kürzen, kündigen, ausgliedern. Sobald das Wort Betriebsrat fällt, ertönt ihr Ruf nach dem Exorzisten. Das Wort Solidarität verursacht ihnen Magenkrämpfe. Der Hinweis auf Mitbestimmung treibt ihnen den Schaum vor den Mund. Kurz, der Traum aller Aktionäre.'
Vorangestellt ist dem Roman ein Gedicht:
fahrrad gegen mercedes
david gegen goliath
moral gegen kapital
tote kassieren keine zinsen
Wie gesagt ein Roman, selbstverständlich ist jede Ähnlichkeit mit lebenden oder toten Personen rein zufällig. Und schicken Sie mir nicht Stapo, Verfassungsdienst oder Antiterroreinheiten. Die kenne ich alle schon. Startbahn West, Erdinger Moos, Zwentendorf, Hainburg. Ich bin kein Terrorist, nur ein genauer Beobachter, der seine Schlüsse zieht. Die echten Terroristen sind die, die immer alle anderen als Terroristen bezeichnen. Konstantin Wecker sagt im Willi unter anderem: "Keine Angst vor Nichts und vor Niemandem". Und das sag ich auch. Alsdern, viel Spaß weiterhin und nicht vergessen. Das Leben besteht nicht nur aus Arbeit. Noch eins "Guten Tag" sagen, das tut nicht weh.
TROTZALLEDEM
Guten Tag und Gott zum Gruß
Sigi Maron
www.maron.at
P.S. Ja und grüßen Sie mir Ihren Chef den Herrn Geschäftsführer U. ganz ganz herzlich und er möge sich, wenn er einmal nicht weiter weiß doch den Refrain der "Ballade von ana hoatn Wochn" zum Herzen nehmen. Das befreit.