Versponnene Göttin

admin | Posted 24/03/2007 | Krimis | Keine Kommentare »

Fred Vargas: Unwiderstehlich schräg

Ihr Pseudonym stammt aus einem Bogart-Film, sie schreibt nur in den Ferien – aber dann Frankreichs beste Krimis. In “Die dritte Jungfrau” erzählt Fred Vargas wieder unwiderstehlich schräg.

In seinem Haus wohnt ein Geist, im Urlaub klaubt er feingeschliffene Kiesel aus Flussbetten, seine Fälle löst er ausschliesslich durch Nachdenken an der Grenze zur Absurdität: Der melancholische Monsieur Adamsberg, Chef der Pariser Mordkommission, ist ohne jeden Zweifel der abgefahrenste Polizist der gegenwärtigen Kriminalliteratur.

Und “Die dritte Jungfrau” von Fred Vargas, der scheuen Anthropologin, wird erneut von einem Personal bevölkert, das dem Polizisten an Eigenwilligkeit in nichts nachsteht.

Der Fall: mysteriös wie immer bei Vargas. Zwei tote Kleinkriminelle liegen an einer Strassenecke – mit chirurgischer Präzision ermordet. Sie haben Dreck an den Schuhen. Und der stammt von einem Friedhof. Dort findet Adamsberg heraus, dass sie ein Grab geöffnet haben. Die halbverweste Leiche jedoch scheint unversehrt. “Fall abgeschlossen”, findet Adamsbergs Chef. Doch der ermittelt weiter – indem er sich in der Normandie um einen toten Hirsch kümmert, alsbald mit dem abgesägten Geweih zurückkehrt und dort oben weitere Gräber öffnen lässt. Dann wird eine seiner Mitarbeiterinnen entführt.

Adamsberg rettet sie in letzter Sekunde – mithilfe der Revierkatze, die er von einem Hubschrauber verfolgen lässt. Und dann ist da noch der neue Kollege, der nur in Reimen spricht, Adamsbergs Freundin bewachen soll und mit ihr ins Bett geht, um eine alte Rechnung mit dem Chef zu begleichen. Wie alle Helden Vargas’ lebt Monsieur Adamsberg in einem eigenen Kontinuum, in dem Spuren nie nur aus handfesten Indizien bestehen.

Ebenso wichtig sind Gefühle, Eingebungen, Träume. “Der Kriminalroman”, hat Vargas einmal gesagt, “war das erste Antidepressivum der Menschheit: Er nimmt die grossen Ängste auf: die kollektiven und die, die man schon als Kind hatte. Im Zentrum des Kriminalromans steht der Mörder – Symbol für das Böse und Dunkle, das wir in uns tragen. Und es gibt viele falsche Spuren.”

Sie zu enttarnen, die richtigen Spuren zu entdecken und von den anderen zu unterscheiden, dürfe dem Leser nicht leichtfallen. “Die Lösung muss schwierig sein, sonst gibt es keine Katharsis, keine Befreiung.” Der Krimi als Therapie.


Vargas selbst bleibt im Dunkeln

Ihre eigenen Spuren verwischt Fred Vargas. Der Name ist ein Pseudonym: Fred ist der Diminutiv von “Frédérique”, Vargas hiess Ava Gardner als spanische Tänzerin, ihr Partner im Filmklassiker “Die barfüssige Gräfin” war Humphrey Bogart. 1957 ist die Autorin geboren, sie hat einen Sohn, mit dem sie in Paris lebt.

Muss man mehr wissen? Muss man nicht. Es genügt völlig, Fred Vargas zu lesen und ihre grandiose Leistung zu bewundern: den ruhigen, aber unwiderstehlichen Erzählfluss, wie sie ihren Charakteren Glaubwürdigkeit verleiht und wie sie Adamsbergs aberwitzige Ermittlungen zu einem fulminanten Schluss führt. Vargas ist die versponnene Göttin des Krimis.


Fred Vargas: Die dritte Jungfrau

Aufbau Verlag, 480 Seiten




Rezension der NZZ vom 14. März 2007

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