Ins Delta, aus dem Delta

admin | Posted 15/10/2007 | Belletristik | Keine Kommentare »

Kurt Lanthaler

Kurt Lanthalers neuer brillanter Roman spielt im Po-Delta

Nach vielen Jahren ist er zurückgekehrt, das einstige Findelkind, dessen richtigen Namen niemand weiß. Genauso wenig wie sein genaues Geburtsdatum.

Zurückgekehrt ist er nach vier Jahrzehnten ins Po-Delta, jene Landschaft mit archaischen Zügen. Einst bevölkert von Einzelgängern, Schiffern, Wilderern, rauhen Gestalten, die am Rande der Zivilisation mühsam überlebten.

Dieser Fedele Conte Mamai macht sich, ein zweiter Marcel Proust, auf, die verlorene Zeit wiederzufinden. Allerdings mit Nahrhafterem als Lindenblütentee und Gebäck. Nämlich mit italienischen Delikatessen wie Baccalà und Babà, mit Bresáola und Bottárga.

Den sprechenden Namen “Fedele Conte Mamai” erhielt, erfährt man im Laufe des neuen Romans des Südtirolers Kurt Lanthaler, die Hauptfigur sukzessive. “Treu”, also Fedele, nennt ihn Bombolo, der dicke, runde, schweigsame Schiffer, seitdem der Junge über Bord fiel und sich treu ans entgegengestreckte Tau klammerte. Und “Conte Mamai” heißt der Protagonist seit einer Arbeitsepisode in einem Zirkus, als er auf ein Angebot ablehnend “Mit dir? Nie im Leben!” antwortete, auf Italienisch “Con te, ma mai!”.

“Das Delta” präsentiert eine ganz außergewöhnliche Geschichte, die der heute in Berlin und Zürich lebende, in Bozen geborene Kurt Lanthaler in seinem neuen Roman erzählt.

Felide Conte Mamai spiegelt in seinem Erinnerungsmonolog, den Lanthaler in einem sehr biegsamen, hoch melodischen, dem Umgangssprachlichen unerhört präzis abgehörtem Idiom ablaufen lässt, 60 Jahre Geschichte. Jahre des Lebens im Delta des Flusses Po, ausgesetzt den Naturgewalten und Überschwemmungen, kämpfend mit Armut, mit Behördenwillkür, mit Aalen und auch mit technologischen Großprojekten, die unterfinanziert sind, letztlich aber die Existenz der Alteingesessenen und ihre Kultur nachhaltig unterminieren.

Dieser Ich-Erzähler wird als Waisenkind von einem einzelgängerischen Flussschiffer aus dem Wasser gefischt, wächst bei ihm auf, entflieht als Jugendlicher dem Delta, schlägt sich als Handlanger und Arbeiter in Norditalien durch, holt dann auf einer Genueser Abendschule das Abitur nach, studiert Ingenieurwissenschaften. Doch nach zehn Jahren und zahlreichen Erfahrungen wie Ernüchterungen gibt er diesen Beruf auf für ein ruheloses, körperlich durchaus anstrengendes Leben von der Hand in den Mund, das aber innerlich erfüllend ist, mit Stationen kreuz und quer in Italien. Bevor es ihn dann schließlich doch wieder ins Delta zieht.

Wo er – nach einem rasanten Zwischenspiel, als ein Polizeikommando den auf dem Bahnhof Wartenden für einen Terroristen und seinen mit Nahrung gefüllten Koffer für eine Bombe hält – ein Loblied auf den Genuss anstimmt, auf Essen und Trinken.

Und so ist es alles andere als ein dramaturgischer Zufall, dass man Fedele am Ende in einer Küche stehen sieht, wo er Gemüse klein schneidet, Fleisch würfelt, ja ganze Kräuterberge klein hackt.

Das ist hinreißend in vielen, kurzen scharf skizzierten Szenen erzählt. Mit großer Sinnlichkeit und einem Sinn für Rhythmus, Beschleunigung und Musikalität, mit lustvoll linguistischen Variationen.

Der Schriftsteller Hermann Burger gewann einst mit einer Erzählung den Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb. Die Prosa dieses Schweizer Autors war raffiniert auf das Vorgelesenwerden hin geschrieben. Auch Kurt Lanthalers Roman dürfte mit seiner Funken schlagenden Wendigkeit und seinen wie mit dem Ohr geschriebenen Sätzen als Rezitation eine durchschlagende und betörende Wirkung beim Publikum erzielen. Es ins Staunen bringen.

Für die Veranstalter einer “Delta”-Lesung dürfte eine anschließende Bewirtung Pflicht sein, selbstredend mit Baccalà und Babà, mit Bresáola und Bottárga.


Das Buch:


Kurt Lanthaler: Das Delta. Roman. Haymon Verlag, Innsbruck und Wien 2007



Nächste Lesungen Kurt Lanthalers:


16.10., 20 h, Kaltern – Drescherkeller

17.10., 20 h, Völs – Gaststätte Kluntz

18.10., 20 h, Zirl – Bibliothek

19.10., 20 h, Brixen – Finsterwirt

26.10., 20 h, Meran – Theater in der Altstadt

29.10., 20 h, Bozen – Galerie Prisma

31.10., 20 h, Gossensass – Theatersaal


Share and Enjoy:
  • Print
  • Digg
  • Sphinn
  • del.icio.us
  • Yahoo! Bookmarks
  • Facebook
  • Mixx
  • Google Bookmarks
  • Blogplay
  • LinkedIn
  • StumbleUpon
  • Twitter
  • RSS

Kommentar verfassen

Connect with Facebook

Leseprobe

Related Posts

  • No Related Post