Zum zwölfhundertsten Hotelzimmer

admin | Posted 21/09/2007 | Uncategorized | Keine Kommentare »

Das Hotel Waldhaus in Sils-Maria

Eine Ausstellung in Meran zeigt das Grand Hotel als Ort der Literatur und als literarischer Ort.

“Zwölfhundertstes Hotelzimmer – sei mir gegrüßt!”

Dass Dichter reisen, ist bekannt und nicht nur von individualbiographischem Interesse. Dabei müssen sie zwangsläufig Logis nehmen. Es gab einmal eine Zeit, wo Autorinnen und Autoren unterschiedlich lang Unterkunft nahmen in Hotels. Und zwar nicht nur in Absteigen, in Auberges espagnoles, Wirtshäusern oder in Pension Garnis. Sondern in Grand Hotels.

Manche ließen sich maßgeblich von diesen imposanten Palästen der Neuzeit anregen und siedelten dort gleich ihre Bücher an. Eines aus der Masse von Hotel-Büchern, das noch heute gelesen wird, ist beispielsweise Vicki Baums Roman “Menschen im Hotel”, das mehrfach mit höchst prominenter Besetzung verfilmt wurde. Ein anderes ist Arnold Bennetts “Grand Hotel Babylon”, ein drittes Thomas Manns “Felix Krull”. Andere Autoren wie Joseph Roth oder Klaus Mann, der Ende August 1931 das Gedicht “Gruß an das zwölfhunderstste Hotelzimmer” veröffentlichte, bewohnten fast ihr ganzes Leben lang Hotelzimmer. Als Klaus Mann sein Poem veröffentlichte, war er gerade einmal 24 Jahre alt. “Sei mir gegrüßt”, schrieb er damals, “mit mäßig gutem Bett, Spiegelschrank, / Kommode, wackligem Schreibtisch”.

Das Grand Hotel, der “Bürgertraum vom Adelsschloss”, wie es einmal treffend genannt wure, war Bühne, Gesellschaftsort, Fluchtpunkt der Anonymität. Hier wurde man gesehen, und selber konnte man beobachten und klassifizieren. Hier wurde Opulenz und Luxus in Fülle gefeiert. [pagebreak]

Zugleich war das Grand Hotel ein Hohetempel technologischer Innovationen, mit denen die Konkurrenz übertrumpft werden sollte. Lift, elektrische Beleuchtung oder Telefonanschluss im Zimmer führten Hoteliers mit als erste ein, waren diese doch ökonomische Pluspunkte. Vor allem war das Grand Hotel, und die Ausstellung im Schloss Trautmannsdorf am Ostrand Merans in Südtirol führt dies schön vor, Kreuzungspunkt diverser Leben, Schicksale und Charaktere. Es war Welt-Trichter und Welt im Haus. Anton Kuh zufolge war es Durchgangsraum für Passanten und Schicksale.

Schon vor knapp 80 Jahren beschrieb ein anderer Feuilletonist, der Berliner Hans Kafka, den Effekt der Raumwirkung und Rauminszenierung eines großstädtischen Grand Hotels beeindruckt so: “Man geht, durch eine Drehtüre, ein paar Schritt weiter. Da hat Berlin schon aufgehört. Man sieht mit eigenen Augen das kleine Modell so einer utopistischen Weltstadt, in der für Leute aus aller Herren Länder Speise, Trank, Erotik, Schlaf, Toilette, Arbeitsmöglichkeit, Lektüre und Vergnügen bereitgestellt ist, ohne dass sich auch nur ein einziger von den vielen Verschiedenen dabei ungewohnt fühlte.”

Reinhard Wittmann, der Organisator dieser Ausstellung, holte sich mit der in Zürich und Wien lehrenden Literaturwissenschaftlerin Cordula Seger die wohl profundeste Kennerin der Hotel-Literatur als Kuratorin an die Seite. In ihrer famosen Dissertation “Grand Hotel. Schauplatz der Literatur” (Böhlau Verlag, Köln 2005) durchstreifte Seger diese von der Zunft reiseunlustiger Germanisten sträflich vernachlässigten literaturarchäologischen Örtlichkeit kundig und neugierig.

Die klassischen Transitphasen Drehtür, Rezeption, Halle, Restaurant, Lift und Suite, allesamt mit unterschiedlichen Eigenschaften, von theatralischen bis zu erotisch-frivolen, in diversen Romanen ausgestattet, werden auch in der Ausstellung aufgegriffen. Manches wird hier mit einem schönen, kaum bekannten Stück illustriert, mit einem Brief Joseph Roths an Stefan Zweig etwa, der ebenfalls ein obsessiver Reisender war, mit Roths Manuskript von “Hotel Savoy”, mit alten Farbansichten, historischen Plakaten und diversen Objekten wie Reiseschreibmaschine, Mobiliar und ausgesuchten Zitaten. Die Erstausgabe von Marcel Prousts “Suche nach der verlorenen Zeit”, das nicht zuletzt auch eine Beschwörung großer Strandhotels an der französischen Atlantikküste ist, wird auf einem Silbertablett präsentiert,

Nach 1945 war die Zeit der Grand Hotels abgelaufen.

Prinzipien wie Wirtschaftlichkeit und Effektivität und damit zwangsläufig einhergehend eine stereotype Normierung, die in den 1950ern im Zuge der Ausbreitung globaler Hotelketten weltweit Einzug hielt, bereiteten dem verschwenderischen Charme der Luxusherbergen den Garaus. Noch wichtiger: Es fehlten die es tragenden gesellschaftlichen Schichten.

Dass ein Vladimir Nabokov nach dem Erscheinen von “Lolita” sich eine Suite im Montreux Palace am Genfer See leisten konnte, war kaum mehr als eine nostalgische Hommage an die eigene vornehme Kindheit in St. Petersburg. Erstellte doch dieser gelehrte Autor, “ein grauer, verschrobener alter Wortmann auf der Kante eines Hotelbetts”, wie er in “Ada oder Das Verlangen” schrieb, eine Beschreibung des Tagesablaufs: “6.30-10.30 h: VN trinkt Säfte, schreibt, im Bett, später am Stehpult.

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Titel:
Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche: Roman

ISBN-13:
9783462042351

Autor:
Alina Bronsky

Verlag:
Kiepenheuer & Witsch

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