Der Professor des Verbrechens

admin | Posted 05/04/2007 | Krimis | Keine Kommentare »

Immer auf der Suche nach Verbrechern: Kriminologe Persson in der Fernsehsendung "Efterlyst"

Er liebt Fleisch und harte Getränke. Er ist Schwedens bekanntester Profiler. Und einer der besten Krimiautoren. Seite 4 traf Leif GW Persson in Stockholm.

Es ist ein Krimi aus Schweden, aber nicht unbedingt die Art Schwedenkrimi, wie man sie von einem Autor aus dem Norden erwartet. Nicht eines der Bücher mit der typisch nordischen Melancholie, die sich den
dunklen Seiten des schwedischen Alltags widmen und auch denen der schwedischen Polizei, in denen die Ermittler leicht angeschlagen sind, aber doch Sympathieträger, integer und am Ende erfolgreich.

Krimis von Henning Mankell, Arne Dahl, Liza Marklund oder Ake Edwardson. Perssons Krimis waren immer schon anders als die seiner schwedischen Kollegen, aber der jüngste – “Mörderische Idylle” -, der sich um die Aufklärung eines brutalen Sexualmordes an einer Polizeischülerin dreht, ist es ganz besonders. Realistisch, was die Ermittlungsarbeit angeht, meint Persson selbst im “Seite 4″-Gespräch in
Stockholm. Das ist es auch.

Vor allem aber ist es eine ätzende, witzige Satire auf den (schwedischen) Polizeibetrieb. “Bäckström war klein, fett und primitiv”, so wird eine der Hauptfiguren eingeführt, “aber bei Bedarf konnte er listig und nachtragend sein. Ähnlich wurde Bäckström auch schon in anderen Krimis Perssons vorgestellt. Dieser sexistische, rassistische, von sich selbst enorm beeindruckte Antiheld,
der liebend gern Bier in sich hineinschüttet und Pornos anschaut, ist als Widerling so eingeführt, dass Perssons Frau ihn selbst auch schon mal als “Bäckström” beschimpft, wenn zuhause die Fetzen fliegen.

Neu ist aber, dass er jetzt keine Nebenrolle spielt, sondern im Mittelpunkt steht, und es mehr als dreihundert Seiten dauert, bis Perssons Lichtgestalt Lars M. Johansson, sein Alter Ego, auftaucht – und dann nicht einmal viel zur Klärung des Falles beiträgt. Gelöst wird er vielmehr dank der geduldigen Arbeit anderer Kollegen. Das aber rehabilitiert die schwedische Polizei nicht wirklich. Persson reagiert seinen
Unmut ihr gegenüber in seinem neuen Buch besonders intensiv ab und lässt kaum ein gutes Haar an ihr.

Ganz aus der Luft gegriffen ist das alles sicherlich nicht: Perssons Granteln beruht auf eigenen Erfahrungen – der 62-Jährige kennt sich bestens bei der schwedischen Polizei aus. Ende der sechziger und in den siebziger Jahren war Persson zwar noch sehr jung, als kriminologischer Berater des Landespolizeichefs jedoch schon eine Art “graue Eminenz”. Aber schon damals gefiel ihm nicht, was er im Beamtenapparat mitbekam.

Etwa die Affäre um den Justizminister Lennart Geijer, von dem es hieß, er stehe in enger Verbindung zu Prostituierten. Eine von ihnen sollte gute Kontakte zu Angehörigen der Botschaft eines Ostblockstaats haben, was die Sache besonders brisant machte. Die Geschichte wurde unter Verschluss gehalten, und mehrere polizeiliche Ermittlungen wurden auf Eis gelegt. Schließlich aber veröffentlichte die Zeitung “Dagens Nyheter” einen Artikel über sie, und damit war die “Geijer-Affäre” in der Welt.

Trotzdem wurde versucht, das Ganze unter den Teppich zu kehren – und es wurde zur Jagd auf die Quelle der Zeitung geblasen. Die Quelle war Persson, und der wurde aus der Landespolizeileitung gefeuert. Weil er seine Familie versorgen musste und sich die Geschichte auch nicht gefallen lassen wollte, schrieb er einen Krimi darüber: “Das Schweinefest”, sein erster Bestseller.

