Kleiner Grenzverkehr

admin | Posted 20/06/2007 | Uncategorized | Keine Kommentare »

"Die Welt war einmal sehr übersichtlich", schreibt Dagmar Schwelle und meint damit die Zeit, als es noch eine klare Trennung in Ost und West gab. Der Fall des Eisernen Vorhangs hat diese Aufteilung vordergründig aufgelöst, gleichzeitig aber neue Trennlinien geschaffen. Die Fotografin Dagmar Schwelle hat für ihren Bildband “Die da drüben” (Otto Müller Verlag) einige "geteilte Grenzstädte in Europa" besucht.

Im österreichischen Waldviertel hat Dagmar Schwelle Gmünd besucht, danach Ceske Velenice. Zwischen den beiden von einer Staats- und Sprachgrenze getrennten Städten pendelt mehrmals täglich ein Schienenbus. Er bleibt meistens leer. Neben zahlreichen Bildern, die das Alltagsleben hüben und drüben einfangen, zeigt die Autorin in mehreren Interviews, dass die Distanzen in den Köpfen auch sonst mitunter noch ziemlich groß sind, selbst wenn manche wie die Tschechin Vera Krnakova sagen: "Was trennt uns schon? Nur die Luznice (Lainsitz)."

Menschen wie Krnakova sind aber eher Ausnahme, ihr verstorbener Mann war schon vor der Wende öfters nach Gmünd gefahren, um Briefmarken zu tauschen. Im Grunde aber ist die Lage zwischen Gmünd/Ceske Velenice für Schwelle so: "Das Flüsschen Lainsitz/Luznice (…) hat alle klassischen Karriereschritte eines Grenzgewässers absolviert. Die Menschen an seinen Ufern haben dabei bloß vergessen, wie zwangloser Umgang miteinander funktioniert."

"Die da drüben" gibt es aber auch an der estnisch-russischen Grenze, wo zwischen den Städten Narva (nunmehr Estland) und Iwangorod (nunmehr Russland) hautnah betroffen. Gab es zu Zeiten der UdSSR ein ständiges Wechseln von hüben nach drüben, so werden die einstigen Zwillingsstädte einander nun zunehmend fremd. Die Bewohner von Iwangorod pendelten früher täglich in die Fabriken nach Narva, die von Narva besuchten ihre Schrebergärten und Wochenendhäuschen in Iwangorod. Bis 1991 zumindest. Mit der Eigenständigkeit Estlands wurde die Grenze praktisch dicht gemacht.

Auch zwischen Estland und Lettland gibt es einen Riss. Die von deutschen Händlern gegründete Stadt Valka wurde mit dem Fall der Sowjetunion zwischen beiden Ländern aufgeteilt und die Grenze verläuft nun quer durch Siedlungen, Bauernhöfe, Ställe, Heustadeln und Rübenäcker. Der Mensch spielte dabei keine Rolle mehr, und Besuche bei Freunden oder Verwandten wurden zum Spießrutenlauf durch die Bürokratie. Die Hoffnung trägt in diesem Fall den Namen "Schengen".

Und dann sind da noch Guben in Deutschland und Gubin in Polen. Da wagt wenigstens so mancher deutscher Jugendliche den Blick auf die andere Seite und meint: "Da gibt es Leute, die in Ordnung sind." Das Problem, meint Dagmar Schwelle, liegt aber woanders. Nämlich darin, dass "kaum etwas einen jungen, grundsätzlich aufgeschlossenen Menschen in Guben hält." (APA)

Dagmar Schwelle
Die da drüben. Geteilte Grenzstädte in Europa.
Edition Fotohof im Otto Müller Verlag, 136 Seiten, 120 Farbfotos

36,00 Eur [D] / 36,00 Eur [A] / 62,10 sFr

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