Lass Krachen!
admin | Posted 23/11/2007 | Belletristik | Keine Kommentare »
In “Fight Club” trafen Fäuste aufeinander, in “das Kainsmal ” kollidieren Autos – Chuck Palahniuk hat eine Vorliebe für nicht alltägliche Freizeitbeschäftigungen. Seite 4 sprach mit dem Kultautor aus den USA über seine bizarren Romane.
Geschichtensammler – das ist wohl die Bezeichnung, die Chuck Palahniuk (sein Nachname wird Poolänik ausgesprochen) am liebsten ist: “Ich bin weniger ein Erfinder als ein Journalist, der sammelt”, sagt er. Dabei gilt er seit 1996, als sein Roman “Fight Club” erschien, als Skandalautor, der bizarre und eher unglaublich erscheinende Geschichten erzählt und sämtliche
Grenzen nicht nur ignoriert, sondern genüsslich überschreitet. Vor allem die des guten Geschmacks. Sein erstes Manuskript, “Invisible Monsters”, das er während seiner Arbeitszeit als Mechaniker schrieb (“daher auch meine kurzen Sätze”), brachte zwar Verleger zum Lachen. Doch die Beschreibung eines Erntedankfestes, an dem Kulinarisches detailreich mit höchst ausgefallenen Sexualtechniken zusammengeführt wird, ließ sie vor einer Veröffentlichung zurückschrecken.
“Es ist nicht meine Aufgabe, etwas zu erfinden, sondern aufmerksam zu sein”, sagt Palahniuk. Und so recherchiert er so aufmerksam, wie er sich im Gespräch gibt, und sehr gründlich Abwegiges, exzentrische Verhaltensweisen und bizarre Handlungen. Dabei erscheint seinem Publikum gerade dieses Bizarre als erfunden, weil schier unglaublich – und doch basiert es
auf Tatsachen. Die Selbsthilfegruppen in “Fight Club” kennt er aus eigener Anschauung, weil er als freiwilliger Fahrer für ein Sterbehospiz Patienten begleitete. Und für “Das Kainsmal” hat er eine winzige Gemeinschaft in San Francisco ausfindig gemacht, die tatsächlich das organisiert, was im Roman ein zentrales Motiv darstellt: “Party-Crashing”, rituelles Unfallfahren in
Hochzeitskleidung.
Dass vieles biographisch ist, liegt bei seiner Familiengeschichte nahe. Sein Grossvater lief Amok und tötete seine Ehefrau. Der vierjährige Sohn, Chucks Vater Fred, überlebte knapp. Vor sechs Jahren wurde er mit seiner Geliebten von ihrem Ehemann ermordet, der die Leichen mit Benzin übergoss und anzündete. Später fand Chuck Palahniuk seinen eigenen Namen
auf einer Liste des inzwischen gefassten Täters. Dieser wartet heute in der Todeszelle eines amerikanischen Gefängnisses auf seine Hinrichtung. Palahniuk hatte während des Prozesses für die Todesstrafe plädiert. Das würde er heute, gesteht er, nicht mehr machen.
Ist ihm jemals etwas als zu extrem vorgekommen, um es zu verwenden? “Nein. Ich habe Ideen fallen gelassen, aber nicht, weil sie so extrem waren, sondern weil ich dafür nicht die richtige, charmante, clevere Erzählform hatte.” Charmant und clever, das sind auch die Lesungen Chuck Palahniuks – die eher Spektakel sind. In den USA wurde er während Lesungen mehrfach mit Tierkadavern beworfen. Oft tauchen die Besucher verkleidet auf, bei der “Kainsmal”-Tour zum Beispiel als Braut, um der Bewegung der Party-Crasher in diesem
“Science-Fantasy-Roman” um eine mysteriöse, eine Epidemie verbreitende Hauptfigur namens Buster Casey – zwei weitere Bücher mit bzw. um ihn sollen folgen – Reverenz zu erweisen. Für viele ist ein Abend mit Chuck Palahniuk die erste Autorenlesung, die sie erleben, erzählt er. Wenn man sich bei ihr langweile, gehe man zu keiner weiteren. “Ich will, dass ihre erste
Lesung spektakulär ist und lustig und schockierend und anregend. Alles, außer langweilig.”
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Die etwas andere Lesung
So bietet er nicht nur eine Rezitation und das obligatorische Frage-Antwort-Spiel. Vielmehr bekommt jeder, der ihm am Leseabend eine Frage stellt, von Palahniuk eine an ihn adressierte Karte, die man, trägt man die eigene Adresse ein, an ihn schicken kann. Um dann von einem Paket überrascht zu werden, dessen Inhalt garantiert skurril ist, gehört doch ein großes Spielwarengeschäft in seiner Heimatstadt Portland, Oregon, zu Palahniuks Lieblingsorten. Einmal, erzählt er, verteilte er riesige aufblasbare Elchköpfe. Und “am Schluss warf ich falsche Arme und falsche Beine und riesige Hamburger aus Gummi ins Publikum. Die Leute sprangen auf, versuchten sie zu fangen, schrien und brüllten.”
Chuck Palahniuk, der selbst nur in Bibliotheken, nie im Internet recherchiert, zählt wohl zu den bestdokumentierten Autoren der Gegenwart. Auch und erst recht im Internet. Dabei hat er bisher nur sehr selten die zahlreichen, ihm gewidmeten Fanwebsites besucht oder die Filme auf youtube angesehen. “Das nützt alles meinem Schreiben nicht. Entweder macht es mich
wütend oder es gefällt mir zu sehr. Und keiner dieser beiden Zustände hilft mir wirklich. Deshalb ignoriere ich sie.” Derzeit schliesst er die Arbeit an seinem neuen Roman ab. Wie stets präsentiert er ihn zuerst in seinem Workshop, einem Kreis enger, langjähriger Freunde, alle Schriftsteller, die sich jeden Montagabend treffen, sich gegenseitig Texte vorlesen und diese
kritisieren. Kritisieren im Sinne von: “Lass die Hände davon”? Nein, sagt Palahniuk. “Denn um zu sagen, warum etwas nicht funktioniert, muss jeder einen Vorschlag machen, wie etwas besser gemacht werden kann. Besser formuliert werden kann. Und deshalb wird, wenn jemand kritisiert, die Idee nur besser beziehungsweise bleibt am Leben. Ich bekomme einen
neuen, frischen Zugang, eine neue, frische Perspektive auf meinen Text.” Eigentlich schreibe er nur für sich und für den Workshop. Und beide will er überraschen, schockieren, unterhalten.
Von einem Roman zum NächstenDiese Arbeitsweise ist allerdings nicht der Grund dafür oder jedenfalls nicht der einzige, dass seine Produktivität keine Krisen zu kennen scheint. Palahniuk erklärt es so: “Hat Ihr Vater einmal mit Ihnen ein offenes Gespräch über Sex geführt? Über Bienen und Blumen? Nein? Meiner auch nicht. Aber er hat mich und meinen Bruder aufs Sofa gesetzt und uns gesagt: