Im Schatten Herman Melvilles

admin | Posted 06/04/2007 | Belletristik | Keine Kommentare »


Eine zerbrochene Familie und ein Autor, der zu seinen Lebzeiten kaum Anerkennung fand – düster geht es zu in Anna Mitgutschs Roman über das Scheitern. Ö1-Redakteur Peter Zimmermann empfiehlt ihr neues Buch.

Wenn es dick kommt, dann aber ordentlich. Das hat bei Anna Mitgutsch Tradition. Die Protagonisten ihrer Romane werden auf harte Proben gestellt, was an die Geschichte des biblischen Hiob erinnert, dem auch alles genommen wird, was ihm lieb und teuer ist. Dabei stellt sich gar nicht erst die Frage nach einer möglichen Schuld. Es geht darum, das Beste aus seinem Leben machen zu wollen und dabei auf ganzer Linie zu scheitern.

Während Hiob allerdings noch seinen Glauben im Herzen trägt, der bei allem Unglück sinnstiftende Wirkung hat, entzieht Mitgutsch ihren Figuren auch noch die Möglichkeit, sich ins Metaphysische zu flüchten. In ihrer Literatur sind wir jenseits der Hoffnung angelangt. “Zwei Leben und ein Tag” ist ein besonders düsteres Buch im literarischen Schattenreich der 58- jährigen Oberösterreicherin. Dabei sind die drei Erzählstränge anfangs eher locker geflochten.

Es sind noch Licht und Farben zu erkennen und vor allem ein Ton, der bei aller Melancholie jegliche Bitterkeit ausspart. “Unser Fluss war der Hudson River. Wir haben ihn in seiner ganzen Länge verfolgt, wir sind an beiden Ufern entlanggefahren, oft nahe am Wasser, nie habe ich ihn anders gesehen als mächtig in seiner Breite und grau von den Schatten seiner bewaldeten Ufer.” So beginnt die Erzählerin Edith die Rekapitulation einer Familiengeschichte in Form von Briefen an ihren früheren Ehemann Leonard.

Man glaubt in einem anderen Jahrhundert zu sein, wenn sie von ihrer Zeit als Austauschstudentin in den USA erzählt, von der Liebe zum Literaturstudenten Leonard, der an einer Doktorarbeit über Herman Melville schreibt, über das gemeinsame Kind Gabriel, über eine mögliche Zukunft unter vollkommen falschen Voraussetzungen. Denn was sie sich erträumten, war ein Leben außerhalb der Zeit.

Ein Leben innerhalb jener literarischen Kulissen, die sie sich aus der Lektüre Emersons, Thoreaus und Whitmans – Autoren des 19. Jahrhunderts – zusammenphantasiert hatten. Wer die Literatur als Ersatz für das Leben sieht, wird hart in der Wirklichkeit landen. Das trifft nicht nur auf das Ehepaar Edith und Leonard zu, das sich im Lauf der Jahre immer weiter vom Idyll entfernt. Auch Herman Melville, der Held des zweiten Erzählstranges, wird nach ersten Erfolgen als Schriftsteller zeit seines Lebens dem erträumten Ruhm hinterherschreiben.

Dass er Jahrzehnte nach seinem Tod im Jahr 1891 in das Pantheon der Weltliteratur aufgenommen werden sollte, konnte er nicht ahnen. Auch wenn der Autor von “Moby Dick” und “Billy Budd” seine ganze Existenz der Literatur opferte und damit seine Familie, seine Freunde, die Kritiker und am Ende die ganze Welt gegen sich aufbrachte, stellte sich für ihn – gleichsam als Ersatz für die Entbehrungen – kein einziger Glücksmoment ein.

Geglaubt hat er dennoch an sein Talent, und das macht diesen Erzählstrang so spannend. Dieser Glaube an die Unantastbarkeit des innersten Kerns eines Individuums, von dem Edith und Leonard so fasziniert waren, dass sie daran dachten, gemeinsam eine Melville-Biografie zu schreiben, ist ihnen verwehrt. Das Drama ihres Lebens hat genau mit diesem Manko zu tun: Die Notwendigkeit ihrer Existenz ist ihnen selbst nicht begreiflich.[pagebreak]


Am Ende hat nichts einen Sinn

Die Geschichte, die Anna Mitgutsch erzählt, ist grausam. Das Ehepaar trennt sich, und jeder vereinsamt auf seine Weise, Leonard in einem Haus in der Nähe von Budapest, Edith in einem geerbten Haus in Oberösterreich. Gabriel erweist sich als nicht integrierbar und lebt bei seiner Mutter. Diese allerdings hat Krebs und berichtet in ihren nie abgeschickten Briefen an Leonard in beklemmender Weise von dieser endgültigen Niederlage: “Unser Leben ist wie Wasser, das im Sand versickert, plötzlich verschwinden wir von der Erde, als hätte es uns nie gegeben.

Früher oder später, wenn die letzten Zeugen tot sind, ist alles, als wäre es nie gewesen.” Am Ende also hat nichts einen Sinn. Nach Ediths Tod bricht der Sohn zu seinem Vater auf. Doch die Reise ist zu Ende, ehe er die Stadt verlassen kann. Gabriel, der reine Tor, als den Anna Mitgutsch ihn versteht, gerät in üble Gesellschaft, die er aber nicht als eine solche erkennt.

“Die Welt war leer”, heißt es am Schluss. Und: “Gabriel lag mit dem Gesicht nach unten in einer Regenpfütze im Erlengestrüpp jenseits der Uferstraße.” Die Familie ist ausgelöscht, das Leben außerhalb der Zeit und innerhalb jener literarischen Kulissen, die Edith und Leonard sich einst aus der Lektüre Emersons, Thoreaus und Whitmans zusammenphantasiert hatten, ist gewaltsam, durch Krankheit, Mord und Selbstaufgabe, beendet worden.

Herman Melville ist als Künstler postum auferstanden. So gesehen hatte sein Leiden einen Sinn. Für diejenigen allerdings, die nichts Ewigkeitstaugliches hinterlassen, kann die Endabrechnung zu einem Desaster werden.


Anna Mitgutsch


Zwei Leben und ein Tag


Luchterhand


352 Seiten

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