Vorbemerkungen:
1. Ein zentraler Fehler, der dem idealistischen Strang inhärent ist, ist das teleologische Prinzip. Diesen Fehler findet man auch in materialistischen Konzepten, wie beispielsweise dem Marxismus.
2. Die totalitaristische Komponente ist dem idealistischen Modell nicht inhärent, aber sie bietet sich als Herrschaftsinstrument an. Man beobachtet bei idealistischen Modellen, dass sie in der Realisierung meist totalitaristisch sind.
3. Der Materialismus induziert eine Reflexion über glückgenerierende Strukturen. Und die Demokratie ist eine solche Struktur.
4. Um die Wirksamkeit eines Modells zu beurteilen, ist es unabdingbar zu prüfen, ob es sich in der Praxis bewährt (Empirie).
Wissenschaftlicher Strang/Affinität mit Demokratie:
Fokus: reale Welt und Glück über die Befriedigung der Grundbedürfnisse
– Demokrit (460-370)
Atomist. Materialist (nur die Materie existiert, auch das Bewusstsein wird vom Organismus generiert (Gehirn). Die Gegenstände strahlen winzige Atome aus, die über die Sinne an das Gehirn weitergeleitet werden. Die Gesellschaft soll demokratisch gestaltet werden. Nur das Leben im Diesseits zählt. Ein Jenseits gibt es nicht. Nach dem Tod lösen sich die Körper auf als Atome.
– Aristoteles (384-324)
Empirist, Wissenschaftler, der die Welt auf empirische Weise beschreibt. Die Seele (=eigentlich Nervenzentralsystem) enthält einen vegetativen Teil, einen animalischen Teil (mittlere Cortex) et einen menschlichen Teil (=Frontalcortex). Angestrebt ist eine Gesellschaft der goldenen Mitte.
– Epikur (342-271)
Atomist. Materialist. Ziel ist das Glück auf Erde. Nach dem Tod lösen sich die Körper auf als Atome. Genuss in Maßen.
– Francis Bacon (1561-1626)
Wissenschaftstheorie. Kombination von empirischen Datenerhebungen und kognitive Verarbeitung der Daten (Spinne und Ameisen).
– Stuart Mill (1806-1873)
Utilitarist. Ziel ist die Befriedigung der Bedürfnisse. Das größte Glück für die größte Anzahl von Menschen. Erklärt, wie wir Informationen, die über die Sinne vermittelt werden, verarbeiten. Kämpft für die Emanzipation der Frau und der Arbeiterklasse.
-Bertrand Russell (1872-1970)
Logischer Atomismus – Materialismus
– Neurowissenschaften, Arbeiten über das Gehirn (verstärkt seit 2000).
Spekulativer Strang/Tendenz zum Totalitarismus:
Fokus: Abwertung der realen Welt und Fixierung auf Forderungen einer konstruierten Transzendenz
-Pythagoras (570-500)
Die Mathematik liefert die Weltformel. Sie ist göttlicher Natur. Nur eine Elite kann die Mathematik beherrschen. Pythagoras stellt sich als Guru dar, mit eigenen Riten und Gebräuchen, beispielsweise das Verbot, Bohnen zu essen. Der Zugang zu Gott und zur Wahrheit erfolgt nur über das Denken, nicht über die Sinne (Rationalismus).
– Parmenides (510-?)
Gegner der Empirie: die Sinne täuschen uns. Nur das Denken führt uns zum „Sein“ (Ontologie).
– Platon (428-348)
Die Sinne täuschen uns. Das wahre Leben ist abstrakt und wahr ist nur die Welt der Ideen. Unser Leben auf der Erde ist nur eine unfertige Kopie der Welt der Ideen. Nur die Philosophen haben Zugang zu dieser Welt. Elitistische, hierarchische, totalitäre Welt. Die Seele: Vernunft – Mut – Begierde. Die Gerechtigkeit hält alles im Gleichgewicht.
– Plotin (205-270)
Radikalisierung von Platon. Der Mensch und die Materie sind verachtenswert. Nur das „Eine“ existiert. Die Materie hat keine reale Existenz.
– Augustinus (354-430)
Kirchenvater. Begründet die Fundamente des Christentums zurückgreifend auf Plato und Plotin. Erbsünde. Prädestination. Sexualität ist schlecht, weil sie von Gott ablenkt.
