An einem seidenen Faden
29. August 2010 | Von Gast-Beitrag | Kategorie: Buchmarkt regionalEin Gastbeitrag von Jaques Outin zu Ronja Katharina Kohms Gedichtzyklus »Schuppenflügel«
Der Mensch, vor allem jüngeren Alters, klammert sich an eine Mär, die Ronja Katharina Kohm mit ihren entschiedenen, äußerst feinfühligen Gedichten gezielt wie eine Amazone erlegt.
Denn wir Menschen möchten immer darin Hoffnung schöpfen, dass unser Dasein linear verläuft. Wir werden dazu erzogen, nicht nach Hinten, sondern nach Vorne zu schauen. Immer geradeaus.
Daher auch unsere zumeist optimistische, gar naive Vorstellung von Liebe, Leidenschaft, Trennung und dem Absterben der Gefühle. Geometrisch gezogene Linien von A bis Z, von Anfang bis Ende. Die Heidelberger Lyrikerin hebt diese Vorstellung schon mit dem Untertitel auf, mit dem sie Ihren Zyklus versieht. Ein Zyklus in Kehrtwendungen, ein Spiegel der Irrungen und Wirrungen, in denen wir unseren Gefühlen ungewollt und scheinbar machtlos folgen.
“Mohn und Fäden
von glitzerlosen Netzen
spannt die Welt in ein Theater
ruheloser Szenen”
Gerade im “Hadern in einer Art Zwischenstufe“, einem Purgatorium, dem Fegefeuer der Liebe führt uns Ronja K. Kohm mit ihren fragmentarisch-emotionalen Ausbrüchen dorthin, wo alles zu spät zu sein scheint und jedoch nie sein kann. Sie pendelt nuanciert zwischen der tiefen Verzweiflung nach einer unausweichlicher Trennung, und der leisen Hoffnung in eine scheinbar immer wiederkehrende, alle Pein und Wunden überspülende Liebe.
Wenn “die Katastrophe Welt ungeplant einbricht durch einen Spalt hindurch, (…) wird die Wirklichkeit erstmals wirklich wahrgenommen in der Ohnmacht über den Verlust der Liebe”, so die Autorin. Neues entsteht, befreit Energien, “eine Geburt, die das Kostbarste zu verlieren scheint“. Mit extremer Tiefe und Reife bringt uns die Poetin zur Kernfrage des Lebens hin, dem Punkt zwischen einer nie gänzlichen Zerstörung und einem immer wieder neu gesponnenen seidenen Faden, der als solcher reißen muss, um wieder aufs Neue zu entstehen.
Mit der präzisen Genauigkeit eines Seismografen, der exakten Ungenauigkeit eines Aquarellpinsels, setzt Ronja K. Kohm ihre Gedichte und Prosatexte wie Farbtupfer auf Rinnendes , wartet geduldig auf den Rückzug des Flüssigen, bis sich Konturen bilden, undeutlich, endgültig, zufällig, wie auf Bütten gemeißeltes Wasser
Théodore Monod, Urgestein der französischen Anthropologie, entdeckte während seiner zahlreichen Durchquerungen der Sahara in entfernten Oasen, inmitten von Sand und Glut, verschwindend kleine Pfützen von rettendem Nass, in denen Fische nach Leben klatschten, bevor die Sonne vorläufig siegte und, Hunderte Kilometer davon entfernt, neue Oasen entstanden. Der Wissenschaftler zog stets den Bogen zwischen Wüste und Meer, Düne und Woge, unaufhörlich auf der Suche nach einem nur scheinbar verschollenen Meteoriten.
“Die immer fruchtbare Erde ankert
die Wurzeln, doch steinerne Flügel
in ihrem Sterben
sind Sandrosen gleich”
In diesem Buch, das keinen Leser gleichgültig lassen kann, verfolgt Ronja K. Kohm eine ähnliche Spur.
Am 5. August d.J., am Ende einer Präsentation ihres Gedichtbandes, in der Apothekergasse in Heidelberg, konnte sie kein Schlusswort finden, so hatten sie ihre Gefühle überwältigt. Auch mancher Zuhörer verließ, nach dem letzten Applaus, gerührt, sogar weinend den Saal.
“Der Himmel blaut
zu alter Gräue rückwärts hin
nach.nach.
fliegt die alte Kugel auf die Bäume.”
© Jacques Outin (2010)
Kohm, Ronja Katharina: Schuppenflügel, Ein Zyklus in Kehrtwenden; Llux, Ludwigshafen am Rhein 2010. 72 S., 15 Illustrationen, Hardcover. Fotografien: Philipp Bohrmann, Tuschezeichnungen: Ludwig Schmeisser;Einbandgestaltung, Typographie & Bildeffekte: Hans-Joachim Kotarski ISBN 978-3-938031-35-3 (das Buch bestellen)
offizielle Buchvorstellung: Ronja Katharina Kohm: Schuppenflügel, Dienstag, 19. Oktober 2010, 19.00 Uhr Museum Schillerhaus, Mannheim
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