Den Dingen eine Geschichte schenken

Die Dinge, die hinter mir liegen, verschwinden im Abendrot. Sie liegen auf einer Bank, vergessen, während ich auf der Pritsche eines Lastwagens sitze und mir den Kopf halte, durch die Nacht brausend, dem Morgen entgegen. Wind schlägt mir, der ich der Abwechslung wegen manchmal stehe, ins Gesicht, ein Wind, der von vorne kommt, aus der Zukunft, in die wir rasen. Straße ist ein Stück Zeit. Autos sind Zeitmaschinen. Ich holpere über die Zeit, werde von der Maschine, die jede Zeitunebenheit zur Kenntnis nimmt, die sie aufnimmt und weiterleitet, durchgeschüttelt. Die Zeitmaschine,  auf deren Pritsche ich lebe, ist alt. Der Rost hat sich in sie verbissen wie ein stürmischer Liebhaber, der seine Geliebte zum Fressen gern hat. Müllreste (dies könnte ein ehemaliger Müllwagen sein) verkümmern in den Ecken. Dort, eine Brotscheibe ohne Belag, die aussieht, als wäre sie vom Teller ihres Besitzers gerissen worden, einfach so, man mag sich gar nicht vorstellen, was geschah. Vielleicht wurde er verhaftet, vielleicht traf ihn der Tod, bevor er sein Frühstück angehen konnte. In der Zeitmaschine finden sich allerlei Dinge, die ich nicht gebrauchen kann, die aber etwas mit ihren Vorbesitzern zu tun haben müssen, und die mir etwas erzählen wollen, dass ich nicht verstehe. Zu abstrakt sind ihre Geschichten. Ein Gürtel liegt dort. Ein halbe Packung Tempos. Ein Buch ohne Titel und Inhalt. (Ja, es sind tatsächlich leere Seiten, drum stecke ich das Buch ein, in der Hoffnung, bald noch einen Stift ergattern zu können, um die Seiten bei Gelegenheit zu füllen. Ich könnte aus dem Buch ohne Inhalt ein Notizbuch machen. Ein Notizbuch wäre eine feine Sache, denke ich, denn dann fänden all die Gedanken und all die Sachen, die ich hier hinten auf der Pritsche dieses Zeitmaschinenlastwagens noch finde oder bereits geortet habe, ein neues Zuhause. Ich könnte den Dingen, die scheinbar keine Geschichte haben, eine Geschichte schenken.)

Der Wagen donnert weiter, direkt in den neuen Tag hinein, immer weiter Richtung Zukunft. Ich halte mir weiterhin den Kopf und genieße die aufkommende Morgenbrise.

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