– Christentum (etabliert sich gegen 400)
Totalitarismus und Hierarchie. Gott ist allmächtig und allgegenwärtig.
– Islam
600 Jahre nach Christus. Ähnlichkeiten mit dem Christentum in den Grundzügen. Leicht zu gebrauchen als totalitäres System.
-Sekulare Ideologien
Faschismus – Kommunismus
Welches Modell sagt Ihnen zu? 1 oder 2?
Texte (under construction):
Demokrit vs Pythagoras
Demokrit (460-370)
Keine Teleologie
Im Gegensatz zu Sokrates, Plato und Aristoteles suchten die Atomisten die Welt ohne den Begriff des Zweckes oder der Zweckursache zu erklären. (…) Fragen wir nach dem Warum eines Vorganges, dann können wir zweierlei meinen. Wir meinen wohl „Welchem Zweck hat dieser Vorgang gedient?“ Oder „Worauf ist dieser Vorgang zurückzuführen?“ Die Antwort auf die erste Frage ist eine teleologische Erklärung oder eine Erklärung durch die Zweckursache; die Antwort auf die zweite Frage ist eine mechanistische Erklärung. (…) Die Erfahrung hat bewiesen, dass die mechanistische Frage zu wissenschaftlicher Erkenntnis führt, nicht aber die teleologische. Die Atomisten stellten die mechanistische Frage und gaben eine mechanistische Antwort. Ihre Nachfolger waren bis zur Renaissance stärker an der teleologischen Frage interessiert und führten dadurch die Wissenschaft in eine Sackgasse hinein. (…) Keine der beiden Fragen lässt sich klar verständlich auf die gesamte Wirklichkeit (einschließlich Gott) beziehen, sondern nur auf ihre einzelnen Teile. Die teleologische Erklärung ist gewöhnlich sehr bald bei einem Schöpfer oder zumindest bei einem Urheber angelangt, dessen Absichten in der Weltentwicklung verwirklich werden. (…) Der Zweckbegriff lässt sich also nur innerhalb der Wirklichkeit, nicht auf die Wirklichkeit als Ganzes anwenden. (…) Deshalb ist es kein Fehler der atomistischen Theorie, dass sie die Frage nach dem Ursprung der Atombewegungen offen gelassen hat. (…)
Konsequente Materialisten
Durch einen Zufall kamen die Atomisten zu einer Hypothese, die sich mehr als zweitausend Jahre später als annährend richtig erwies; zu ihrer Zeit jedoch entbehrte ihre Ansicht jeder festen Grundlage. (…) Demokrit war konsequenter Materialist; für ihn setzte sich, wie wir gesehen haben, die Seele aus Atomen zusammen, und das Denken hielt er für einen physikalischen Vorgang. Im Universum gab es nach seiner Ansicht keinen Zweck, nur Atome, die mechanischen Gesetzen gehorchten.
Ethik
Er war nicht religiös im üblichen Sinne und erhob Einwände gegen den NOUS des Anaxagoras. In der Ethik hielt er Heiterkeit für das vornehmste Lebensziel und glaubte, durch Mäßigkeit und Kultiviertheit könne man am besten dazu gelangen. (…) In alledem ähnelte er stark Jeremy Bentham, ebenso in seiner Vorliebe für das, was die Griechen unter Demokratie verstanden. Demokrit ist der letzte griechische Philosoph, der von einem bestimmten Fehler frei ist, an dem das ganze spätere antike und mittelalterliche Denken krankte. Alle bisher von uns betrachteten Philosophen waren uneigennützig darum bemüht, die Welt zu verstehen. Sie hielten das für leichter als es ist, doch hätten sie ohne diesen Optimismus nicht den Mut aufgebraucht, überhaupt damit anzufangen. Ihre Arbeitsweise war im Großen und Ganzen wissenschaftlich, sofern darin nicht nur die Vorurteile ihrer Zeit zum Ausdruck kamen. Doch war sie nicht ausschließlich wissenschaftlich; sie zeichneten sich durch schöpferische Phantasie, Kraft und Freude am Abenteuer aus. Diese Philosophen interessierten sich für alles – für Meteore und Finsternisse, für Fische und Wirbelwinde, Religion und Moral; scharfer Verstand paarte sich mit kindlichem Eifer. (…)
Pythagoras (570-480)
Koppelung Wissenschaft mit Religion und Mystik
Die Zahl und Zahlenproportion wurde als höchstens Prinzip des Kosmos, als Ausdrucksweise des Göttlichen aufgefasst, denn Zahlenharmonien äußerten sich in Geometrie, Musik und Astronomie (Planeten). (…) So koppelten die Pythagoreer Wissenschaft mit Religion und Mystik. Pythagoras hatte in Kroton einen mathematisch-religiösen Bund gegründet; ihre Mystik war die orphischen (besonders auch in Indien einflussreichen) Seelenwanderungsleere [Orpheus, Gott der Musik] und ihren Riten. So war Logos und Mythos verbunden; das Schöne war selbstverständliches Element der Erklärung des Wahren; etwas das sich noch bei Platon findet. (…) Die ersten notwendigen Ideen und Prinzipien waren die der (anschaulich-geometrischen) Mathematik – sie sind jeder menschlichen und von Gott abstammenden Seele eingeboren und werden nicht durch die Sinne aufgenommen. Diese Philosophie wurde später von Platon weiterentwickelt.
