Claus Probst: Vermint

25. August 2010 | Von | Kategorie: Buchmarkt regional

Kosovo im Sommer 2000. »An der Stelle, an der sie in den Feldweg eingebogen waren, lag das Wrack eines alten Linienbusses, gelb mit blauen Streifen, die meisten der Reifen abmontiert, die Scheiben waren eingeschlagen, mit Ausnahme der Frontscheibe, sogar der Scheibenwischer schien noch intakt zu sein. Der Bus sah irgendwie ratlos aus.« – Ratlos steht man als Leser zunächst auch vor dem Buch, das Titelbild eher gefährlich und drohend als einladend.

Claus Probst, als Arzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapeut in Mannheim tätig, ist bisher mit beachtenswerten Kurzgeschichten in Erscheinung getreten. Mit seinem ersten Roman betritt er vermintes Gelände im wörtlichen Sinne.

Thomas Blohm, einst Verkäufer in Sachen Baby-Windeln und treusorgender Familienvater, schmiss vor Jahren sein bisheriges Leben und heuerte bei einer Spezialfirma zum Minen räumen an. Nach Einsätzen in Afrika und Lateinamerika robbt er, inzwischen zum Typ »einsamer Wolf« geworden, über die Felder im Kosovo auf der Suche nach den hochexplosiven Hinterlassenschaften des Krieges.

Eines Tages, hier setzt der Roman ein, tauchen Blohms Tochter und ein Journalist auf; die beiden bringen Blohms gewohnten Denkrhythmus durcheinander. In einem Minenfeld ist die Vergangenheit ohne jede Bedeutung. Genau wie die Gegenwart. Alles, was zählt, sind die nächsten Minuten Zukunft. In einem Minenfeld existiert nur eine einzige Richtung, eine einzige Perspektive: Alles wird auf einen einzelnen Punkt gebündelt, auf eine Fläche von zehn mal dreißig Zentimetern – den nächsten Schritt. Tochter Clara und der Journalist Schöffler eröffnen einen weiteren Kriegsschauplatz, ein Minenfeld mit Familien- und Generationenkonflikten; sie zwingen Blohm, sich Fragen zu seiner eigenen Biographie zu stellen und nach Antworten zu suchen.

Probsts Roman ist eine Familiengeschichte mit harten Konflikten zwischen Blohm, seinem Vater und seiner Tochter; vorallem aber ist er ein leidenschaftliches Plädoyer zur Ächtung von Landminen. »Die Minen tun einfach nur ihre Pflicht. Sie können nicht wissen, dass der Krieg schon längst vorüber ist. Das ist das eigentlich Tragische daran.« – »Minen sind etwas ganz Besonderes«, sagte Blohm. »Eine Kugel, eine Granate, eine Bombe, das alles sind Waffen, die allein nichts vermögen, und die somit völlig abhängig sind vom Willen eines Menschen, irgendeines Benutzers, der schießt, zusticht oder vielleicht auch nur einen winzigen Knopf betätigt. Eine Mine dagegen ist etwas ganz und gar anderes. Erst einmal im Gelände ausgebracht, verliert sie gänzlich ihre Abhängigkeit und reagiert völlig autonom. Wenn nötig wartet sie jahrzehntelang auf Beute, bewegungslos, aber immer aufmerksam.«

Probsts Roman besticht durch authentische Atmosphäre und technische Details, die er von einem der führenden deutschen Minenexperten hat überprüfen lassen. Er schickte ihm das Manuskript per E-Mail an seinen Einsatzort im Irak, wo er es in eisiger Kälte lektorierte. Fast schon eine eigene Geschichte sei das, schreibt Probst in seinem Nachwort.

Sprachlich hält der Autor seine Figuren ständig dicht am Leser, der das Gefühl hat, direkt am Schauplatz dabei zu sein. Probst schafft es, die Technik des Erzählens von Short-Stories temporeich einen ganzen Roman lang durchzuhalten.

Claus Probst: Vermint; Mannheim, Wellhöfer, 2010 191 S., ISBN 978-3-939540-50-2 bestellen bei Libri

Artikel weiter empfehlen

Um Artikel über soziale Netzwerke weiterzuverbreiten, müssen Sie diese aktivieren - für mehr Datenschutz.

Tags:

Keine Kommentare möglich.