Adam, Edward und das Schöne im Schrecklichen.

„Adams Erbe“ ist so vielseitig, dass ich gar nicht weiß, wie ich beginnen soll. Das Buch enthält zwei Geschichten, die wie Zahnräder eng miteinander verbunden sind und in zwei verschiedenen Zeitepochen spielen. Da ist der aufgeweckte Edward. Auf eine sehr witzige und warmherzige Weise entführt er mich nach Berlin mitten hinein in seine jüdische Familie. Er lebt zusammen mit seiner Mutter, Magda, und seinen Großeltern unter einem Dach. Während Magda auf der Suche nach der großen Liebe ist, verliert sich sein Großvater Moses immer wieder in der Vergangenheit, erinnert sich an Adam, seinen jüngeren Bruder, der im Krieg verschwand und nicht mehr nach Berlin zurückkehrte. Ein Vergessen scheint auch deshalb unmöglich, weil Edward Adam wie aus dem Gesicht geschnitten ist. Edward hat seine Augen, seine Nase und seinen Mund. Das macht den Jungen sehr neugierig auf den unbekannten Mann, doch wirklich viel kann er aus Moses und dem Rest der Familie nicht herausbekommen.

Also verschwindet Adam erst einmal und macht die Bühne frei für Edwards Leben, das mich irgendwie an einen Zoo erinnert. Den besucht Edward übrigens sehr gern, dort trifft er an einem Sonntag vor dem Elefantenhaus Jack Cohen, der nicht nur den Jungen, sondern später auch seine Mutter verzaubert. Kein Wunder, denn Jack sieht aus wie Magdas Jugendheld Elvis Presley. Von ihm geht etwas Lässiges aus, das auch was von einem Raubtier hat. So funkt es zwischen allen und bald schon sitzen die drei in Jacks Wagen und verlassen Berlin. Edward verschwindet damit nicht aus meinem Blickfeld, er bleibt bei mir und erzählt von seiner neuen Familie, die ein Leben jenseits der Norm führt.
Einige Jahre später, am 30.12.1999, kehrt Edward zurück nach Berlin, lebt in einer bunt gemischten WG und besucht auch seine Großmutter. Auf deren Dachboden stößt er auf ein ungeöffnetes Paket dessen Absender A. Cohen ist. Schon nach den ersten Seiten weiß Edward:

„Es war, als hörte ich meine eigene Stimme, als ob meine Stimme seine Geschichte erzählen würde. Das hier ist meine Geschichte und Adams Geschichte.“

Mit diesen Worten hört Edwards Geschichte auf und geht fließend in Adams über. Plötzlich befinde ich mich in einer anderen Zeit, die mir kälter erscheint, doch sein Erzähler kommt meinem Herzen genauso nah wie Edward. Sicherlich ist dies hier ein anderes Leben, aber Adam ist wie Edward ein aufgeweckter Kerl, der mich mit seinen Erzählungen zum Schmunzeln bringt. Je weiter ich in Adams Geschichte hineinlese, bleibt es im Herzen warm, doch die Temperatur sinkt dafür im Kopf kontinuierlich. Hautnah erlebe ich, wie sich das Leben der Juden im Nazideutschland schleichend ändert. Ich gehe hier nicht auf Details ein, weil ich euch das selbst überlassen möchte.

Astrid Rosenfeld ist ein beachtliches Debüt gelungen, das zu Recht von vielen anderen Lesern begeistert gefeiert wurde. Das Buch stellt allerhand an: Einerseits entlockt es an vielen Stellen ein Lächeln, anderseits bewegt es tief durch bewegende Momente. Und es passiert noch viel mehr: Manchmal prallen der Humor und das Grauen zusammen, dass ich mich kurz frage: Darf ich jetzt überhaupt lachen? Das Lächeln schleicht sich trotz meiner Zweifel auf leisen Sohlen zu mir an und legt sich etwas schüchtern aufs Gesicht. Wie von selbst verschwindet da die Frage, weil sich in dem Augenblick alles richtig anfühlt, ein bisschen schräg vielleicht und unerschrocken, aber verdammt gut.

Astrid Rosenfeld ist eine leidenschaftliche Erzählerin, die ihre Leser an die Hand nimmt und mit einer schönen, schnörkellosen Sprache ihre Geschichte erzählt. Der Roman trägt auf den Seiten eine erfrischende Leichtigkeit, die sich in einem rasanten Tempo bewegt, doch an einigen Stellen stoppe ich, weil mich die Wucht eines Satzes aus dem Gleichgewicht bringt:

„Wir suchen nach den Menschen, die uns begegnen, nicht wahr?“

Ich bleibe stehen, ein Innehalten besonderer Art breitet sich aus und versteckt selbst das schnelle Ticken der Uhr. In anderen Passagen kann ich wiederum nur lachen, dann tauchen Situationen auf, die mich schockieren und bis ins Innerste erschüttern. Vor allem, wenn ich zur stillen Beobachterin des Krieges werde und Adams Worten folge:

„Ich wollte weinen um den Menschenhaufen, der da unten lag, aber es kamen keine Tränen. Der Mann mit der Sense saß in einem verlumpten Umhang auf unserem Fensterbrett und roch nach billigem Schnaps.“

Es ist diese ungewöhnliche Mischung, die dem Werk eine Krone aufsetzt und beeindruckt wie die zahlreichen Charaktere, die Astrid Rosenfeld geschaffen und mit viel Leben versehen hat. Das Buch ist gefüllt mit Menschen, die mir sofort vertraut sind. Lächelnd denke ich da an die forschen Großmütter Lara Cohen oder Edda Klingmann. Beide sind mitreißende Gestalten, die immer eine ordentliche Portion Salz in die Suppen streuen. Besonders ans Herz gewachsen sind aber mir die beiden Erzähler Edward und Adam. Wunderbare herzliche Jungs, die mich charmant um den Finger gewickelt haben. Ich konnte nicht anders, als sie zu lieben. Wie das ganze Buch. Und so möchte ich am Ende nur eins rufen: Chapeau, Chapeau, liebe Astrid Rosenfeld, schreiben Sie bitte weiter!

Astrid Rosenfeld.
Adams Erbe.
Februar 2011, 400 Seiten, 21,90 €.
Diogenes Verlag.

Über die Autorin:

Astrid Rosenfeld wurde 1977 in Köln geboren. Nach dem Abitur sammelte sie in Kalifornien zwei Jahre Erfahrungen am Theater. Im Anschluss daran nahm sie eine Schauspielausbildung in Berlin auf, die sie jedoch nicht abgeschlossen hat. Seitdem ist sie in der Filmbranche u.a. als Casterin tätig. Astrid Rosenfeld lebt in Berlin. „Adams Erbe“ ist ihr erster Roman.

15 Gedanken zu „Adam, Edward und das Schöne im Schrecklichen.

  1. haushundhirschblog

    Ein wunderbarer Blog, dem man die Leidenschaft für Texte, Bücher und das Darübersprechen, abspürt!
    Auch wir haben auf unserem Blog eine kleine, sehr persönliche Versammlung lesenswerter Bücher für (diesen) Sommer eingestellt. Findet man unter „Alltägliches“. Der Artikel heisst „books“.

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  2. Pingback: Literaturherbst « Literaturgefluester

  3. Philipp

    Das Buch steht jetzt auch auf meiner Wunschliste, aber nicht, weil die Jury des Deutschen Buchpreises das Buch auf die diesjährige Longlist gestellt hat, sondern weil du es so positiv besprichst. Danke für diese Rezension!

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  4. Pingback: Ein Edelstein von Buch. | Klappentexterin

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