Das Buch ist nicht genug
admin | Posted 07/05/2007 | Belletristik | Keine Kommentare »
Auch 2007 ist wieder ein Jahr der Literaturverfilmungen. Warum sich das Kino seit seinen Anfängen Bücher einverleibt – und weshalb der Streit darüber anhält.
Wann genau die Verwandlung des Jean-Baptiste Grenouille begann, kann niemand mehr sagen. Nachdem der Frauenmörder zwei Jahrzehnte lang nur zwischen Buchdeckeln mordete, erwachte er im vergangenen Jahr als Filmheld zum Leben. Ob es die Entscheidung von Regisseur Tom Tykwer war, ob Produzent Bernd Eichinger Einfluss nahm – sicher ist, dass aus dem hässlichen Mörder im Roman “Das Parfüm” im Film ein schöner Held wurde, in den sich Frauen verliebten. Während vielen Kritikern die Verwandlung missfiel, musste sie den Autor Patrick Süskind gefallen: Pünktlich zum Kinostart schoss sein 20 Jahre alter Roman wieder auf Platz eins der Bestsellerlisten.
Grenouilles Verwandlung ist eine von Tausenden. Von Goethes “Faust” bis Rosamunde Pilcher, von “Der Herr der Ringe” bis “Harry Potter”, von “Vom Winde verweht” bis “City of God” – vom Beginn der Filmgeschichte und bis heute beziehen Filme ihre Stoffe von der Literatur. Drehbuchautoren schneiden sich Stoffe aus Romanen heraus und verweben sie so, dass sie auf eine Filmrolle passen. Und Figuren wie Grenouille beginnen auf der Leinwand ein neues Leben.
Auch 2007 wird wieder ein Jahr der Literaturverfilmungen: Auf der Berlinale liefen kürzlich “Lady Chatterly” und “The Good German”, in Frankreich hat Eric Emmanuel Schmitt seinen Roman “Odette Toulemond” abgedreht, in der Schweiz sollen Güzin Kars Roman “Ich dich auch” und Urs Augstburgers Bergdrama “Schattwand” ins Kino kommen, und in Deutschland scharrt die Martin-Walser-Adaption “Ein fliehendes Pferd” schon mit den Hufen. In Österreich arbeitet man an einer Verfilmung des Lawinenunglück-Romans “Der Atem des Himmels” vom Austro-Popper Reinhold Bilgeri, im Herbst läuft “Liebesleben” an – die von Maria Schrader gedrehte und mit Spannung erwartete Filmversion des Bestsellers der Israelin Zeruja Shalev. Und gerade erscheint “Der Engelmacher” des Belgiers Stefan Brijs auf dem deutschsprachigen Buchmarkt- mit dem verlockenden Klappentext, dass eine Verfilmung des Romans geplant sei. Wie sehr der Film auf literarische Stoffe setzt, zeigt schließlich eine schlichte Zahl: Mit dem Rekordbudget von 150 Millionen Euro will der Regisseur Roman Polanski noch in diesem Sommer den Roman “Pompeji” von Robert Harris verfilmen. Der teuerste europäische Film aller Zeiten – eine Literaturverfilmung.
“Alle Filme waren Bücher”
Immerhin ein Viertel aller aktuellen Filmproduktionen gehen auf literarische Vorlagen zurück, schätzt Anna-Katharina Werdnik. Ihr kleines Büro an der Konstablerwache in Frankfurt am Main ist so etwas wie das Geburtshilfezentrum für Filmadaptionen. Die 39-Jährige leitet bei der Frankfurter Buchmesse das internationale Agentenzentrum für Literaturverfilmungen. Vor drei Jahren gegründet, ist ihre Agentur die bislang einzige in Deutschland, die Autoren, Verlage und Filmproduzenten planmäßig vernetzt. “Auf der Frankfurter Buchmesse werden jedes Jahr 180.000 Neuerscheinungen vorgestellt”, sagt Werdnik. “Das ist eine so große Menge, dass man sich als Produzent dort nicht allein durchwühlen kann.”
“Alle Filme waren Bücher” – der Slogan von Werdniks Agentur ist Programm. Bei Großereignissen wie der Berlinale und der Frankfurter Buchmesse bietet sie den Verlagen eine Plattform, auf der sie Bücher vorstellen können, die sich für Verfilmungen eignen. Produzenten aus der ganzen Welt sind zu diesen Präsentationen eingeladen, Hollywood-Studios wie Miramax und Focus Features schicken regelmäßig Vertreter. Werdniks Job bei diesen Branchentreffs ist das Anbahnen von Kontakten: Sie sichtet Romane, schätzt ein, welcher Stoff sich als Drehbuch eignen würde und räumt Barrieren zwischen den Geschäftspartnern aus dem Weg. Denn Buch- und Filmmacher seien sich in vielem immer noch sehr fremd, sagt Werdnik. “Es ist so, als würden die einen Deutsch und die anderen Suaheli sprechen.”
