Und sie bringt es doch
admin | Posted 06/05/2007 | Autoren | Keine Kommentare »
Harmlos, klein und angepasst? Stimmt nicht, findet Egon Ammann. Um die Schweizer Literatur stehe es bestens. Defizite sieht er dagegen in der Politik: Sie müsste mehr für die Literatur tun.
Vor gut 30 Jahren gab es sie scheinbar nicht, die Schweizer Literatur. Literatur, die hier geschrieben werde, sei Literatur aus der Schweiz, erklärten Schriftstellerinnen und Schrifsteller – und das vehement. Als in diesen Jahren in Zürich eine Ausstellung zu jener mysteriösen Schweizer Literatur gezeigt wurde, erreichte die Auseinandersetzung ihren vorläufigen Höhepunkt: Wohl bewusst hatten die Ausstellungsmacher darauf verzichtet, den in Poschiavo ansässigen und dort als Ehrenbürger, und damit als Schweizer, geführten Wolfgang Hildesheimer, der bekanntlich kein gebürtiger Schweizer war und in seinem Leben ein besonderes Schicksal zu bestehen hatte, in diese Ausstellung aufzunehmen.
Er reklamierte geharnischt seine nationale Zugehörigkeit und pochte mit verbrieftem Recht zugleich darauf, als Autor zur Schweizer Literatur zu gehören. Es gibt sie also, die Schweizer Literatur, und seit sie sich verkaufen lässt – nicht nur in unseren Tälern, Fluren, Dörfern und Städten, sondern auch in den Metropolen und auf dem platten Land in unseren deutschsprachigen Nachbarländern, darüber hinaus weltweit in Originalsprache und in Übersetzungen -, sollten wir Schweizer stolz darauf sein, dass unsere Autorinnen und Autoren ihren nicht zu übersehenden hoch stehenden Beitrag zum Gedeihen und Blühen der an keine Sprach- und Landesgrenzen gebundenen literarischen Republik leisten.
WO DIE LESEKULTUR BLÜHT
Ich behaupte, die Lesekultur in der Schweiz ist eine hoch stehende, ja übertrifft die Lesefreudigkeit bei unseren deutschsprachigen Nachbarn. Spätestens seit den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts sind unzählige neue kleinere und grössere, private oder als Vereine eingetragene Lesezirkel, Lesegesellschaften, literarische Clubs entstanden.
Einige dieser Vereinigungen haben eine jahrhundertlange Tradition und können stolz und selbstbewusst in ihrem Absender zum Beispiel den Hinweis führen: since 1892. Ihr Wirken im mehr oder weniger Verborgenen entspricht dem Charakter dessen, dem sich diese Zirkel- Leute verschrieben haben: der Literatur. Die Literatur – die geschriebene Erzählung, der Roman, das Gedicht, der Essay – will zuerst einmal gelesen werden, und Lesen ist ein stiller Vorgang, ein individuelles Abenteuer.
Dass sich über Gelesenes jedoch vortrefflich reden lässt, dass Gelesenes die Menschen, ob Leser oder Nicht-Leser, verbindet, wenn einer oder eine davon nun ihrerseits im Freundes- oder Bekanntenkreis zu erzählen weiss, das ist der Mehrwert dessen, was Literatur ist. Was wären wir ohne Geschichten? Schweizer Autorinnen und Autoren sind wunderbare Geschichtenerzähler, sie wissen uns auf hohem Niveau und nachhaltig zu unterhalten.
Lassen wir Frisch und Dürrenmatt, wenn die beiden auch im Fokus stehen und aus diesem nicht wegzudenken sind, einmal beiseite. Was am Jurasüdfuss aufgebrochen ist, mit dem erfolgreichen “Stummen” (1959) von Otto F. Walter hat es begonnen, trägt bis heute erstaunlich vielfältige und zuweilen überraschend frische Früchte.
