Oskar Maria Graf betritt den Speisesaal

Die hier zitierte Geschichte wird immer wieder erwähnt, beispielsweise in der Süddeutschen, “live” habe ich sie jetzt erst gelesen, ziemlich am Anfang des überaus informativen Berichts von Oskar Maria Graf über seinen Besuch des Ersten Unionskongress der Sowjetschriftsteller von 1934, und über die anschließende Reise durch die Sowjetunion.
Nach langer, anstrengender Bahnfahrt ist er endlich an seinem ersten Ziel angekommen:

Wir waren also jetzt in Moskau, im schönsten Hotel, das ich je kennen gelernt habe. (…)
Ich duschte mich und zog meine bayrische Tracht an: weißes Leinenhemd, kurze Lederhosen, Janker, Kniestrümpfe und das Hütel mit den Federn. Gleich darauf ging ich durch die teppichbelegten Hotelgänge und stieg die breiten Treppen hinunter. Kreuzfidel (…) trat ich in den Speisesaal.
Alle Gäste hörten zu essen auf. Ich lachte verschwiegen in mich hinein, blieb kurz stehen, steckte beide Hände in die weitklaffenden Hosentaschen und sah mit betont bäuerlicher Neugier auf all diese Herrlichkeit. Es war eine Herrlichkeit in gemäßigtem Jugendstil. Viel Marmor und überladene Stukkatur, (…) rundherum liefen goldstrotzende Galerielogen, und in der Mitte des Raumes war ein pflanzenumranktes Fischbassin mit einem gemächlich plätschernden Springbrunnen. Auf den blinkend weiß gedeckten Tischen prangten bestes Porzellan, schweres Silberbesteck und frischgefüllte Blumenvasen.(…)
Die Gäste aßen immer noch nicht weiter. Jetzt aber wurde es an einem Tisch an der Seite lebhaft. Ich sah altbekannte Gesichter, die mir laut zulachten: »Ah, der Graf! Der Graf! Oskar, Servus! Hallo, komm her! Servus in Moskau!« Wieland Herzfelde, F. C. Weiskopf, Hans Becher und Willi Bredel winkten mir. Ich breitete beglückt die Arme aus und ging auf sie zu. Eine jähe Munterkeit schoß in mir auf. Ich spürte, ich war wieder daheim: Unter Menschen! »Also – großartig!« schmetterte ich, im Saal herumdeutend: »Einfach gewaltig! Unter uns gesagt – beste zaristische Tradition!« Ich hockte mich breit hin und drückte jedem die Hand.

Kommentar hinterlassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.