Es folgten “Die Profiteure” und “In guter Gesellschaft”, die ebenfalls in sehr hohen Auflagen verkauft wurden. Persson hatte seine Revanche, war ein gefeierter Autor und wurde vom politischen Apparat in Gnaden wieder aufgenommen: Er wurde im Justizministerium und im Staatsschutz als politischer Sachverständiger eingestellt. 1991 wurde er Professor an der Polizeihochschule.[pagebreak]


Kochbuch für echte Männer

Lust auf Krimis hatte er in dieser Zeit nicht, geschrieben hat er dennoch: kriminologische Fachbücher, Drehbücher und ein Kochbuch, das der leidenschaftliche Jäger für Männer verfasst hat und in dem es vor allem um Fleisch und harte Getränke geht. Gelangweilt hat er sich auch sonst nicht. Er hatte eine Kochshow, und seit acht Jahren tritt er im Privatfernsehen einmal in der Woche als Experte der Sendung “Efterlyst” auf, der schwedischen Variante von “Aktenzeichen XY ungelöst”.

Nach zwanzig Jahren Abstinenz hat er aber auch wieder Krimis geschrieben und war mit seinem Roman “Zwischen der Sehnsucht des Sommers und der Kälte des Winters” im Jahr 2002 sehr erfolgreich: Die Geschichte um die Ermordung Olaf Palmes – sein bester Krimi, der jetzt als Taschenbuch erschienen ist – war das Ereignis des Jahres in der schwedischen Kriminalliteratur.

Für den darauffolgenden Roman “Eine andere Zeit, ein anderes Leben” erhielt er den Schwedischen Krimipreis. Aus finanzieller Not wie in den siebziger Jahren hat er dieses Mal nicht geschrieben. Persson ist mehr als saniert, durch seine Arbeit und durch Börsenspekulationen. Auch wenn man das seinen ausgewaschenen Jeans und dem grauen Fernsehanzug, dessen Jacke wenig elegant über dem gewaltigen Bauch spannt, nicht ansieht.

Persson macht nur noch das, wozu er Lust hat: Ermittlungsarbeit, Fernsehen, Schreiben. Auch wenn er sich cool und entspannt gibt, den Kick sucht er doch: das gute Gefühl, als Profiler gebraucht zu werden, nachdem Außenministerin Anna Lindh in einem Stockholmer Warenhaus ermordet worden war; die SMS, die den populären Kriminologen bei jeder Ausgabe von “Efterlyst” erreichen, wenn Mörder, Vergewaltiger oder Auto-, Boots- und sogar Lachsdiebe gesucht werden – 600 bis 1.000 SMS pro Sendung, darunter jede Menge Fanpost; die Zustimmung der Leser – allein “Mörderische Idylle” wurde in Schweden mehr als 200.000 Mal verkauft; und die Begeisterung der Kritiker: wenn etwa “Expressen” schon mal Perssons Palme-Krimi und noch einige andere Bücher vergisst und “Mörderische Idylle” als “den besten Krimi aller Zeiten” bezeichnet.

Man mag ihn in Schweden, auch wenn er den Grantler gibt, und man schätzt den Kriminologieprofessor, der sich seit Jahrzehnten mit Verbrechen befasst und von sich selbst behauptet, dass ihn das ganze Grauen nicht berührt. Schwedens Polizisten arbeiten gern mit ihm zusammen, sei es, wenn sie an der Stockholmer Polizeiakademie von ihm etwas lernen sollen, oder sei es, wenn sie in “Efterlyst” gemeinsam mit ihm im Fernsehen auftreten. Sie lesen auch seine Bücher. Widerling Bäckström ist kein Problem – trotz der ätzenden Kritik fühlt sich kein schwedischer Polizist vorgeführt.[pagebreak]


Bäckström ist überall

“Ich habe etliche Bäckströms getroffen”, sagt Persson. “Auf jedem Polizeirevier gibt es mindestens einen, der etwas gegen Frauen und Ausländer hat, sich wie eine Herde Elefanten in einem Fall austobt, nichts auf die Reihe bringt und sich dabei für den Besten hält. Aber Bäckström – das sind immer die anderen.” Weil sich niemand in dieser Figur wiedererkennt, fühlt sich niemand beleidigt.

So kann Persson weiter schreiben – sein nächster Krimi ist gerade fertig und wird demnächst in Schweden erscheinen – und weiter mit der Polizei zusammenarbeiten. Grimmig und grantelnd, wie bisher. Und vom Publikum geliebt. Seine Leser verstehen seine Ironie entweder nicht – Persson erzählt, dass es unter ihnen Fans von Bäckström gibt, weil der alles tut, was schwedische Männer gern tun würden, sich aber nicht mehr trauen. Oder sie genießen seine witzigen Gemeinheiten.


Leif GW Persson:


Mörderische Idylle, btb, 544 Seiten


Die Profiteure, btb, 384 Seiten


In guter Gesellschaft, btb, 750 Seiten


Zwischen der Sehnsucht des Sommers und der Kälte des Winters, btb, 704 Seiten


Eine andere Zeit, ein anderes Leben, btb, 384 Seiten

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