Unmoralisch!

admin | Posted 12/11/2007 | Krimis | Keine Kommentare »

Brian Freeman


Ich habe die Zukunft des Kriminalromans gesehen – sie heißt Brian Freeman!

Es ist wahrhaftig erstaunlich.

Da legt ein 1963 geborener Journalist, vormaliger Kommunikationsstratege und PR-Spezialist aus dem US-Bundesstaat Minnesota im stolzen Alter von 42 Jahren sein Buchdebüt vor – und wird von der ansonsten eifrig aus Island oder Schweden so ziemlich alles postwendend übersetzenden deutschen Krimibuchverlagsszene gründlich übersehen.

So gründlich, dass Brian Freemans Roman “Immoral”, mit geradezu unmoralischer zweijähriger Verspätung, in deutscher Übersetzung und mit grotesk dummem Klappenwerbetext, erst jetzt herauskommt.

Dabei zierten die US-amerikanische Erstausgabe auf der Rückseite des Schutzumschlages lobende Stimmen von niemand anderen denn Michael Connelly, Jeffery Deaver und Ken Bruen.

Und für “Immoral”, das in der deutschen Übersetzung den unsinnigen Titel “Doppelmord” trägt – pikanterweise haben alle Übertragungen in die anderen 16 Sprachen, in denen es bisher erschien, die Unmoral beibehalten, selbst die deutsche Buchklubausgabe heißt bündig “Unmoralisch” – wurde Freeman nominiert für den Macavity Award for Best First Novel. Und kam, als Debütant!, in die Endrunde von gleich, man höre und staune, der Edgar, Dagger, Anthony und Barry Awards, den höchsten Auszeichnungen im Genre MTE (Mord, Totschlag und Ermittlung) in den USA.

In angemessen lakonischer Kürze lässt sich Folgendes sagen: dies alles vollkommen zu Recht.

Denn auf der letzten der 544 Seiten von “Doppelmord” angekommen, lautet der einzig mögliche Satz: Ich habe die Zukunft des Kriminalromans gesehen – und sie heißt Brian Freeman.

Denn was als Vermisstensuche beginnt, dann zum Gerichtsthriller wird und schließlich zu einer rassigen Polizeiuntersuchung mutiert, ist erstklassig konstruiert, äußerst spannend geschrieben, mit hochgradig begnadeten, witzigen Dialogen versehen und mit glaubwürdigen, glaubwürdig gebrochenen, entwicklungsstarken Charakteren ausgestattet und wartet bis zum Finale mit unerwarteten, aber stets logisch motivierten Wendungen auf.

Duluth, Minnesota. Eine unauffällige Stadt. Eigentlich. Doch nachdem die siebzehnjährige Rachel im tiefsten Winter verschwunden ist, ist kaum mehr etwas so wie gewohnt. Auch für den ermittelnden Detective Jonathan Stride, der noch immer nicht über den zwölf Monate zurückliegenden Krebstod seiner Frau hinweggekommen ist. Mit seiner Kollegin, der chinesischstämmigen, gerade einmal 1,50 Meter großen Maggie Bei, hat er allerdings eine scharfsinnige Kollegin an seiner Seite. Gemeinsam führen die Spuren sie mitten hinein in die zerrüttete Familie.

Und zurück in die Vergangenheit.

Denn anderthalb Jahre zuvor verschwand auf ganz ähnliche Weise ein genau so altes Mädchen.

Hängen die beiden Fälle zusammen? Was vermögen die Funde an einem beliebten Liebestreff auszusagen? Und wie vertrauenswürdig sind die verhörten Mitschüler, Lehrer, Rachels Tochter und ihr Stiefvater, in dessen Wagen Blutspuren gefunden werden, die von Rachel stammen, und auf seinem PC ein erotisches Foto Rachels sowie jede Menge Anrufe bei Sexhotlines auf seiner Telefonrechnung?

All das führt zu einer Anklage, in deren Verlauf sich vieles als anders denn von Staatsanwalt und vor allem vom sympathischen, skrupulösen Stride, der kurz zuvor eine neue Beziehung mit der Lehrerin Andrea begann, und der über ein scharfes Mundwerk verfügenden Bei erwartet erweist. Und dessen Ausgang wiederum ein ganz anderer ist, als es selbst der abgebrühte Strafverteidiger einkalkuliert hat.

Drei Jahre später führt der Fund einer Leiche in der Wüste nahe Las Vegas dazu, dass sich diese Ermittlung mit den mittlerweile abgekühlten Akten Strides kreuzt und überlagert. Und zu ganz neuen Erkenntnissen führt. Letztlich zu einer abgefeimten, buchstäblich höllischen Regie jenseits jeder Moral. Und Stride, dessen Ehe mit Andrea vor dem Ende steht, eine neue Liebe in Gestalt der betörenden Serena Dial beschert.

Das ist bestechend klar erzählt. Wenn auch in den ersten zwei Dritteln des Romans an einigen, seltenen Stellen sich gewisse dramaturgische Schwierigkeiten hinsichtlich des Erzähltempos einstellen, so nimmt das Buch am Schluss so viel Fahrt auf, dass man nur noch staunend davor steht und sich nicht länger wundert, wieso sich Großmeister der psychologischen Charakterführung wie Connelly oder ausgekochte
Masterplotter
wie Deaver sich derart lobend über Freeman ausließen. Und sich jüngst in die Schar der Freeman-Bewunderer Nelson DeMille eingereiht hat.

Jetzt muss der Hoffmann und Campe Verlag nur noch mitziehen. Und die mittlerweile zwei weiteren Bücher mit und um Jonathan Stride und Serena Dial “Stripped” (2006) und das vor wenigen Wochen erschienene “Stalked” so rasch wie möglich übersetzen lassen.



Das Buch:


Brian Freeman: Doppelmord. Aus dem Amerikanischen von Tanja Handels. Hoffmann und Campe Verlag, 2007

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