Mehrmals im Jahr stellt ihre Agentur einen Katalog mit den wichtigsten Buchtiteln zusammen, in denen die Verlage ihre Stoffe anpreisen können. Diese “Filmrechte-Kataloge” lesen sich wie das Kinoprogramm von morgen: In der aktuellen Ausgabe finden sich “Nachtzug nach Lissabon” von Pascal Mercier, “Die Habenichtse” von Katharina Hacker und “Großmama packt aus” von Irene Dische. Alles Romane, denen Werdnik gute Chancen auf eine Verfilmung einräumt. Denn von der Verfilmung eines Bestsellers profitierten beide Seiten, meint sie. Deshalb seien Literaturverfilmungen das Genre der Zukunft. “Es werden wieder mehr Bücher verfilmt, weil man mit einem Bestseller den Garanten dafür hat, dass Menschen ins Kino gehen, die sonst keine Kinogänger sind.” “Das Parfüm” sei aus genau diesem Grund erfolgreich gewesen. Dass der Stoff – wie die gerade mit Ulrich Noethen in der Hauptrolle abgedrehte Walser-Novelle “Ein fliehendes Pferd” – schon Jahrzehnte auf dem Buckel habe, sei dabei kein Makel. Im Gegenteil: Gerade Bestseller und ältere literarische Stoffe, die schon von Generationen gelesen wurden, versprechen Filmemachern ein gutes Geschäft. Schließlich will, wer ein Buch kennt, oft auch den Film sehen – und sei es, um sich über ihn aufzuregen.
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Trost und Schaden der Literatur
Joachim Paech verfolgt seit langem die Verwandlungen von Büchern in Filme. Von Anfang an habe sich das Kino auf Bücher gestürzt, sagt der Literaturwissenschaftler aus Konstanz (am Bodensee) – und das mit guten Gründen. “Wenn man Anfang des 20. Jahrhunderts Literatur verfilmte, konnte man sich auf etwas Bekanntes beziehen, was für die frühen Filme sehr wichtig war.” Weil die ersten Streifen nur ein paar Minuten dauerten und keine komplexe Handlung wiedergeben konnten, war es praktisch, auf Bekanntes aufzubauen. “‘Onkel Toms Hütte’ zum Beispiel kannte damals jeder”, sagt Paech. “Und nur deshalb konnte man die wenigen Bilder, die man im Film geboten bekam, in eine Geschichte einordnen.” Als die Filme ab 1908 länger wurden, griffen viele Filmemacher auf die hohe Literatur zurück: Eine der ersten Literaturverfilmungen war Goethes “Faust”. Die Produktionsfirmen wollten ihr junges Medium in der bürgerlichen Kultur etablieren, das Kino sollte “Theater” werden, der Film “Literatur”. “Nur so konnte der Film seinem neuen Ehrgeiz frönen, selbst Kunst zu werden”, sagt Paech.
Von den ersten Literaturverfilmungen profitierten beide Seiten. Mit dem Bezug auf literarische Stoffe nahm der Film an der bürgerlichen Kultur teil, und mit der Verfilmung stiegen die Verkaufszahlen der Bücher. Als “Les Misérables” 1912 erstmals verfilmt worden war, kauften die Kinogänger binnen weniger Wochen mehrere tausend Exemplare von Victor Hugos Roman. “Es ist der große Trost für die Literatur, dass sie durch den Film an Popularität gewinnt”, sagt Paech.
Ein Trost, weil sie auch Schaden nimmt. Denn mit den Adaptionen begann der Streit. Das gefräßige Medium rief die Kulturwächter auf den Plan, Fragen wurden laut: Schadet der Film der Literatur, weil er ihre Stoffe trivialisiert? Weil er eindeutige Bilder erschafft, wo jeder doch sein eigenes hat? “Es wird nicht gern gesehen, daß der Emporkömmling Film nun auch nach Geweihtem seine Hand ausstreckt”, schrieb der Kritiker Willy Langner 1912 in einer Filmzeitschrift. 95 Jahre später – im Januar 2007 – schreibt Gustav Seibt in der “Süddeutschen Zeitung” ganz ähnliche Sätze: “Es gibt Menschen, für die der Besuch von Literaturverfilmungen unerträglich ist. Sie wollen nicht, dass ihre Helden leibliche Gestalt annehmen. Sie halten es nicht aus, wenn der homerische Achilleus aussieht wie Brad Pitt.” Die Angst der Literaturliebhaber ist eine Angst vor dem Zauber der Bilder: Sie fürchten dass die Verwandlung des hässlichen Jean-Baptiste Grenouille in den schönen Körper von Ben Wishaw nur in eine Richtung funktioniert; dass – schlägt man Süskinds “Parfüm” nach dem Film wieder auf – einem ein hübscher Schauspieler entgegenlacht.
In Streit geriet man auch über die Frage, wie getreu der Film an der literarischen Vorlage bleiben muss. “Eine Art Kulturkampf” nennt Joachim Paech diese alte Diskussion, die schon zur Zeit der ersten Spielfilme einsetzte. Dominik Bernet hat diesen Streit mit sich selbst ausgefochten. Der Autor aus Basel hat im Oktober 2006 den Thriller “Marmorera” herausgebracht und gleichzeitig das Drehbuch für die Verfilmung geschrieben, die seit Anfang des Jahres in den Schweizer Kinos zu sehen ist. “Der Regisseur Markus Fischer kam auf mich zu mit der ersten Idee für einen Film namens