Wenn Klassiker, dann so!
admin | Posted 12/09/2007 | Autoren | Keine Kommentare »
Wolfgang Matz
schreibt über Gustave Flaubert, Charles Baudelaire und Adalbert Stifter und das
Jahr 1857.
Warum Klassiker? heißt eine beliebte Frage. Woran macht man deren Status fest? An ihrer Existenz als langweilige Staubfänger im Regal?
Oder schlicht am Alter, zum Beispiel an exakt 150 Jahren? So wie bei Flauberts "Madame Bovary", Baudelaires "Blumen des Bösen" und Stifters "Der Nachsommer", die im April, Juni und Dezember 1857 erschienen?
Können aber Bücher weniger gemeinsam haben als diese drei, die Geschichte eines Ehebruchs, gereimte Lobgesänge auf Lust und Perversion und ein Erziehungsroman?
Können drei Bücher mehr gemein haben?, hält Wolfgang Matz dagegen.
Lektor in einem Buchverlag in München, in dem die Werke zahlreicher Literaturnobelpreisträger erscheinen, hat er vor zwölf Jahren eine Biographie Adalbert Stifters veröffentlicht, mehrere Jahre an französischen Hochschulen gelehrt und zudem französische Lyrik ins Deutsche übertragen.
Gegenstand seines neuen brillanten Buches "sind nicht einfach drei einzelne Figuren und drei einzelne Bücher, sein Gegenstand ist eine einzige, einmalige historische Konstellation, in der sich drei Figuren und ihre Bücher finden." Diese Konstellation ist die ungeheure Modernität, die analytische und erzählerische Schärfe dieser drei so unterschiedlichen Autoren, die den "ennui moderne", den Substanzverlust einer sich ökonomischen Gesetzen unterwerfenden Gesellschaft, ebenso aufzeigten wie eine aufgeschminkte egozentrische Romantik hohler Bürgerlichkeit.
Das Erschütternde an diesen drei Werken, das radikal Moderne, der Mehrwert an überzeitlicher Ästhetik beschreibt Matz so: "In dem Augenblick, da der Roman sich vollkommen neue, realistische Sujets zu erobern anschickt, regt sich ein tiefes Misstrauen gegenüber jedem Sujet, jeder bloßen Handlung, jedem realistisch aufgefassten Sachverhalt." Das ist genau der Punkt, der ihn interessiert und was er faszinierend und mit großer stilistischer Klarheit darlegt.
Elegant und lebendig geschrieben, mit kritischem Anspruch und fernab jeglichen Wälzens schwerfälliger oder unverständlicher akademischer Problemstellungen ist dies eine so beglückende wie buchstäblich aufklärerische Monographie. Am Ende stellt sich die Frage "Warum eigentlich noch Klassiker lesen?" ganz anders. Nämlich als Aufforderung: "Klassiker lesen!" Und zwar diese drei.
Zu Anfang seines Buches zitiert Matz den knapp siebzigjährigen Johann Wolfgang von Goethe, der Anfang März 1818 in einem Brief an seinen Freund Zelter über Stendhals von Goethe inspiriertes Buch "Rome, Naples et Florence, en 1817" meinte: "Man liest das Buch immer wieder mit neuem Vergnügen und möchte es stellenweis auswendig lernen." Dies gilt, Wort für Wort, auch für dieses Buch.
Das Buch:
Wolfgang Matz: 1857. Flaubert Baudelaire Stifter. S. Fischer Verlag, 2007.