Ein Ball, der in die Kreuzecke zischt …
admin | Posted 11/02/2008 | Autoren | Keine Kommentare »
Der österreichische Autor Egyd Gstättner hat die
EURO 2008 bereits angepfiffen – zumindest in seinem jüngsten Buch "Feine
Fallrückzieher". Darin rechnet er mit gnadenlos ironischem Blick mit der Welt
des Fußballs ab – und preist ihre durchdringende Schönheit. Egyd Gstättner im
Interview mit
Seite 4.
Herr Gstättner, was ist für Sie das Faszinierende am Fußballsport?
Fußball ist ein Spiegelbild des
Lebens, des öffentlichen und privaten Lebens. Fußball ist der letzte Rest an
Kindheit, den man sich erhalten kann, letztlich einer der wenigen Bereiche im
Leben, in dem man Kind bleiben darf. Der Fußball bewahrt die Bilder meiner
Kindheit, zumal sich das Spiel selbst ja nicht verändert hat: Zwei Mannschaften
treten mit einem Ball gegeneinander an. Ich erinnere mich aber darüber hinaus,
welche Qual es für meinen Vater war, auf mein Flehen und Drängen hin an einem
Fußballplatz nicht einfach vorbeizufahren, sondern für ein paar Minuten anzuhalten
und zuzusehen. Für ihn war Fußball das Letzte.
Ihr Blick auf den Fußball ist
dennoch kritisch und vor allem satirisch. Was gibt es Ihrer Meinung nach am
Fußballsport auszusetzen?
Der Fußball wird vereinnahmt. Das wurde er vermutlich
immer, aber doch unter Einhaltung gewisser Regeln. Das Großkapital vereinnahmt
ihn, verlangt aber einen mörderischen Preis. Der Fußball gibt sein Wesen auf, vor
allem aber seine Identifikations- und Stellvertreteraufgabe. Ein Spieler spielte
für Generationen und Jahrzehnte in der Regel für einen Ort, für eine
Gemeinschaft, aus der er im Idealfall auch kam. Er ist ein Beispiel dafür, was
aus einem werden kann. Unsere Gesellschaft leidet unter einer
Entsolidarisierung, der Mensch ist des Menschen nicht einmal mehr Feind,
sondern einander gleichgültig. Genau das transportiert der Fußball gegenwärtig auch:
Solidaritäten, Identitäten, Identifikationen hören auf. Früher hieß es: "Alle
für einen, einer für alle" oder "Elf Freunde müsst ihr sein". Eine aktuelle
Geschichte meines Schweizer Schriftstellerkollegen Richard Reich trägt den
treffenden Titel "Elf Fremde müsst ihr sein!" Ersetzt werden lokale, regionale
oder nationale Stellvertreterfunktion durch die Anbetung von Konzernen – wobei
ich nicht prinzipiell gegen Konzerne bin. Ich bin froh, dass wir nicht in Armut
leben. Mäzene hat es immer gegeben, die haben sich aber eher als Förderer und
gute Onkel verstanden, nicht als beinharte Profiteure und ungenierte Exekutoren
des Leitsatzes: Wer das Geld hat, macht die Regel. Auch sie haben vielleicht
schon immer eine Strategie verfolgt: Wenn man den Menschen zeigt, dass man mit
ihnen ist, machen sie keine Revolution. Früher waren es Brot und Spiele, heute
ist es warmes Buffet und schwaches Spiel.
Es geht in Ihrem Buch also um
viel mehr als nur Fußball. Sie betrachten diesen Sport im Kontext unseres
Alltags, der internationalen Verständigung etc. Was bedeutet eine Fußball-Euro
für Österreich, wenn man über die Grenzen des Sports hinausdenkt?
Auf jeden Fall eine nicht wiederkehrende Möglichkeit der
Selbstdarstellung in ganz Europa. Österreich wird auf unabsehbare Zeit nicht
wieder derart im Fokus der europäischen Medienöffentlichkeit stehen. Das ist
eine ganz große Chance, weil es kein vergleichbares Ereignis gibt, das diese
Bühne bieten könnte. Nun stellt sich die Frage, wie man diese Bühne nützt. Um
die Selbstdarstellung kommt man nicht herum. Wollen wir uns also als freundlich,
weltoffen, kulturell hochstehend, modern zeigen – oder chaotisch, rückständig,
bieder, fremdenfeindlich? Das ist für das Land, seine Bewohner, seine Künstler
vermutlich die viel größere Herausforderung als für die 22 Sportler.
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Sie sprechen in Ihrem Buch viel
über die Multikulturalität und/oder die Multinationalität der
Fußballmannschaften. Hat Fußball tatsächlich völkerverbindenden Charakter, vor
allem wenn man an die gewaltbereiten Fans denkt?
Völkerverbindend ist vielleicht
ein irreführendes Wort. Es muss nicht immer in Freundschaft ausarten. Ich würde
eher sagen: Völker miteinander beschäftigend. Das leistet Fußball wie kein
zweiter Sport. Fußball hatte vor fünfzig Jahren gesellschaftlich noch eine ganz
andere Bedeutung und war noch dazu in bestimmten gesellschaftlichen Schichten
verpönt. Mittlerweile hat er aber seine Bedeutung fundamental gewandelt – nicht
immer nur zum Besseren. Mir fällt aber kein bedeutenderes öffentliches Phänomen
ein.
