Meister der Groteske
admin | Posted 04/06/2007 | Biografien | Keine Kommentare »Zum 125. Geburtstag von
Karl Valentin ist frisch eine vorzügliche Biographie erschienen.
Valentin, dieser lange, absurd dünne Wundaufleger, der listige Leptosom – der Verlag nennt ihn kühn "den einzigen Komiker von Weltrang, den Deutschland je hatte". Das kann leider nicht mehr überprüft werden. Als Valentin Mitte der 1920 Jahre ein lukratives Angebot aus Hollywood erhielt, schlug er die Möglichkeit aus, ein vielleicht tatsächlich internationler Star zu werden. Die Überfahrt mit dem Schiff ins ferne Amerika erschien ihm nicht geheuer, ganz und gar undenkbar. Ein Großer aber, das war er auf jeden Fall.
Karl Valentin wurde vor 125 Jahren geboren. Zu solchen Terminen erscheinen Biographien. Es gibt schon welche, schließlich kann man auch vor 100 Jahren geboren worden oder seit 25 Lenzen tot sein. Monika Dimpfl hat eine der schönsten geschrieben. Sie schafft einen Spagat zwischen wissenschaftlicher Quellenkritik und kreativer Unterhaltung. Denn sie kann erzählen. Und sie hat was zu erzählen.
Eine kleine Episode aus Valentins Zeit als Strolch, denn was ein feiner Komiker werden will, der arbeitet schon als Kind. Und hat jede Menge Spaß in den hohlen Wangen. Beim "Sanitätsstation"-Spiel beispielsweise. Da streuten der junge Karl und ein paar Spezis Glasscherben auf die Wiese, in der Hoffnung, dass andere unbeschuhte Kinder sich die Füße ratschen würden. Das geschah natürlich – um 1900 war man traditionell arm und konnte sich Schuhe nicht leisten – und das Geschrei war groß. Also konnten Karl und seine Buben die kleinen Flenner prima versorgen und hatten dabei eine Mordsgaudi. (Parental Advisory: "Buy shoes for your kids!")
Ja nun, die Zeiten waren hart und die Streiche derb. Es wird schnell offensichtlich, dass Karl Valentin, der nach "siebenjähriger Zuchthausstrafe" in der Schule zunächst eine Schreinerlehre abschließt, über ein außergewöhnliches komisches Talent verfügt. Er schaut dem Volk auf’s Maul, verzerrt die verklemmten Banalitäten des Münchener Alltags ins Absurde, er kennt Dada, auch der Surrealismus ist an ihm nicht spurlos vorbeigegangen. Aber er bleibt der Mann aus der Münchener "Au", einem kleinen Vorort und ein Mikrokosmos Münchener Eigenschaften. Seine Komik ist wild, hintersinnig, durchaus modern. Aber stets bleibt er seinen Volkswurzeln verhaftet.
Valentin ist eigentlich immer ein Münchener Komiker geblieben, auch wenn er in den "Golden Twenties" wunderbare Erfolge vor allem in Berlin feiern konnte. Valentin und seine Partnerin Liesl Karlstadt, mit der er eine ungeheuere Popularität genoss, waren sonderbarerweise so typisch münchnerisch, nicht mal bayrisch, schon gar nicht deutsch, dass es ein wundervoller Zufall der Geschichte ist, dass Karl Valentins Leistung heute national solch eine Zustimmung erfährt wie außer ihm vielleicht nur noch die von Johnny Cash.
Die hat Valentin in seinen letzten Jahren vermissen müssen. Unbelastet von der Nazi-Zeit, war seine Kunst nach dem Krieg nicht mehr angesagt. Er galt schon zum Anfang der 1940er Jahre vielen als etwas altmodisch. Zuletzt litt er – wie die meisten Deutschen – unter konkretem Mangel: Hunger, Kälte. Nach einer unfreiwilligen Übernachtung in der ungeheizten Garderobe des Theaters "Bunter Würfel" stirbt er 1948 an einer Lungenentzündung, die von seiner chronischen Bronchitis noch unterstützt wurde.
Es ist schön, sich auszumalen, was Valentin, dieser geniale Meister der Groteske, in Hollywood wohl angestellt hätte. Vielleicht hätte er sich mit Charlie Chaplin in die Wolle gekriegt, vielleicht hätten sie uns als einzigartiges Komikerduo Filmperlen hinterlassen. Er ist aber geblieben, was er war. Ein Einzigartiger, Unbiegbarer. Und so liest man gern mal wieder vom vielleicht "einzigen Komiker von internationalem Rang, den Deutschland je hatte".
Monika Dimpfl: Karl Valentin, dtv, 320 Seiten, 14,50