Die Generationsgenossen von Walter, als “junge Schweizer Literatur’”bis heute apostrophierte Autoren, obschon sie inzwischen ehrenwert älter gewordene Herren sind (wie Jörg Steiner, Peter Bichsel, Jürg Federspiel, Kurt Marti, Hans Boesch), haben dazu beigetragen, diese Schweizer Literatur in allen deutschsprachigen Ländern zur Geltung zu bringen.
In ihrer Nachfolge, und auf die Vorgänger freundschaftlich rekurrierend, sind in den vergangenen zwei Jahrzehnten zahlreiche neue Namen auf der Bildfläche erschienen, die mit ihren Werken im In- wie Ausland aufmerksam und gerne gelesen werden. Ihnen muss unsere Neugier gehören, ihre Werke müssen wir als Leserinnen und Leser zu unseren machen.[pagebreak]
AUFLAGE IST RELATIVVerkaufte Auflagen sagen wenig aus über den Erfolg eines Autors, einer Autorin. Auflagen sind relative Grössen. Wenn für eigensinnige, im positiven Sinn des Wortes anspruchsvolle Literatur um die 4.000 und mehr Leser gefunden werden, dann ist das eine stattliche Zahl und ein Erfolg.
Wenn 80.000 Leser, wie ein jüngstes Beispiel zeigt, für den Roman “Vierzig Rosen” von Thomas Hürlimann erreicht werden, dann ist das nicht nur ein grossartiger Erfolg eines virtuosen und anspruchsvollen Romans eines Schweizer Autors, es ist auch ein wirtschaftlicher Erfolg, sowohl für den Autor wie für seinen Verlag, und die Leserinnen und Leser, also die Käufer, denn verkaufte Auflagen werden an Käufern gemessen, und die finden sich nicht nur in der Schweiz.
Mit anderen Worten: Schweizer Autoren finden sehr wohl ihr Publikum auch jenseits des Rheins und über den Limes hinaus. Es kommt auf den Gegenstand der Erzählung an, auf deren literarische Form, auf den Sog, den ein Werk auf ein nicht näher bekanntes, aber potentiell vorhandenes Publikum zu erzeugen vermag. Diese Eigenschaften sind glücklicherweise nicht an deren nationale Herkunft gebunden, haben aber mit ihr zu tun.
Und darauf sollten wir stolz sein: darauf, dass es die Schweizer Literatur gibt und dass in diesem Land Verlage arbeiten, die sich sehr wohl mit ihren deutschen Kollegen in puncto Trommeln und Verkaufen messen lassen können. Märkte wollen erobert werden, sie fallen niemandem in den Schoss.
Das muss sich auch der hiesige Buchhandel ins Pflichtenheft schreiben, nämlich mit Phantasie, Mut und Überzeugung gerade die Bücher zu verkaufen, die sich mit dem Etikett Schweizer Literatur versehen lassen. Vor dem Globalen kommt das Lokale, wenn dort und hier überhaupt etwas strahlen soll.
EIN WIRTSCHAFTSFAKTOR
Die Politik in unserem Land, auf welcher politischen Ebene auch immer, und mit dieser die meinungsbildende Öffentlichkeit, haben zu lange nicht bemerkt, ja sie sehen es bis heute noch nicht, dass Kultur, und mit ihr die Literatur jeglichen Anspruchs, inzwischen zu einem bedeutenden Wirtschaftsfaktor mutiert ist, den mit allen Mitteln zu fördern ein weitsichtiges und just in wirtschaftlicher Hinsicht vernünftiges Gebot der Stunde ist. Doch wie und wen schützen und fördern in unserem föderalen System? Fragen, die vorerst offen bleiben müssen, schnellstens aber zum Wohl von uns allen gelöst werden sollten.
Tipp:
"Was taugt die Schweizer Literatur?"
Podiumsdiskussion an der "BuchBasel"
mit Pia Reinacher, Egon Ammann und Dirk Vaihinger
Moderation: Urs Heinz Aerni.
Sonntag, 13. Mai 2007, 10.00 – 10.45 Uhr, Sachbuchforum