Der Liebesdoktor
admin | Posted 25/03/2008 | Belletristik | Keine Kommentare »
Seine “Hector “-Romane machten den Psychiater
François Lelord berühmt. Nun schickt er einen Mann vom Nordpol nach Paris. Dort sieht der Fremde, wie die Grossstädter der grossen
Liebe hinterherlaufen und welchen Preis sie für ihre Freiheit zahlen.
Er ist jung, entwaffnend schön und von einer Naivität, die keine Niedertracht zulässt. Vom Nordpol ist Ulik nach Paris gekommen, um die Zerstörung seines Inuit-Stammes duch einen Mineraölkonzerns zu verhindern.
Dort fliegen ihm die Herzen zu: Frauen verführen ihn, Männer suchen seine Freundschaft, Kinder betteln darum, dass er Geschichten von der Eisbärenjagd erzählt. Mit großen Augen bestaunt Ulik die Freiheiten der Franzosen.
Und bleibt im Inneren doch seiner eigenen Welt treu. Was er in Paris erlebt, vergleicht er mit dem Iglu, in dem er aufgewachsen ist. In den Armen verliebter Französinnen träumt er von Navaranava, die er seit seiner Kindheit kennt und später heiraten wird. Denkt an seinen Stamm und fürchtet die Rache vom Geist des Großen Nanook.
Ulik ist die Hauptfigur in François Lelords neuem Roman “Im Durcheinanderland der Liebe”. Er ist vom Typ des unschuldigen Fremden, der den Menschen in der großen Stadt den Spiegel vorhält, eine Reinkarnation des “kleinen Prinzen” und Voltaires “Candide”. Wie sie, stellt Ulik seine Beobachtungen mit viel Charme an.
Und wie sie legt er dabei seinen Finger in die Wunden. Denn bei aller Sympathie für die fortschrittlichen Westeuropäer bleibt Ulik nicht verborgen, wieviel Leid sie sich selbst und anderen zufügen, weil sie ein Leben lang dem Glück und der großen Liebe hinterherlaufen und welchen Preis die Menschen für ihre individuelle Freiheit zahlen.
Gleich bei seiner Ankunft erlebt Ulik ein für ihn neues Gefühl: die Einsamkeit. Mit der Einsamkeit in der großen Menschenmenge beginnt der Roman. Vom Paris der Klischees, von der Stadt der Liebe, bleibt da nicht viel übrig.
In Uliks Augen ist die Stadt voll mit “Frauen, die keinem Mann gehören”, die selbst “Häuptlinge” sind, die “nicht mehr beschützt werden wollen” und am Alleinsein doch leiden. Mit grauhaarigen Männern, die blutjunge Frauen suchen, um sich wieder jung zu fühlen.
Mit Kindern, die unter den Trennungen ihrer Eltern leiden. Und mit “Spezialisierungen”, von deren Existenz Ulik nichts wusste, so lange er bloß zwei Berufe kannte: den des Jägers für die Männer und den der Mutter für die Frauen.
François Lelord hat zwei Berufe, und in beiden hat er sich auf große Gefühle spezialisiert: als Psychiater, bei dem die Patienten ihr Seelenleid ausschütten, und als Autor, der erfolgreiche Romane über das Glück, die Liebe oder die Zeit schreibt.
Auf die Spur dieser Gefühle schickte er Hector, den freundlichen, verständnisvollen Psychiater. Die drei Hector-Romane machten François Lelord berühmt: Weltweit sechs Millionen Bücher verkaufte der 54-Jährige, der früher psychologische Sachbücher verfasste und erst mit 46 Jahren zur Fiktion fand.
Hector reiste stets von seiner psychiatrischen Praxis in Paris in entfernte Weltgegenden. Ulik geht den umgekehrten Weg. “Er stammt aus einer Gesellschaft, in der die Regeln dazu dienen, zu überleben.
Er kommt in eine Gesellschaft, wo Selbstverwirklichung und Freiheit im Mittelpunkt stehen”, erklärt François Lelord im Gespräch mit Seite 4. Im Ton bleibt Lelord sich dagegen treu. “Im Durcheinanderland der Liebe” ist wie seine Vorgänger ein Märchen für Erwachsene. Mit kurzen Sätzen.
Mit einprägsamen Charakteren. Und gespickt mit philosophischen Fragen nach dem Sinn des Lebens und der Liebe, die ganz leicht daherflattern. Es ist wieder ein Wohlfühlbuch, eines, das seinen Lesern unaufdringlich etwas über ihr eigenes Leben erzählt und dabei zugleich Entspannung bietet. Solche Bücher taugen für jedes Publikum: für Verliebte wie für frisch Getrennte, für Frauen wie für Männer.
EIN FRANZOSE IN HANOI
“Ich möchte, dass meine Leser glücklich sind”, sagt François Lelord. Mit seinen Büchern hat er im deutschsprachigen Raum seine größten Erfolge erzieltt, während seine Romane in Frankreich kaum bekannt sind.
Das liegt sicher auch daran, dass sie in seiner Heimat als psychologische Ratgeber eingestuft werden. Längst könnte Lelord von seinen Romanen leben. Doch die Arbeit als Psychiater will er nicht aufgeben, vorerst zumindest.
“Ich mag den Kontakt mit der Welt, so wie sie ist.” Seit vier Jahren pendelt er zwischen Paris und Vietnams Hauptstadt Hanoi, wo er Patienten in einem Zentrum der französischen Carpentier-Stiftung betreut. Gleichzeitig denkt er über Themen und Gefühle nach, auf deren Spuren er Hector – oder Ulik – künftig schicken kann. “Ich mag beide sehr”, sagt François Lelord über seine Romanfiguren, “aber jetzt muss ich erst einmal Themen für sie finden.”
François Lelord
Im Durcheinanderland der Liebe
Aus dem Französischen von Ralf Pannowitsch
Piper, 256 Seiten
Im Durcheinanderland der Liebe
Gelesen von Johannes Steck
Hörbuch Hamburg, 5 CDs