Verliebte Feinde

admin | Posted 03/11/2007 | Autoren | Keine Kommentare »

Peter und Iris von Roten


Wilfried Meichtry macht eine Liebesbeziehung und ein Teil der
kulturellen Zeitgeschichte in der Schweiz auf über 400 Seiten
zugänglich. Durch Iris und Peter von Roten.




Manchmal scheint die Frage schon berechtigt; nämlich ob heute solche
Lebensgänge noch möglich sind. Existenzen, die zwischen
gesellschaftlichem Anliegen, kämpferischem Engagement, großer Liebe mit
gegenseitiger Toleranz und intellektueller Ausdruckskraft bewegen. Oder
befinden wir uns bereits inmitten ersten Verklärungen?

Wilfried Meichtry schrieb keine literarische Laudatio einer
Persönlchkeit. Er schrieb ein Buch, das – engebettet im Zeitgeist – die
Monografie einer Beziehung wiedergibt. Die Rede ist von der Liebe
zwischen Iris und Peter von Roten. Im Ankündigungstext des Verlages
wird eine Art schweizerische Version von Jean-Paul Sartre und Simone de
Beauvoir versprochen. In der Tat, fanden sich zwei Geister, wie sie
gegenteiliger nicht sein könnten, müsste man auf Anhieb denken. Eine
Liebe trotz unterschiedlichsten Weltanschauungen. Sie, die Feministin,
die Entdeckungsgierige und absolut Autonome und er, der Katholik und
konservative Politiker. Und doch waren sie es nicht, zwei völlig andere
Welten. Denn eine militante Frauenrechtlerin hätte ihre Mühe mit einem
Partner aus erzkatholischem Kreis. Oder ein fundamentaler
Kirchengetreuer hätte sich nicht mit einer radikalen Frauenrechtlerin
eingelassen. Entweder war ihre Gesinnung doch nicht allzu extrem
ausgeprägt oder die Liebe war stärker als alles Denken. Nun,
anscheinend lösten sie diese Diskrepanz durch die Zulassung des
gegenseitigen Freiraums, was sexuelle, politische oder ökonomische
Bereiche angeht. Vielleicht ließen die Restunsicherheiten seines
Glaubens und ihres Agnostizimus’ zu, eine solche Verbindung leben zu
können. Oder die Gegenwelten füllten die noch offenen Nischen des
anderen.


Literarische Annäherung

Auf diese und andere Spuren ging der Historiker Wilfried Meichtry. Das
bedeutete Arbeit, denn immerhin schrieben sich Iris und Peter von Roten
rund 1500 Briefe. Ein beachtlicher Schatz von Daten, aus denen nicht
nur ein Bild zweier Menschen generieren lässt, sondern ein Bild der
50er Jahre unseres vorigen Jahrhunderts. Laut Meichtry handelt sich
sein Buch um einen "Versuch einer Annäherung". Das menschliche
Naturelle habe was "Zersplittertes, Wiedersprüchliches und Wandelbares"
und deshalb ist eine wissenschaftliche Aufarbeitung der beiden Leben im
eigentlichen Wortsinn nicht möglich. Aber möglich machte Meichtry einen
Lesegenuss. Die literarische Einkreisung zweier Menschen, mit ihren
Anliegen und Nöten gelingt mit einer hochanzrechnenden Einfühlsamkeit
wobei auch das damals aktuelle Umfeld trefflich zum Zug kommt.


"Anstandswauwau"

Als Beispiel sei Peter von Rotens Lebenslust in jungen Jahren genannt.
Seine Mutter beobachtete sein unverkrampftes Verhältnis zu Damen und
sah sich genötigt, ihn zu ermahen. Es kam soweit, dass eine Skitour
zusammen mit Martina von Erlach im Silvester 1938 nur in Begleitung
seines älteren Bruders als Aufpasser möglich war. Nach Abschluss des
Studiums zog Peter von Roten nach Raron (Kanton Wallis) zurück und um
neue Konfrontationen zu vermeiden, verzichtete er auf Damenbesuch. Eine
Situation, die den jungen Juristen quälte und ihn an seine
Liebesfähigkeit zweifeln ließ. Das Buch schildert behutsam erzählerisch
und durchsetzt mit Texten aus Tagebüchern und Briefen, wie Leben und
Streben eigentlich Stoffe sind, aus der Literatur entsteht. Somit muss
auch bei diesem Buch wieder einmal mehr die Frage gestellt werden, wie
streng Biografien und Literatur als Gattung zu trennen seien.


Verwandte Bücher

Flankierend zu dieser lesenswerten Neuerscheinung müssen auch noch
andere Bücher wieder aus den Regalen genommen werden. Da wäre zum
Beispiel die Biografie von
Barbara Kopp
über
Gertrud Heinzelmann
. Eine
Kämpferin für die Sache der Frau, die mit ihrer Forderung beim Vatikan
nach Priesterinnen für Häme in der in- und ausländischen Presse sorgte.
Oder die Geschichte über die Freundschaft zwischen
Meta von Salis
und
Friedrich Nietzsche von
Brigitta Klaas Meilier.
Meta von Salis ist
mütterlicherseits verwandt mit Iris von Roten und die erste promovierte
Historikerin der Schweiz. Auch wenn von Salis für die
Gleichberechtigung kämpfte, gelang ihr noch nicht dem berühmten
"Laufgitter" zu entfliehen. Möglicherweise ein Mitgrund für das
berühmte Buch "Frauen im Laufgitter" von Iris von Roten? Zu guter Letzt
sei auf das neue Buch von
Linda Stibler
hingewiesen:
"Das
Geburtsverhör"
. Ein Aspekt der Frauen- respektive Menschenrechte, der
vielfältig tabuisiert wird; das Verhör von Frauen während der
Geburtsschmerzen über die Ursache des Kindes. Ein barbarischer Akt, der
jegliches ethische Empfinden verletzt, ob im männlichen oder weiblichen
Herz und Gehirn.

"Verliebte Feinde" wird mit Sicherheit neue Aspekte der Geschichte
zwischen Frau und Mann oder schlicht der Kultur- und
Menschheitsgeschichte eröffnen. Allerdings muss damit gerechnet werden,
dass solche Schatzheber literaturgeschichtlich wohl bald der
Vergangenheit angehören werden. Oder wissen wir von Leuten, die ihre
Email-Korrespondenz ähnlich wohl formulieren und gar ausdrucken um es
der interessierten Nachwelt überlassen zu wollen?




Urs Heinz Aerni

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