Und der schönste Tag in meinem Leben hat eine Färbung, einen Geschmack, riecht nach etwas Bestimmten, wird irgendwie perfekt. Der schönste Tag im Leben ist der Besonderheit noch einen Schritt voraus. Geht dahin, wo Glück und Vollkommenheit einander die Hand reichen und vertraut eine Basis schaffen. Eine Basis auf der es sich weiter zu gehen lohnt. Weil es folgen noch Tage. Tage, an denen es schön sein wird, Tage, an denen es weniger schön sein wird. Und vielleicht der nächste schönste Tag in meinem Leben.

Mitten im Unterricht sagte das meine Schülerin. Schnitt dabei Bundesländer aus, um sie danach puzzleförmig zusammen zu setzen. Daraus ein Ganzes schaffen, das Sinn macht und Überblick schafft. Die Puzzleteile ihres Lebens, die die Schülerin in den vergangenen Tagen zunächst in den Unterricht mitbrachte, waren eindeutig. So eindeutig in ihren Kanten und Formen zu erkennen, dass es offensichtlich war, hier ein schwieriges Stück gemeinsam zusammen zu bauen. Mit all den Teilen, die ihr mitgegeben wurden. Mit all den Teilen, die sie neu dazu gewinnt.

Selten habe ich ein Mädchen in der Klasse sitzen, das so beharrlich schlecht gelaunt und respektlos im Umgang mit allen Beteiligten ist. Alles ablehnen, in Verweigerung gehen, aussitzen und anschnauzen. Sich verbarrikadieren vor sich selber, die Mauer so hoch ziehen, dass der gute Kern nicht angreifbar ist. Untragbar für einen ganzen Schulvormittag. Ich selber merkte in den Tagen, dass ich hier geduldig sein muss. Fast schon beharrlich geduldig. Kenne ich doch Auszüge aus ihrem Leben, was ihr so schwieriges Verhalten verständlich macht. Keine Bindung von Beginn ihres Lebens an, an einem Ort aufgewachsen, der für Kinder nicht gedacht ist. Und der sie so gemacht hat, wie sie ist.

Diese Schülerin mit ihrer besonderen Herausforderung las gestern nach einiger Ablehnung verschiedener Unterrichtsmaterialien zum ersten Mal Seelenkonfetti. Und wurde dabei plötzlich aufmerksam und still. Saß da und las eine halbe Stunde lang, worüber ihre Vorgänger berichteten. Wie deren Wahrnehmung war, welche Tipps und Zuversichten sie an die weiter gaben, die jetzt in ihrem Hier sind. Die draußen sind, die neu sind. ‘Ich will jetzt auch bloggen. Was muss ich tun?’ Und setzte sich hin und schrieb ihren Artikel.

Gespannt auf Resonanz setzte sie sich heute wieder an den Rechner, las mit großen Augen die Besucherzahl auf ihrem Artikel und war ergriffen und gerührt von den 2 Kommentaren, die sie erhielt. Und plötzlich war sie da. Auf eine andere Art, sehr offen. Ruhig und strahlenden Auges. Ganz baff von der Aufmerksamkeit und den Worten, die ihr geschrieben wurden. Plötzlich gute Worte und Anerkennung zu erfahren durch Geschriebenes, Aufrichtiges und Ehrliches. Weit weg von Pampigkeit und Groll. So weit weg, dass sie fast wie von einer Wolke getragen den Schultag bewältigte, als ob sie noch nie etwas anderes gemacht hätte. Aufmerksam und konzentriert, immer wieder reflektierend, was mit ihr da grad geschah, platzte es dann beim Puzzleteileschneiden raus: ‘Heute ist der schönste Tag in meinem Leben! Ich bin gut gelaunt aufgewacht und das jetzt hier. Das ist echt krass. Und Schule ist der Hammer! So wird heute mein Mittag sein und hoffentlich auch der Rest des Tages.’

Für mich ein kleines Wunder. Ein Wunder, das allein nicht funktioniert. Puzzleteil an Puzzleteil, Internet an Leser, Leser an Bloggerin, Bloggerin an sich selbst. Das kann ein neues Bild ergeben. Ein schönes Bild. Das sich hoffentlich eingerahmt verewigen wird in die Puzzlesammlung der schönsten Tage ihres Lebens.

