Handschriften der BLB: Gönnerhafte Grafen und ahnungslose Trittbrettfahrer

27. September 2006 | Von | Kategorie: Bibliotheken regional

Die Mannheimer Landtagsabgeordnete und SPD-Kreisvorsitzende Helen Heberer besuchte gestern mit zwei Kollegen den Leiter der Badischen Landesbibliothek in Karlsruhe, um vor Ort detaillierte Auskünfte über die geplante Verscherbelung historischer Buch- und Handschriftenbestände zu erhalten. Frau Heberer gehört zu den Abgeordneten, die bereits am 21. September mit einer Anfrage an die Landesregierung reagiert hatten. Die Anfrage ist hier im Originaltext dokumentiert (pdf).

Sie bewertet den Vorgang – ebenso wie ehemalige Karlsruher Regierungspräsidentin Hämmerle- fast als Veruntreuung. In einem Interview, das wir per Email mit ihr geführt haben, schreibt sie heute morgen: “Hier hat die Familie von Baden, für 30 Mio Euro ihr Schloss Salem saniert und soll aus dem Verkaufserlös der bedeutendsten europäischen Schriften, entschädigt werden. Das ist eine kulturpolitische Schande. Ich werde keinesfalls zustimmen. Zuerst muss die Rechtslage einwandfrei geklärt werden. Auch für mich ist das Vermeiden dieser Klärung von Seiten der Landesregierung nicht nachvollziehbar. Es gibt Testamente, Rechtsgutachten und schließlich die Zähringer Stiftung in der bereits seit den 50er Jahren festgelegt sein soll, dass die Schriften nicht veräußert werden können.

Wir wollen die unklaren Besitzverhältnisse der Handschriftensammlung rechtlich prüfen lassen. Dazu haben wir einen Antrag in den Landtag eingebracht. Mir stellt sich die Frage: Aus welchen Gründen bietet das Haus Baden dem Land Kunstschätze im Wert von 300 Mio Euro an (von welchen auszugehen ist, dass sie längst dem Land gehören), um dafür die Hand-Schriften verkaufen zu können? Und aus welchem Grund geht die Landesregierung so ohne weiteres auf ein solches – auf unsicherem rechtlichen Boden befindliches – Geschäft ein? Das Land konserviert, restauriert katalogisiert lagert und präsentiert mit enormem finanziellem Aufwand seit 1918 die wertvollen Schriften, die dadurch eine hervorragende Grundlage für die Wissenschaft sind. Würden die wertvollsten “Filetstücke” der Sammlung verkauft, verlöre der verbleibende Rest völlig seinen Wert. Neben dem Verlust der Spitzenblätter würde der dem Land verbleibende Rest weiter an Wert verlieren.”

Der geplante Deal um die Buch- und Handschriftenbestände der Badischen Landesbibliothek ruft inzwischen auch völlig ahnungslose Trittbrettfahrer auf den Plan: “Wenn Kulturgüter verhökert werden, um öffentliche Haushalte zu sanieren, ist das der Kulturnation Deutschland nicht würdig”, sagte der Kulturexperte der FDP-Bundestagsfraktion, Hans-Joachim Otto, gestern in Berlin. Peinlich, peinlich, seine Partei sitzt mit in der Regierung, die eben diesen Ausverkauf beschlossen hat – nicht zur Sanierung öffentlicher Haushalte, sondern damit die Landwirtsfamilie von Baden ihre private Schulden bezahlen kann.

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4 Kommentare
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  1. Interview …

    Werner Traschuetz hat in Szyllas Lesezeichen ein Interview mit der Mannheimer Landtagsabgeordnete und SPD-Kreisvorsitzende Helen Heberer veröffentlicht:Aus welchen Gründen bietet das Haus Baden dem Land Kunstschätze im Wert von 300 Mio Euro an (von wel…

  2. Mit Verlaub, Hans-Joachim Otto ist kein ahnungsloser Trittbrettfahrer, sondern ein kenntnisreicher Kulturpolitiker, der sich nicht scheut, eine Maßnahme scharf zu kritisieren, auch wenn sie möglicherweise von Parteikollegen andernorts mitgetragen wird. Was soll mit einem solchen Angriff bezweckt werden? Daß Otto an die Parteidisziplin erinnert wird?

  3. Von einem kenntnisreichen Kulturpolitiker hätte ich im konkreten Fall erwartet, dass er:
    a.) Seine Parteifreunde auffordert, dem Deal nicht zuzustimmen.
    b.) weiss, dass nicht öffentliche Haushalte sondern die Familie der Nachkommen des Markgrafen saniert werden sollen.

  4. Ottos Erklärung wird seinen Parteifreunden in Stuttgart schon nicht entgangen sein. Sie hebt auf die Sanierung öffentlicher Haushalte ab, weil es um den Präzedenzfall geht. Stichwort Deakzession.