Orwell hatte einen Grossen Bruder

admin | Posted 05/09/2007 | Autoren | Keine Kommentare »

George Orwell als Wachsfigur

Ausgerechnet George Orwell, Autor des Überwachungs-Klassikers “1984", wurde durch den britischen Geheimdienst überwacht. 

Von 1929 bis zu seinem Tod 1950 stand der englische Schriftsteller George Orwell unter Beobachtung des britischen Geheimdienstes MI5. Das belegen nun im Rahmen des britischen “Freedom of Information Act” von 2005 der Öffentlichkeit jüngst zugänglich gemachte Dokumente.

Aktenkundig war Orwell beim MI5 seit 1929, damals lebte der noch unbekannte Brite Eric Arthur Blair, so Orwells Geburtsname, in Paris, und bemühte sich dort um Aufträge linksgerichteter Medien. Die freigegebene Akte enthält unter anderem seinen Passantrag, einen Lebenslauf, Fotografien und die Reaktionen des Geheimdienstes auf Hinweise der britischen Polizei. Die hatte 1936 unter anderem Orwells “kommunistische Aktivitäten in Wigan” gemeldet. In dieser englischen Bergarbeiterstadt recherchierte Orwell das Leben der Arbeiterklasse. Die Kommunistische Partei habe ihm, so die Polizeiaufzeichnungen, bei der Suche nach einer Unterkunft geholfen. Orwells “Der Weg nach Wigan Pier”, sozialkritische Reportage und Essay in einem, erschien 1937.

Fünf Jahre später berichtete die Polizei von neuem über Mr Blair. “Es hat ihn nach Paris und London verschlagen”, fasste die Zwischenerkenntnisse ein Sergeant Ewing zusammen, “er hat ein paar Bücher über seine Erlebnisse geschrieben, unter dem Namen Orwell. Er hatte praktisch keinen Penny als er bei der BBC Arbeit fand.” Orwell, so Ewing weiter, hege “fortgeschritten kommunistische Ansichten”, man habe ihn auch bei Zusammenkünften der KP gesehen. Und, noch schlimmer: “Er kleidet sich wie ein Bohemien, im Büro und in seiner Freizeit.”

Orwell hatte sich in den Zwanziger Jahren selbst als Anarchist gesehen und blieb sein Leben lang bekennender Sozialist. Was ihn nicht daran hinderte, zu einem der schärfsten Kritiker des Stalinismus zu werden, den er in seinen bekanntesten Büchern “Die Farm der Tiere” (1945) und “1984″ (1949) geißelte. Romane, die die Männer vom MI5 offensichtlich lasen.

Denn anders als Orwells sprichwörtlich gewordener totalitärer Großer Bruder hatte der MI5, wie aus den Unterlagen hervorgeht, keine Absicht, den Autor zu drangsalieren. Aus Orwells jüngsten Veröffentlichungen gehe hervor, so ein MI5-Offizier namens Ogilvie, “dass er es nicht mit der Kommunistischen Partei hält und sie nicht mit ihm.”

Ogilvie fragte telefonisch bei Ewings Einheit nach: Wie der Sergeant denn darauf komme, dass Orwells Ansichten “fortgeschritten kommunistisch” seien? Die Antwort eines Inspektors darauf: Ewing halte Orwell für einen “unorthodoxen Kommunisten.” Ogilvie notierte später, “der gute Sergeant” sei mit Orwells “eher individueller Haltung” wohl ziemlich überfordert gewesen.

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