Und Sprüche klopfen ist Alltag. Gehört dazu, lockert auf, dreht sich im Kreis und zählt. Sprüche werden geklopft aus dem Nichts, ohne Hintergedanken und Absicht. Einfach so. Einfach gemeint. Was bleibt, ist ein gesagter Satz, der nicht weiters beachtet, gewertet und gespeichert wird. Hier und da. Leicht getan. Nachhalllos.

Hier aber nicht. Nicht hier, an dem Ort wo ich Lehrerin bin. Der Ort, der Geschichten in sich birgt und Wahrheiten trägt, die schwer zu ertragen, zu verkraften und zu verarbeiten sind. Sie wiegen eine Menge, legen sich oft aufs Gemüt und zeigen sehr deutlich, dass Grenzen erreicht sind und ihre Übergänge nur mit Müh und Not, Auseinandersetzung und Richtungswechsel geöffnet werden. Damit sich ein Leben zeigt, dass besser ist und gut tut.

Manchmal ertappe ich mich dabei, im Unterricht zu reden, viel zu reden. Die Schüler und Schülerinnen den Vormittag über im Unterricht mit Geschichten und Lehrstoffen zu beschäftigen, ihnen Herausforderungen anzubieten und mit ihnen Abwechslung zu leben. Und wer redet, klopft Sprüche.

Situationspassende, aber dennoch ungeeignete Sprüche kommen da ab und zu in den Sinn. Die ich zu klopfen wage in meinem privaten Leben. Die ich nicht zu klopfen wage im Unterricht. Auch wenn sie mir fast über die Lippen huschen. Ohne Hintergedanken, wohlwollend eigentlich, aber gespart, weil genau unpassend für den einen Schüler oder die andere Schülerin. Rechtzeitig erkannt, wenn teils auch sehr knapp.

Da ist zum Beispiel die Schülerin mit Essstörung, die sich langsam wieder an ein adäquates Portioneneinteilen der Mahlzeiten gewöhnt. Kleinschrittig und mit viel Arbeit. ‘Mühsam ernährt sich das Eichhörnchen.’ zu sagen, wenn Mut gemacht werden will, eine Aufgabe zu ende zu schaffen, ist hier falsch, war aber schon fast gesagt.

Oder die Schülerin, die sich durch massive Selbstverletzungen ihrer Selbst vergeblich bewusst zu werden versucht. Hausaufgaben verweigern, Unterrichtsangebote nicht annehmen, damit konfrontiert sie sich und mich mit ihrer Lage. Ihr zu sagen, dass sie sich ‘damit ins eigene Fleisch schneidet’, liegt einem als Lehrender einer Regelklasse womöglich in solch Situation auf den Lippen. Wäre an dieser Stelle dem Entwicklungsprozess während des Klinikaufenthaltes der Schülerin aber wenig förderlich. So zum Glück rechtzeitig gedacht.

Oder dem Schüler, der seinen Vater nach einem Suizid durch Erhängen tot aufgefunden hat, wohlwollend ans Herz legen zu wollen, die Mathelösungen aufzuschlagen, falls die Aufgabe zu schwierig ist. ‘Falls alle Stricke reissen.’ Nicht gesagt und selbst beim Erkennen des Zusammenhangs gedanklich erschauert.

Oder dem Schüler, der seinem Leben nur schwer nicht kein Ende setzen kann, die Plakate des Namensgebers unserer Schule mit dem Hinweis zu zeigen: ‘Schau, der XY hängt da hinten an der Wand.’

All das sind Sprüche an Situationen gebunden, die durch den Kopf gehen, mich für den Moment erschrecken lassen und mir bewusst werden lassen, dass Kinder und Jugendliche als Schüler und Schülerinnen am Unterricht teil nehmen, deren Lebenswelt fragiler nicht sein könnte. Mit einem Spruch, der aus einer guten Stimmung heraus gesprochen wird, aber Erinnerungen wecken kann, die gerade im Moment der Schule doch meist so erfolgreich hintan gestellt wurden. So weit hintan, dass Möglichkeit und Perspektive stark genug sind, mitzumachen im Schulalltag und sich einen Ruck zu geben. Bis hin zum normalen Leben ausserhalb von geschlossenen Türen.

Und Sprüche klopfen sich leicht. Klopfen daher auch manchmal besser nur in Gedanken auf Holz, so dass sie da bleiben mögen, wo sie entstanden.

