Hier spricht Oswald
admin | Posted 21/09/2007 | Belletristik | Keine Kommentare »
Oswald von Wolkenstein – neu übersetzt
Dichter, Sänger, sprachgewandter Weltreisender, Ritter, streitbarer Adliger, Komponist, Geisel, siebenfacher Vater, Liebender und Schmachtender - der einäugige, beleibte Südtiroler Oswald von Wolkenstein (um 1377 bis 1445) war vieles. Er gilt neben Walter von der Vogelweide als der bedeutendste Poet des späten Mittelalters.
Seit vielen Jahren liegt nun wieder eine umfangreiche Neuübersetzung seiner Trink-, Tanz-, Liebes-, Spott-, Marien- und Abschiedslieder vor. 53 der rund 130 überlieferten Oswaldschen Lieder nahm der 1951 geborene Wiener Lyriker Gerhard Ruiss, Autor von unter anderem “Sänger im Bad” (2001), “dichter schreiben keine romane” (2004) und “Kanzlergedichte” (2006), in einen schön gestalteten Band auf, in dem auch die mittelhochdeutschen Originalfassungen abgedruckt sind.
Es ist so angenehm wie nobel, dass Ruiss als Übersetzer ganz uneitel hinter Oswald zurücktritt. Keines der tradierten Bilder will er “korrigieren oder ein zusätzliches erzeugen, sondern die Lieder Oswalds von Wolkenstein für sich selbst sprechen lassen”. Es ist also keine verkürzende Aktualisierung, keine aggressive Dekonstruktion. Es ist auch keine “Mobilisierun’”, wie dies der vor zwei Jahren verstorbene deutsche Experimentallyriker Thomas Kling in essayistischer wie in nachschöpferischer Form versuchte.
Ruiss präsentiert die Lieder des Südtirolers geordnet nach Schlagworten. So setzt der Band ein mit Reisegedichten, auf die Liebeslieder folgen, auf diese Freudentänze, dann Volks- und Heimatlieder sowie Trinklieder. Dem Liebeswerben wird ebenso ein Kapitel eingeräumt wie Alters- und Wehklagen, dem Abschiednehmen, den Bußliedern und der Marienverehrung. Der Band klingt aus mit Spottgesängen und Spruchdichtungen.
Als Nachdichter findet Ruiss einen klaren, präzisen Ton, einen hie und da fast zu sachlich anmutenden Klang für die ungemein lebendigen Poeme. Aber auch für das Musikalische, das Spielerisch-Verspielte, die Anspielungen und die rhetorischen Elemente dieser Gesänge schafft er es, einen ebenso starken, ebenso musikalischen, einen ganz heutigen Ausdruck zu finden.
Bedauerlich ist allerdings, dass Ruiss seiner Übertragung ein derart knappes Vorwort vorausschickt, im dem die Auswahl der Lieder nicht begründet wird. Sollte die Lebendigkeit der Lektüre, die Frische der Verse nicht durch wissenschaftlichen Ballast getrübt werden? Dies jedenfalls hat Gerhard Ruiss ganz vorzüglich erreicht.
Und so vermögen Oswalds raffinierte Verse noch heute, 560 Jahre nach seinem Tod, zu bewegen, anzurühren und mitzureißen. Dieser wortgewaltige, verspielte mittelalterliche Barde ist nun wieder von neuem und für eine neue Lesegeneration zu entdecken. Zusammen mit Dieter Kühns biographischem Band “Ich – Wolkenstein” von 1977 steht nun dank Gerhard Ruiss der Oswaldsche Sprach- und Gefühlskosmos erneut zum Erkunden, zum Genießen, zum Lesen weit offen. Länger geschwiegen wird nun nicht mehr.
Das Buch:
Gerhard Ruiss/Oswald von Wolkenstein: Und wenn ich nun noch länger schwieg’. Lieder Nachdichtungen. Folio Verlag, Wien und Bozen 2007.