Adelle Waldman – Das Liebesleben des Nathaniel P.

Adelle Waldman – Das Liebesleben des Nathaniel P.

Nathaniel Piven ist eigentlich recht zufrieden mit sich und seinem Leben. Er ist ein Aufsteigerkind: dank der harten Arbeit seiner Einwanderereltern konnte er die Eliteuni Harvard besuchen und aus der Provinz in die New Yorker Gesellschaft wechseln. Er steht kurz vor der Veröffentlichung seines ersten Romans und verbringt seine Tage mit Buchbesprechungen für verschiedene Zeitungen. Lässig schaut er der Gentrifizierung seines Stadtviertels zu – plötzlich kommen die Künstler und der gehobene Mittelstand in die Gegend.
Fast belustigt und mit einer gewissen Distanz nimmt er den Wandel der Straßenzeilen, Cafés und der Wohnungen um ihn herum wahr. Dass er selbst Teil der sozialen Verschiebung im Viertel ist: Das würde er niemals so sehen! Nein, er ist ein analytischer Beobachter, ein scharfer Gesellschaftskritiker, doch einen würde er niemals kritisieren: Sich selbst.

Doch eine Baustelle gibt es in seinem Leben und die ist nicht ganz unbedeutend: Sein Liebesleben ist suboptimal. Er sehnt sich wirklich nicht nach festeren Bindungen, doch irgendwie missverstehen das die Frauen, mit denen er ausgeht regelmäßig. Dann ist da noch die Ex, die in regelmäßigen Abständen wehmütigen Revival-Sex mit ihm hat und diverse andere Ex, denen er eigentlich nicht begegnen möchte. Er meint, dass er keine feste Bindung sucht, er sehnt sich einfach nicht nach diesem Modell und aus seinen eher flüchtigen Bekanntschaften und Kurzbeziehungen entwickelt sich hauptsächlich eins: Frust. Nathaniel lässt nämlich kein gutes Haar an den Frauen, die in seinen Augen körperlich wie intellektuell, aber bitte auch emotional perfekt sein sollen. Gut – zu sehr sollten sie dann auch nicht mit Intelligenz ausgestattet sein, das löst bei ihm – bei allem guten feministischen Grundgedanken zum Trotz – ein Unbehagen bei ihm aus. Schließlich lernt er eine Frau kennen, die ihn zunächst körperlich weitaus weniger anspricht, als seine letzten, eher naiv-anstrengenden Freundinnen. Doch sie hat Humor, eine eigene Meinung und zeigt aufrichtiges Interesse an ihm und seiner Arbeit. Der Leser begleitet Nat nun durch Wochen der Zerrissenheit und Unsicherheit – diese Art von Gefühlen ist anders und er weiß nicht, ob er sich darauf einlassen will.

Ein Gesellschaftsroman über das moderne Liebesleben


Natürlich geht es hier um viel mehr, als um einen einzelnen Mann und sein Liebesleben. Nach und nach entspinnt sich eine aufschlussreiche Gesellschaftsanalyse. Adelle Waldmans Debütroman, der die Schicht von End-Zwanzigern und Dreißigern der New Yorker Intellektuellen- und Hipsterszene herrlich aufschlussreich auseinandernimmt und in wenigen Figuren zu einem Gesellschaftsroman zusammenfügt, könnte so wohl auch in Berlin, Hamburg oder Frankfurt spielen. Diese jungen, kreativen von Rastlosigkeit und Unzufriedenheit geprägten Personen verlieren sich in Gesprächen zwischen Oberflächlichkeit und Intellektualität.

Es ist beeindruckend, dass man sich selbst immer wieder ins Gedächtnis ruft und rufen muss, dass keine männliche Autorensicht hinter Nathaniel, diesem Antihelden und Egomanen steckt, sondern eine unheimlich gute Autorin. Die Tatsache, dass eine weibliche Autorin die Schöpferin von Nathaniel ist,  lässt seine Gedanken und Einstellungen in einem besonders zynischen Licht erscheinen. Besonders, wenn er sich darüber beklagt, dass Frauen sich nur um Themen kümmern, die sie selbst betreffen, sich nicht von ihrem eigenen Wesen und ihrer Weiblichkeit lösen können.
“Sie [Anm. Die Frauen] waren im gleichen Maße zu rationalem Denken fähig; es schien sie nur einfach nicht genauso zu interessieren.” 
Gleichzeitig ertappt man sich bei Gedanken wie: Die Autorin hat sich wahrlich eingefühlt… Ein Autor würde für seine „Messerscharfe Analyse“ gelobt werden – erwischt! Ich habe immer wieder gemerkt, dass dieses Buch etwas mit mir macht. Ich war hin- und hergerissen zwischen Zustimmung und einer gewissen Empathie für Nathaniel und seinem Frauenbild – als die beziehungs- und aufmerksamkeitsgeilen Mäuschen, bekamen von mir auch nur ein müdes Lächeln – zunächst. Denn ich merkte schnell, dass es Nathaniels Blick auf die Frauen war, ein verzerrter und von Selbstgefälligkeit und Klischees geprägter Blick. Dann wurde ich wütend auf diesen vermeindlich modernen, dem Feminismus zugeneigten Mann, dem Altherren-Gestus des Autors – doch halt, es ist ja kein Mann, der hinter diesem Werk steckt! Was sagt das eigentlich über mich und meine Lesegewohnheiten, über die Schubladen in meinem Kopf aus?
In dieser Gedankenschleife drehte ich mehrere Bahnen während des Lesens. Es gab Phasen, in denen ich das Buch für einige Tage beiseite legen, verdauen und sinnieren musste. Doch macht nicht genau DAS ein Buch von Format, einen Klassiker aus? Es kratzt an etwas, zeigt Strukturen und Denkmuster auf und hinterfragt sie. Ein Roman, der tatsächlich ein neues Licht auf mein Alltagsdenken werfen kann, ist schlussendlich der Grund, warum ich lese.

Fazit


Dieses Buch ist entlarvend, es ist nicht immer leicht, zuweilen eintönig und enervierend in der selbstgefälligen Herablassung, in der der Protagonist die Frauenwelt betrachtet. Doch es hält uns einen Spiegel vor, lässt uns über Klischees, Gleichstellung und Liebe neu nachdenken.
Ein Debüt mit Humor, Wucht und sehr, sehr guten Beobachtungen.

kleines Herz gefülltkleines Herz gefülltkleines Herz gefülltkleines Herz gefülltkleines Herz gefüllt

Eure Mareike


Adelle Waldman – Das Liebesleben des Nathaniel P.
304 Seiten, € 19,90
Gebunden mit Schutzumschlag
Leseprobe