Und es gibt 3 Möglichkeiten, Frau Knixibix.’, sagt der Schüler zu mir. Der Schüler, der heute allein in der Klasse ist und diesen besonderen Unterricht gut annehmen kann. Alleine die Aufmerksamkeit bekommen, interessierte Zuwendung und schnelle Rückmeldung auf all das, was er Gutes tut. Gutes in Form von Lernen, aufmerksam sein, interessiert und neugierig. Neugierig auf das, was da halt kommen mag, wenn man allein mit der Lehrerin und Mathe und Erdkunde und Deutsch den Vormittag verbringen muss. Die andere Schülerin wurde im Laufe des Unterrichts aus der Klinik entlassen. Sie durfte nach Hause gehen. Nach Hause zurück in ihre Einrichtung.

Wenn man Unterricht mit einem einzelnen, erkrankten Schüler macht, ist das immer eine besondere Situation. Nicht nur für den Lernenden sondern auch für mich als Lehrerin. Hier können sich vom Schüler aus Gespräche ergeben, Gedanken finden ihren Platz, es ist Zeit zur ausgesprochenen Reflexion und auch ein wenig eigens produzierten Perspektivplanung. Wie es weiter gehen soll, nachdem man nun hier angekommen ist. Hier an dem Punkt, an dem es für viele nicht weiter zu gehen scheint. Und doch. Blitzen immer wieder Hoffnungen und Wünsche auf, die das verdrehte Leben in eine Richtung wenden, die Mut macht und aufrecht stehen lässt. Gedanken zulässt, die vor ein paar Tagen noch nicht denkbar gewesen sind.

So wie bei diesem Schüler. Der mit 3 Fingern abzählend heute vor mir steht, nachdem er ein wenig auf Seelenkonfetti las. Ein Ort, an dem viele ehemalige Schüler ihre Sichtweise, ihre Beobachtungen und Erfahrungen, die sie in der Psychiatrie gesammelt haben, aufschrieben und somit auch an Andere da draussen weiter geben. Weiter geben an die, die Mut brauchen, vielleicht aufgegeben haben oder Rat suchen. Auch für die, die wissen wollen, ob hier alle ‘psycho’ sind oder wie das ist. Alltag miterleben, an Erlebtem teilhaben und das Bild im Kopf ausfüllen mit Erzählungen von Erfahrenen.

Der Junge steht nach der aufmerksamen Bloglektüre und einer kurzen Zeit des Nachdenkens also vor mir und zählt an 3 seiner Finger ab: ‘Wissen Sie, das ist nämlich so hab ich mir gedacht: es gibt 3 Möglichkeiten. Die eine ist, sich umzubringen. Die andere ist, das Leben so mies weiter zu führen, wie immer und unglücklich bleiben. Die 3. Möglichkeit ist, einen anderen Weg zu gehen. Sich helfen lassen und sich verändern. Damit man weiterleben kann. So wie ich das doch will. Ich bin doch noch so jung und will noch ein paar Tore schießen in meinem Verein. Das war eine dumme Idee von mir, mich umbringen zu wollen.’ Sagt er und schaut mich an. Aufrecht stehend und mit Glitzern in den Augen. ‘Und wissen Sie, was ich als erstes mache, wenn ich hier raus bin? Ich kaufe meiner Familie ein Geschenk und meiner Freundin schöne Blumen.’

Sagt ein Junge, der grade einmal Teenager geworden ist. Der sein Leben aufgeben wollte, weil er seine Situation nicht mehr tragen konnte auf seinen sportlichen Schultern. Und ich lasse reden. Weil hier in dem Moment Platz ist und er es los werden möchte. Mein Gesprächsanteil ist gering. Ich ermutige ihn in seinen positiven Gedanken und gebe Rückmeldung über seine guten Leistungen und seine offene freundliche Art. Und lasse ihn weiter reden. ‘Ich bin so froh, dass ich nicht gestorben bin und jetzt weiter machen kann. Das wäre doch dumm gewesen. Ich hätte ja nicht nur diesen einen Menschen dadurch bestraft, sondern auch meine Familie unglücklich gemacht. Es gibt doch so viele nette Menschen! Wie gut, dass ich da drauf gekommen bin!’ Solch Gespräche sind echte Gespräche. Blicke verraten die zaghafte Ernsthaftigkeit und weisen hin auf den Wunsch, dass die Entscheidungen richtig getroffen wurden. Das sind Gespräche, die mir lange durch den Kopf gehen, dort bleiben und sich verwurzeln in meinem Wunsch, dass mindestens das gute Gefühl in diesem Augenblick sich bei dem Jungen angesiedelt hat auf dem wackeligen Boden. Der Boden, der gerade gefestigt wird, um auf ihm stehen zu können, weiter gehen zu können und darauf zu bauen. Eine Sandburg zuerst, ein Haus vielleicht später. Ich wünsche es ihm.

