Wenn der Krug bricht
admin | Posted 18/10/2007 | Krimis | Keine Kommentare »
Der sehr gelungene Auftaktband um den Hobbyermittler Fredrik Drum, der um Wein kreist.
St. Emilion. Das ist Wein, Wein und nochmals Wein. Deshalb ist auch Fredrik Drum aus Oslo in diesem französischen Ort. Um nämlich für das kleine, guten Gewinn abwerfende Restaurant “Kasserolle”, an dem er als Partner beteiligt ist, Wein zu degustieren und zu ordern.
Der Anfangdreißiger ist schon ziemlich viel in der Welt herumgekommen und hat nicht umsonst den Spitznamen “Pilger” angehängt bekommen. Sein besonderes Steckenpferd ist die Entzifferung mysteriöser Sprachen, wie beispielsweise des kretischen Linear B.
Doch das südfranzösische St. Emilion ist keineswegs so friedlich, wie er es erwartet hat. In den Wochen vor seinem Aufenthalt sind sieben Menschen spurlos verschwunden, Die polizeilichen Ermittlungen sind mittlerweile versandet, weil es nicht eine einzige Querverbindung zwischen den Vermissten gibt. Was hat es mit dieser Serie auf sich?
Drum wird in die Recherche buchstäblich hineingezogen. Denn auf dem Weg zu einem Winzerchateau fällt er im Wald unvermutet in ein Loch, erstickt fast, fällt metertief in eine unterirdische Höhle, aus der er sich nur unter allergrößten Mühen befreien kann. Zufall, dass das Richtungsschild so verstellt wurde, so dass er in die Irre gehen und in jenes Loch fallen musste ?
Einige Tage später wird er einen Aussichtspunkt hinuntergestoßen. Wiederum entkommt er dem Tod nur um Haaresbreite. Und wird selber verdächtigt, der Urheber der die kleine Kommune verunsichernden offensichtlichen Verbrechen zu sein. Und dann wird er eines Nachts, nach einem Rendezvous mit einer attraktiven jungen Apothekerin, mitten auf dem Marktplatz brutal niedergeschlagen.
Jemand scheint ihn genau zu überwachen. Jemand verfolgt jeden seiner Schritte, nur warum? Und wer kann es sein, da doch Fredrik Drum bisher im Ort nur oberflächliche Fachgespräche mit den diversen Winzern geführt hat? Vielleicht dieser suspekte Engländer mit dem sprechenden Namen Nigel Merlot, der amerikanische Investoren anlockt und auch in illegale Aktivitäten bezüglich alter Knochenfunde verwickelt zu sein scheint? Oder doch nicht?
Und dann verschwindet überdies noch die junge Französin, mit der er zarte amouröse Bande geknüpft hat.
Bis am Ende der Freizeitermittler nach hartem körperlichem Einsatz einen buchstäblich teuflischen Plan aufdeckt, der zurück nach Oslo verweist, auf einer alten Vendetta gründet und eine abscheuliche Ökonomisierung, ja geradezu eine Schändung des Weins aus St. Emilion aufzeigt.
Der 61-jährige Gert Nygårdshaug ist in seiner Heimat Norwegen ein hoch geschätzter und auch erfolgreicher Autor. Sein Roman "Mengele Zoo" wurde diesen Sommer zum besten norwegischen Roman aller Zeiten gewählt.
Dass nun der erste Band um Fredrik Drum, der schon aus dem Jahr 1993 datiert und 1984 spielt, erst jetzt stilsicher ins Deutsche übersetzt worden ist, spricht gegen die Akquisepolitik der großen Verlage. Doch diese scheinen eher dunkel-melancholische Polizeithriller oder die blutigen Romane des anderen namhaften norwegischen Autors Jo Nesbø zu präferieren. Der überaus sympathische Freizeitermittler und Wein-und-Essen-Aficionado Fredrik Drum erscheint verglichen damit als anachronistische und deshalb höchst sympathische Figur. Nygårdshaug gelingt ein überdurchschnittlich intelligent gebauter, klug durchdachter Roman, dessen anfangs aufgenommene Stränge, Wein aus Frankreich und die untergegangene minoische Kultur, schön zusammengeführt werden.
Außerdem ist nicht genug zu loben, dass der kleine Stegemann Verlag ein typographisch vorbildlich gestaltetes Buch mit einer höchst angenehm zu lesenden Schrift, gedruckt auf gutes Papier, vorlegt. Das Warten auf die weiteren neun Abenteuer um und mit Fredrik Drum lohnt sich ohne Zweifel (der zweite Band erscheint dieser Tage ebenfalls im Stegemann Verlag). Das Einzige, was der Rezensent noch gymnastisch zu lösen hat, ist allerdings etwas, was die chemische Reinigung betrifft: wie das Buch mit der rechten Hand umblättern, wenn die linke das Weinglas mit einem Tropfen aus St. Emilion hält, ohne ein weiteres Mal den Wein zu verschütten?
Das Buch:
Gert Nygårdshaug: Der Honigkrug. Aus dem Norwegischen von Andrea Dobrowolski. Stegemann Verlag, 2007