Die Lumpen von Paris

admin | Posted 20/09/2007 | Krimis | Keine Kommentare »

Hannelore Cayre (Foto Hermance Triay)


Ein abgefeimter Thriller voller Heimtücke aus der juristischen Unterwelt

Gerichtsthriller sind bekanntlich eine ureigene amerikanische Spezialität.

Strafverteidiger, die vor der Jury rhetorisch groß auftrumpfen. Geschworene, die von Vorurteilen imprägniert sind und nur einige wenige das reine Gewissen verkörpern und die Fahne nicht korrumpierbarer Moral hochhalten. Juristen, die sich in einem konspirativen Netz verfangen und sich in einer Welt voller Korruption und Gier bewegen – all das sind die Ingredienzien, mit denen ein John Grisham, ein Scott Turow oder John Lescroart ihre Bestseller herstellen.

Dass man aber über diesen abgründigen Kosmos organisierter Kriminalität, besser gesagt: der Gesetze, auch ganz anders schreiben kann, locker, elegant, spritzig und ganz und gar unpathetisch und mit fulminanter Bissigkeit, das demonstriert die französische Autorin und Juristin Hannelore Cayre (die ihren so unfranzösischen Vornamen ihrer deutschen Mutter verdankt) – eine Entdeckung (wieder einmal!) des sich um das Genre “Mord & Totschlag” seit längerem hoch verdient machenden Zürcher Unionsverlages.

Christophe Leibowitz hat schon lange alle Illusionen als Strafverteidiger verloren. Es geht ihm nur nochs um Durchkommen. Viel zu oft sitzt er auf der harten Bank im Pariser Justizpalast und wartet, dass ihm kleine, mäßig dotierte Aufträge als Straf- und Pflichtverteidiger zugeschanzt werden, am liebsten an Feiertagen, an denen sonst keiner seiner großbürgerlichen Kollegen, die auf ihn, den Kleinbürger mit jüdischer Herkunft, herabsehen, zu erscheinen geruht. Seine Klientel besteht aus Zuhältern und Prostituierten, vor allem aus Osteuropa. Er ist tatsächlich ein “Lumpenadvokat”.

So ist es naheliegend, dass sich Leibowitz mit dem obskuren Anwaltskollegen Lakdar zusammentut, der bekannt dafür ist, höchst ominös und zugleich brachial gerade noch so in den Grauzonen der Legalität zu navigieren und wohlhabende Großkriminelle zu vertreten. Dieser macht ihm ein unmoralisches, aber exzellent dotiertes Angebot: einen kurz vor dem Prozess stehenden, in Untersuchungshaft steckenden Bankräuber als Mandanten zu übernehmen.
Und nicht nur das. Sondern für zwei Millionen Euro mit diesem die Rolle zu tauschen. Als Leibowitz diesen das erste Mal in Haft besucht, wird ihm klar, wieso ihn Lakdar so lange bezirzte und derart lukrativ köderte: Sie könnten Zwillinge sein.

Leibowitz steigt erst mal nicht auf die Offerte ein, immerhin müsste er zwei bis drei Jahre hinter Gittern absitzen – und prompt versiegen all seine Kontakte. Und sein Einkommen fällt ins Bodenlose. Dann stimmt er zu, mit mulmigem Gefühl. Der Identitätstausch, vulgo: Ausbruch klappt. Doch Leibowitz hat nicht damit gerechnet, dass sich Lakdar an ihm rächen will für eine Demütigung, die er, Leibowitz, ihm in einer Laune zufügte. Einen Mordanschlag überlebt Leibowitz knapp.
Und plant nun die Rache. Die ihm auch gelingt. Schritt für Schritt entfaltet sich sein perfider Plan. Lakdar verschwindet von der Oberfläche der Erde – und Leibowitz wird entlassen. Und rehabilitiert. Nun sitzt er wieder, Tag für Tag, auf der harten Bank der Pariser Pflichtverteidiger, mehr als ein schwarzes Schaf, ein Outsider im wahrsten Sinne des Wortes.

Hannelore Cayre erzählt dies in einem lockeren Parlando, das der Realität sehr genau abgehorcht ist.

Von dem unterhaltsamen, dann wieder sarkastischen Tonfall darf man sich nicht täuschen lassen. Dieses Buch, der viel versprechende Auftakt einer auf vier Bände ausgelegten Serie um den Winkeladvokaten Leibowitz, ist auch eine einfühlsame Charakterstudie, menschlich präzis beobachtet (vor allem der Snobismus der Juristenkaste und die Absonderlichkeit des
low life
), voller Humor und intelligent konstruiert. Die Volten und Haken, die die Handlung allein dieses Bandes schlägt, dürften einem deutschen Krimiautor für mehrere Bücher reichen.


Das Buch:

Hannelore Cayre: Der Lumpenadvokat. Unionsverlag, Zürich 2007

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