(…) Die Mathematik hat seither auf die Philosophie stets einen starken und verhängnisvollen Einfluss ausgeübt, was teilweise auf ihn zurückzuführen ist.
Pythagoras als Halbgott
„Er hielt sich selbst für so etwas wie einen Halbgott und soll gesagt haben: „Es gibt Menschen und Götter und Wesen wie Pythagoras.“ Alle von ihm inspirierten Systeme haben „eine Neigung zum Überirdischen, wobei der größte Wert auf den unsichtbaren einigen Gott gelegt wird; sie verwerfen die sichtbare Welt als falsch und trügerisch, da sie ein unruhiges Medium ist, in dem die Strahlen des Himmelslichts sich brechen und durch Nebel und Dunkelheit an Leuchtkraft einbüßen.“
Die Seele – Wiedergeburt
Nach Dikaiarch lehrte Pythagoras erstens, „dass die Seele etwas Unsterbliches ist und in andere lebende Wesen verwandelt wird; ferner dass alles, was zum Leben kommt, in einem gewissen Kreislauf wieder geboren wird, wobei nichts absolut neu ist; und dass alles, war geboren wird und Leben in sich trägt, als verwandt zu behandeln ist.“
Gemeinschaftsleben
In die von ihm gegründete Gemeinschaft wurden Männer und Frauen zu gleichen Bedingungen aufgenommen; Eigentum war Gemeinschaftsbesitz, wie man auch ein Gemeinschaftsleben führte. Selbst wissenschaftliche und mathematische Entdeckungen galten als Kollektivleistungen, die man auf mystische Weise Pythagoras selbst noch nach seinem Tode zu verdanken hatte. (…) Was aber hat das mit Mathematik zu tun? Die Verbindung wird durch eine Ethik hergestellt, die das kontemplative Leben verherrlicht. (…) Wir sind Fremdlinge auf dieser Welt und der Körper ist das Grab der Seele, und dennoch dürfen wir nicht trachten, uns durch Selbstmord zu befreien; denn wir sind die Herde Gottes, der unser Hirte ist, und ohne seinen Befehl haben wir kein Recht zu entfliehen.
Drei Arten von Menschen
In diesem Leben gibt es drei Arten von Menschen, genauso wie es drei Arten von Menschen gibt, die zu den olympischen Spielen kommen. Die niederste Klasse besteht aus jenen, welche kommen, um zu kaufen und zu verkaufen, und die nächsthöhere Klasse sind jene, die kommen, um an den Wettkämpfen teilzunehmen. Die besten von allen aber sind jene, die nur einfach kommen, um zuzusehen. Die größte von allen Reinigungen ist deshalb uneigennützige Wissenschaft, und der Mensch, welcher sich dieser hingibt, der wahre Philosoph, ist es, der sich am gründlichsten vom „Rade der Geburt“ gelöst hat. (…) In diesem Zustand, sagt er, „ist der Schauende identisch mit dem leidenden Gott, stirbt seinen Tod und entsteht wieder in seiner Neugeburt“. Für Pythagoras war die „leidenschaftliche, einfühlende Kontemplation“ intellektuell und mündete in mathematischer Erkenntnis. Auf diese Weise kam das Wort „Theorie“ über den Pythagoreismus allmählich zu seiner modernen Bedeutung; für alle jedoch, die von Pythagoras inspiriert waren, behielt es ein Element ekstatischer Offenbarung.
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