Der Stellenwert des Fußballs in
den einzelnen Ländern ist unterschiedlich. Hängt das nur mit dem Erfolg oder
Misserfolg einer Mannschaft zusammen?
Ganz sicher nicht. Ich lebe in
der Nähe Italiens, und dort beobachte ich einen viel höheren Stellenwert.
Italien ist zwar zufällig Weltmeister – Weltmeister wird man immer zufällig -,
aber auch in den 25 Jahren davor, in denen es nicht Weltmeister war, war
Fußball das Thema Nummer eins, ebenso wie die zehn Mannschaften, die jede Woche
in der Meisterschaft verlieren. Schon in Udine hat Fußball einen ganz anderen
Stellenwert als in Graz oder Wien. Ich fahre einmal im Monat nach Italien, um
die
Gazetto dello Sport zu lesen. Ich kann zwar kein Italienisch, aber
das ist völlig egal. Mich interessieren die Tabellen, Aufstellungen, Resultate,
die Bilder dazu, der Wein, die Spaghetti.
Leiden Frauen eigentlich mehr
unter dem Fußball als dass sie sich daran erfreuen können?
Die Frauen, die ich kenne, leiden
unter dem Fußball eher. Wie sage ich es höflich? Es gibt das maskuline Modell
“Fußball statt Frauen”: Wenn schon keine Frau, dann wenigstens Fußball. Mit
einem Fußballverein bist du nie allein! Das würde ich bedauerlich finden, aber
es ist immer noch besser als Selbstmord. Fußball mit Frauen ist das bessere
Modell, auch wenn die Frauen darunter leiden. Man muss aber zwischen der Liebe
auch etwas machen. Man kann nicht 24 Stunden am Tag lieben. Die Zeit, die man
zur Erholung von und für die Liebe braucht, kann man sinnvoll mit Fußball
nutzen.
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Warum hat sich Frauenfußball
bislang nicht wirklich durchgesetzt?
Das ist ein heikles Thema. Wenn
man die beiden Geschlechter vergleicht, ist das weibliche sowohl körperlich als
auch seelisch im Schnitt das viel schönere. Fußball neigt zumindest
vorübergehend zu einer gewissen körperlichen Verunstaltung. In dieser Hinsicht
täte es mir um die Frauen also sehr leid.
Oft ironisch beäugt und
beurteilt: die mangelnde Sprachkompetenz der Fußballer. Fühlt man sich als
Autor überlegen? Macht das auch einen Reiz des Sports für Sie aus?
Sportreporter und Fußballer
glänzen nicht immer durch Humor und Ironie, weil sie nicht sprachschöpferisch
vorgehen. Sportjournalisten sind in der Regel über Generationen mit fünf
Phrasen durchs Leben gekommen. Das wurde in letzter Zeit ein wenig besser,
dafür gibt es aber fürchterlich viele Stilblüten. Gestern erst habe ich in den
Nachrichten gehört: "Wir halten Sie auf dem Laufendsten." Oder jemand anderer
meinte: "Um die Toten kümmert sich jetzt das Kriseninterventionsteam."
Wie sähe denn ein Leben ohne
Fußball für Sie aus?
Ein Leben ohne Fußball ist wenig sinnvoll, weil der
Fußball für sich allein ja nicht existiert. Der Fußball ist quasi ein Medium,
in dem sich die Welt spiegelt. Wenn Sie mir jetzt Fachbegriffe aus dem Fußball
nennen und mich auffordern würden, dazu weitere Begriffe zu assoziieren, würde
ich vermutlich eine Menge Dinge sagen, die mit Fußball überhaupt nichts zu tun
haben – und umgekehrt. Sagen Sie etwa "Cioran", fällt mir sofort ein, dass er
in seiner Kindheit in Sibiu mit Totenköpfen am Friedhof Fußball gespielt hat.
Man kann Fußball also nicht isoliert betrachten, sonst wird er schnell
langweilig. Fragten Sie mich umgekehrt etwa
nach der rumänischen Nationalmannschaft, würde ich sofort auf
Cioran kommen, und wir könnten über "Vom Nachteil geboren zu sein", "Die Lehre
vom Zerfall" oder ein anderes seiner Bücher fachsimpeln, über Paris, den Montparnasse,
Ionesco etc. So funktioniert das fast überall. Als mich mein portugiesischer
Übersetzer am Flughafen in Porto abgeholt hat, haben wir zum Kennenlernen
zuerst über Benfica, Sporting, FC Porto und Boavista geplaudert, dann erst über
Repräsentanten portugiesischer und österreichsicher Literatur. Neben allem
anderen ist Fußball (und das ist viel!) ein ideales Smalltalk-Thema, jedenfalls
unter Männern. Zumindest als kulturelles und ästhetisches Phänomen wird mich
der Fußball nie loslassen. Und ein Ball, der in die Kreuzecke zischt – das ist
etwas unmittelbar Schönes!
Egyd Gstättner
Feine Fallrückzieher. Kleine
Fußball-Kunststücke
Pichler Verlag
ISBN 978-3-85431-455-4
EUR 19,95