Kleine Notiz für Angelika Müller
Die Sonne scheint uns, also warum sollten wir sie beachten, sie tut es ja eh. Seit Wochen sind wir unterwegs, auf der MS Egal, die ihrem Namen alle Ehre macht. Nichts interessiert uns mehr, denn alles gleicht sich. Jeder Flur ist durchmessen, jeder Tisch beäugt, jeder Stuhl besessen, jede Welle fotografiert worden.
Überhaupt, so erzählen wir es uns, ist an den Wellen, ist am Wasser nicht viel dran, nur ein großes Nass, das wir zumindest vermuten. Wirklich erfahren hat es noch keiner. Im Pool gibt es keine Gefahren, keine Untiefen, keine glitschigen Tiere, die sich an uns vergreifen können. Einen Sturm, den wünschen wir uns. Meterhohe Wellen, die uns aus unserer Lethargie reißen würden. Das Schiff liegt schwer, der Magen tut es ihm nach. Wir fressen, weil es aufgetischt wird und wir ja etwas tun müssen.
So kann man nicht leben, drum werden wir morgen, der Kapitän versprach es uns, einen Landgang machen. Tief hinein in ein Hungerland will er uns führen. Will uns zeigen, wie man heutzutage leidet. Unsere Augen springen aufgeregt, weil wir längst alles satt haben. Vielleicht, so hoffen wir, werden wir einem Kind die Brust geben dürfen. Dem Tod wollen wir beiwohnen. Zwei Herzinfarkte gibt es erst seit unserem Aufbruch zu verzeichnen, die unseren abendlichen Gesprächen vorübergehend ein wenig Spannung und Farbe gaben. Nun aber, da niemand an Bord mehr sterben will, gelüstet es uns nach touristischen Attraktionen. Die Spiele sind alle gespielt. Eine Revolution könnte angezettelt werden. Ein Feuer müsste ausbrechen.
Irgendwas muss geschehen, das uns nicht egal ist.