Und es gibt 3 Möglichkeiten. Die können gewählt werden.

Und ofw steht auf ihren Buttons. Angeheftet an ihre Jacken, groß und rot, deutlich zu erkennen auf ihren dunklen Jacken, die sie in Zwiebelschicht übereinander ziehen. Damit sie nicht zu sehr frieren, wenn sie heute den Nachmittag im Schneegriesel auf der Domplatte verbringen. Mit Freunden, Fremden und Feinden. Eben alles das ‘was wir auf der Straße so treffen’.

Und ofw kannte ich bis heute noch nicht. Eine Abkürzung, die Rätsel aufgibt und mir mit Ehrlichkeit und Offenheit beantwortet wurde. Zur Aufklärung, Weitergabe, zur Besinnung und zum Graderücken von hässlichen Worten und Umschreibungen, die Menschen erleben, wenn sie auf der Straße leben. So wie meine ehemalige Schülerin und ihr Freund, die ich beide heute zufällig in der Straßenbahn traf und die beide mein winterliches Bild vom Leben auf der Straße mit Farben und Fakten bereicherten. Ein überraschtes ‘Hallo Frau Knixibix! … Hier Schatz, guck mal, das ist meine alte Lehrerin!’ Ein Räuspern meinerseits und die Freude des Wiedersehens. ‘Wie geht es Dir? Was macht die Schule?’ Alle Antworten mit guten Worten und guten Handlungen gefüllt, um mir eine Illusion aufrecht zu erhalten, so dass meine heile, warme Welt nicht kälter wird, als sie draussen eh schon ist. Auch das ist Empathie.

Ich frage nach, wohin es geht. Und bekomme wörtlichen Einlass in das Leben auf der Straße. Als junger Mensch, schulpflichtig und normalerweise versorgt werden sollend. Der Freund meiner ehemaligen Schülerin erzählt von der Suppenküche, die allabendlich die OFWs mit Essen versorgt. ‘Montags gibt es sogar Nudeln! Und alles kostenlos. Danach bin ich pappsatt.’ Er erzählt von den Kältebussen, ‘die eine Sache für sich sind. Da muss man sich sehr an die Hackordnung halten, sonst biste zwar nicht erfroren in der Nacht, aber erschlagen. Das bringt dann ja auch wenig.’ Er melde sich in Notschlafunterkünften an, berichtet von Regeln und Gesetzen in der Stadt, die man nach 2 Wochen drauf haben muss, weil es sonst knapp wird mit dem Leben. Man schenkt sich nichts und muss gut haushalten mit dem eingenommenen Geldern des Tages. ‘Sieh zu, dass Du morgens ein paar cent hast, damit du dir einen warmen Kaffee kaufen kannst!’ Morgens aufwachen und merken, dass die Suppe noch gar nicht richtig verdaut ist, weil der Körper aufgrund der Kälte in den Standby-Modus geschaltet hat. ‘Da macht der nicht mehr viel, außer, mich am Leben zu halten. ‘ Und wie schwierig es ist, alte Menschen ohne Zuhause in einen Kältebus zu bringen. Sie nähmen nur Decken an und wollten lieber erfrieren als sich im Kältebus mit anderen abzugeben. Das Leben als selbstbestimmtes Ziel. Auch hier.

Die ehemalige Schülerin meiner Klasse nickt und weiß auch viel zu erzählen. Hört aber lieber ihrem Freund zu und zeigt mir mit einem Blick das Glänzen in ihren Augen, wenn er sie für einen Moment anschaut. Ein komisches Gefühl ist das, mithilfe ihrer Offenheit und Transparenz diesen anderen Alltag erzählt zu bekommen. Einen Alltag, der meinem Leben weit entfernt ist, gelebt von Menschen, denen ihr Leben Prüfungen aufgebürdet hat. ‘Prüfungen, die man erleben muss, sonst ist man tot’.

Und ofw merke ich mir jetzt. Und streiche überholte, abwertende und distanzierte Beschreibungen von Menschen, die auf der Straße leben. Übernehme ihn bewusst in meinen Wortschatz und wünsche, dass es viele andere auch tun. Weil wir glücklich sein dürfen, dass wir es nicht sind: ohne festen Wohnsitz.

