Das Volk zum Sprechen gebracht
admin | Posted 06/10/2007 | Autoren | Keine Kommentare »
Walter Kempowski erlag gestern 78-jährig seinem
Krebsleiden. Der Rostocker zählte zu den meistgelesenen Gegenwartsautoren.
Für den deutschen Bundespräsidenten Horst Köhler war er
einer der bedeutendsten Schriftsteller Deutschlands. Diese Einschätzung kommt
nicht von ungefähr. 1980 gründete Kempowski sein viel beachtetes
zeitgeschichtliches "Archiv für unpublizierte Autobiografien", für
das er Tagebücher, Briefe und Fotos sammelte – eine einzigartige Sammlung deutscher
Lebenswege.
Kempowski wurde am 29. April 1929 als Sohn eines
Schiffsmaklers und Reeders in Rostock geboren. Im Herbst des Kriegsjahres 1944
wurde er in eine Strafeinheit der Hitlerjugend eingewiesen. Im Sommer 1948
verurteilte ein sowjetisches Militärtribunal Kempowski und seinen Bruder wegen
Spionage zu 25 Jahren Arbeitslager – der damals 19-Jährige kam ins Zuchthaus Bautzen.
Nach seiner vorzeitigen Haftentlassung 1956 holte Kempowski in Göttingen das
Abitur nach und studierte an der dortigen Pädagogischen Hochschule.
Von 1960 an arbeitete er als Lehrer, widmete sich jedoch
bereits nebenbei dem Schreiben. Sein literarisches Debüt gab er 1969 mit dem
Werk "Im Block", 1971 folgte der Roman "Tadellöser &
Wolff", der vier Jahre später für das ZDF verfilmt wurde und die Jugend
des Autors in der NS-Zeit und während des Zweiten Weltkrieges schildert. "Tadellöser
& Wolff" war der erste Band der "Deutschen Chronik"
Kempowskis, die er 1984 mit "Herzlich Willkommen" abschloss. Auch für
sein in den 1990er Jahren erschienenes zehnbändiges Werk "Echolot"
erntete der Schriftsteller internationale Anerkennung.
Kempowski erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter den
Literaturpreis der Konrad-Adenauer-Stiftung, den Uwe-Johnson-Preis und das
Große Bundesverdienstkreuz. Der Autor war seit 1960 mit der Lehrerin Hildegard
Janssen verheiratet. Der Verstorbene hinterlasse "ein großartiges und
bleibendes Werk", so Köhler. Kempowski habe wie kein anderer "das
Volk selbst zum Sprechen gebracht".
Die Berliner Akademie der Künste, der Kempowski 2005 sein Archiv
anvertraut hatte, nannte den Verstorbenen den "großen Chronisten der
Deutschen im 20. Jahrhundert". Auch Kulturstaatssekretär Bernd Naumann
würdigte Kempowski als "einen der präzisesten und einfühlsamsten
Chronisten deutscher Geschichte und deutscher Befindlichkeit". (APA/AFP)