Als Hitler noch Klein-Arturo war

admin | Posted 31/10/2007 | Autoren | Keine Kommentare »

Mit unverstelltem Blick berichtet der Katalane Eugeni Xammar aus dem Deutschland der Jahre 1922 bis 1924.

"Er empfängt uns in seinem Büro des
Völkischen Beobachters
. Er trägt einen Regenmantel mit aufgesticktem Hakenkreuz am Ärmel, nimmt die Mütze nicht ab und grüßt uns mit militärischem Hackenschlag. Alle Leute, die während unseres Gesprächs im Büro ein- und ausgehen, grüßen auf die gleiche Weise. Hitler bietet uns zwei Stühle an und legt sofort los: ‘Spanier, was? Zwei Spanier (…). Sehr schön, sehr schön. Zwei Spanier . . .’"

Das war Ende November 1923. Hitler gewährt dem katalanischen Korrespondenten Xammar und seinem Freund Josep Pla eines seiner schon damals äußerst seltenen Interviews. Wenige Monate zuvor waren aufgeregte Jungnazis durch die Straßen Münchens gerannt, alles verprügelnd, was auch nur annähernd nach Ausländern aussah. Hitler sagt dazu: "Den Spaniern stehen in Bayern alle Türen offen. Es sind die einzigen Ausländer, die das von sich behaupten können." Und fügt später hinzu: "Mit ihrer Nase wären Sie nicht davongekommen. Hätten Sie allerdings nach dem ersten Schlag gesagt, dass Sie Spanier sind, hätte niemand Ihnen einen zweiten versetzt . . ."

Im Verlauf des Gesprächs erläutert Hitler, den man sich als den Brechtschen Arturo Ui vorstellen muss, wie er mit den Juden verfahren will. Er bezeichnet den Vatikan als "Zentrum der internationalen jüdischen Verschwörung gegen die Befreiung der germanischen Rasse". Xammars Wertung des Gesprächs ist kaum nachvollziehbar, wenn nicht gar erschütternd. Er schreibt: "Er braucht nur zu reden, und schon bewundern wir ihn. Seine Ansichten über das Judenproblem sind klar und äußerst erheiternd."

Es war der letzte Bericht, den der weitgereiste kosmopolitische Liberale an seine Zeitung "La Veu de Catalunya" telegraphieren durfte. Xammar wurde von seiner Redaktion wegen des Artikels über Hitler nicht weiter beschäftigt. Seine totale Fehleinschätzung über Wesen, Wirken und Wollen des zukünftigen Diktators Hitler ist kein Einzelfall in seiner Berichterstattung über das Deutschland der Inflationsjahre. Und gerade dieser Umstand macht dieses kleine Buch umso lesenswerter; es verdeutlicht, dass selbst die aufgeklärtesten Geister die Zerstörungslust der Nazis nicht erkennen konnten – oder wollten.

Xammar, der 1888 in Barcelona geborene vielsprachige überzeugte Katalane, reist 1922 nach Berlin. Zunächst berichtet er über die wirtschaftliche, politische und finanzielle Lage. Als französische und belgische Truppen kurz darauf das Ruhrgebiet aufgrund mangelnder Reparationszahlungen besetzen, fährt er unter großen Schwierigkeiten nach Essen, Gelsenkirchen, Düsseldorf und Bochum. Hier entstehen großartige Reportagen, denn Xammar redet sowohl mit französischen Offizieren als auch deutschen Bergmännern und "unbedeutenden Leuten", die nolens volens den passiven Widerstand, zu dem Reichskanzler Wilhelm Cuno aufgerufen hatte, mittragen. Er berichtet von Kälte und Hunger, vom Hass auf die Besatzer, aber auch von schwachem Optimismus seitens der Bevölkerung. Und er versucht stets, beiden Seiten gerecht zu werden.

Manchmal lässt er sich zu einsetigen Wertungen hinreißen, doch das ist wohl auch der journalistischen Form geschuldet, die damals noch weniger streng zwischen Berichterstattung und Kommentar unterschied. Dennoch: Eugeni Xammars Artikel bilden ein sorgfältig ausgegrabenes Zeitzeugnis, dessen Lektüre jedem empfohlen sei, der sich für die Geburtswehen der jungen Weimarer Republik interessiert.

Eugeni Xammar: Das Schlangenei, Berenberg, 180 Seiten, 21,50

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