Und gute Laune gibt Auftrieb. Ist Motor von schönen Gedanken, wertet auf und gibt Hoffnung auf Besseres. Gute Laune verspricht viel und kann doch nicht fest gehalten werden. So fest gehalten, dass sie auch in schwierigen Zeiten ihre Macht zeigt. Und schlechte Gedanken vertreibt, Traurigkeit wegschiebt und das lebenswerte Leben die Oberhand gewinnt.

In meiner Klasse ist die gute Laune sehr oft nicht da. Sie ist vergraben unter Sorgen, Zweifeln, Ängsten und Nöten. Ist stumm und taub und man hört sie nicht. Aber sie ist da. Wie eine kleine Flamme, die nicht den Raum erhellen kann, aber den Weg dahin weist, wo es angenehm und süß scheint, zu leben. Depressionen, Selbstmordgedanken und -versuche, Angst vor der Schule und Entzug sind Eigenschaften, die gute Laune vertreiben können und den Menschen zu einem Fragezeichen verbiegen. Ein Fragezeichen, das oft alleine die Kurve nicht kriegt und kurz vor dem Absturz steht.

So wie bei meinem Schüler heute, der knappe 13 Jahre alt ist und so traurig ist, dass er nicht mehr leben wollte. Sich Gedanken machte, wie es am besten geschehen könne und wann der beste Zeitpunkt dazu gekommen wäre. Er mag nicht mehr Baskteballspielen mit seinen Freunden, das Hockeytraining hat er kürzlich aufgegeben ‘weil ich vor Traurigkeit keine Kraft mehr hatte, zu laufen.’ In meiner Klasse gibt es Lernangebote, die solche Gedanken für einen Moment verdrängen, in Kurzzeitvergessenheit geraten lassen und Lernerfolge ermöglichen. Aber oft eben auch nur über einen kurzen Zeitraum. Dann fehlt die Kraft, zu rechnen, den Aufsatz zu Ende zu schreiben oder Landeshauptstädte zu sortieren. Dann geht gar nichts mehr und der Körper signalisiert in all seiner Schlaffheit, dass auch er nicht mehr lange am Tisch sitzen kann. Gute Laune ist so weit weg, wie die Vorstellung, jemals wieder Freude am Leben zu haben.

In solchen Momenten  möchte ich nicht mit Worten aufheitern, Geschichten erzählen oder lustig sein. In solchen Momenten hilft mir ein kleiner Trick, um den traurigen Schüler wieder in die Realität zurück zu holen, die ihm augenblicklich besser täte. Dazu nutze ich einen Sinn, den er fürs Lernen weniger braucht: das Riechen. In meinem Rollcontainer gibt es für solche Momente zwei Raumsprays. Das eine versprüht ‘Harmonie’, das andere macht ‘Gute Laune’. So steht es auf dem Etikett, so zeige ich es den Schülern, wenn ich kurzzeitig den Unterricht unterbreche und so wie heute verkünde: ‘Hier, aufgepasst! Ich schlage vor, wir machen uns mal eben gute Laune.’ Und zeige die Flasche den Schülern, die das Ritual noch nicht kennen. Diejenigen, die mich schon seit ein paar Tagen in meinem Unterricht, schmunzeln kurz auf, nicken wissend und kommentieren ‘Ey, endlich! Das ist so super, das wirkt echt, pass auf!’ Und dann drücke ich 4 mal auf den Sprühknopf einer der Flaschen, wedele in großen Bewegungen das Klassenbuch durch die Luft und atme hörbar und tief ein. Dabei blicke im Raum umher und erwartungsvoll die Schüler an. Ein bisschen Clownsein ist auch Lehrersein. Es dauert eine Weile, bis der Duft nach Zitrone und Orange bei den Schülern ankommt und dann ist das Erstaunen in der Regel groß: ‘Krass, Alter! Das wirkt! Ich kenne sonst nur Pillen, die so was machen!’, sagt heute der traurige Schüler. Breit grinsend den Stift zur Seite legend und den Geruch in der Nase. Ein Lachen, das Verzückung und Erstaunen mit sich trägt und bis tief in die Seele geht. Er kann in den nächsten 5 Minuten nicht weiter arbeiten, weil er so ‘geflasht ist von dem Wunderspray, dass ich erstmal das Gefühl genießen will. Ich wusste gar nicht mehr, wie sich das anfühlt.’ Und ich lasse ihn. Schmunzle und ergänze nach einer Weile seinen Satz: ‘Alleine für diesen Moment freue ich mich immer, euch diesem Spray bekannt zu machen.’

Und dieser Moment macht auch mir Laune.

Und zwar gute.

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